Analyse: Das Dilemma vom Brunnenmarkt

 Auf dem Brunnenmarkt ging ein psychisch kranker Mann mit einer Stange auf eine Frau los – sie starb. Nun ermittelt eine eigene Sonderkommission.
Auf dem Brunnenmarkt ging ein psychisch kranker Mann mit einer Stange auf eine Frau los – sie starb. Nun ermittelt eine eigene Sonderkommission.(c) Stanislav Jenis
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Nach dem Mord an einer Frau in Ottakring wird darüber diskutiert, warum der psychisch kranke Täter nicht früher aus dem Verkehr gezogen wurde.

Wien. Der Obdachlose N. (21) aus Kenia erschlägt eine 54-jährige Frau ohne ersichtliches Motiv mit einer Eisenstange. N. ist amtsbekannt. Schon vor der Bluttat wird er wegen diverser Delikte (Drogen, Diebstähle, Nötigung) angezeigt. Der Mord am Wiener Brunnenmarkt wirft Fragen auf: Sind Polizei und Justiz zu wenig konsequent eingeschritten? Haben die Behörden nicht gut genug zusammengearbeitet? Eine Sonderkommission (Soko Brunnenmarkt) soll dies klären.

Der Fall nährt die Befürchtung: Es muss offenbar erst zu einer schweren Gewalttat kommen, damit Gerichte gefährliche Personen aus dem Verkehr ziehen können. Nämlich mittels U-Haft bzw. Strafhaft. Oder gibt es doch Möglichkeiten, verhaltensauffällige Personen – Personen, vor denen sich Passanten ganz einfach fürchten, aus dem Verkehr zu ziehen?

Die Rolle der Psychiatrien

Der Gesetzgeber sieht ein Verfahren nach dem Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker in Krankenanstalten vor (eine Schärfung der dortigen Bestimmungen ist im Licht der Bluttat keineswegs ausgeschlossen). Dieses Gesetz ist aber nur auf Personen anzuwenden, die psychisch krank sind und daher ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer „ernstlich und erheblich“ gefährden.

Ob dies im Falle von N. (für ihn gilt die Unschuldsvermutung) zu argumentieren gewesen wäre, ist im Nachhinein fraglich. Immerhin ist der junge Mann zweimal wegen Drogen- und Gewaltdelikten vorbestraft. Das heißt, dass zumindest zu den Tatzeiten laut Justiz keine Unzurechnungsfähigkeit vorlag. Nun zur Unterbringung – diese hat ja eben den Sinn, dass per Gerichtsbeschluss auch dann eingeschritten werden kann, wenn noch kein Verbrechen verübt wurde. Gleich vorweg: Es ist rechtlich unmöglich, einen psychisch kranken (nicht straffälligen) Menschen unbefristet einzusperren.

Ein typischer Fall: Die Polizei greift jemanden auf und bringt ihn ins Otto-Wagner-Spital auf der Baumgartner Höhe. Dort wird die Person psychiatrisch untersucht. Und vorerst auf der Abteilung behalten. In dem Fall muss unverzüglich ein Attest an ein Gericht geschickt werden. Für das Otto-Wagner-Spital ist das Bezirksgericht Wien-Fünfhaus zuständig. Ab Kenntnis hat der Richter maximal vier Tage Zeit, eine Anhörung des Patienten vorzunehmen.

Erklärt das Gericht die Unterbringung für vorläufig zulässig, muss eine Verhandlung angesetzt werden. Spätestens binnen 14 Tagen. Bis zur Verhandlung – Verhandlungsort ist das Spital – muss auch ein psychiatrisches Gutachten vorliegen. Wenn dieses einen weiteren Verbleib in der Psychiatrie befürwortet und auch der Richter – nach erneuter Anhörung des Patienten – für eine Fortsetzung der Unterbringung ist, ergeht ein diesbezüglicher Beschluss. Aber: Eine psychisch kranke Person kann maximal drei Monate lang, gerechnet ab Start der Unterbringung, angehalten werden.

Fristverlängerung schwierig

Wie der erfahrene, für derartige Fälle zuständige Bezirksrichter Wolfgang Glock der „Presse“ erklärt, kann diese Drei-Monats-Frist nach Ablauf nicht einfach verlängert werden. Vielmehr muss nach Ablauf der Frist das gesamte Prozedere sozusagen formgerecht von vorne abgewickelt werden. Dazu muss man auch wissen: In der Praxis wird, laut Glock, diese Maximalfrist keineswegs immer voll ausgeschöpft. Noch ein wichtiger Punkt: Wenn ein Richter zum Beispiel eine fünfwöchige Unterbringung beschließt, kann die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses nach eigenem Dafürhalten – ohne Rücksprache mit dem Richter – den Patienten auch schon etwa nach drei Wochen gehen lassen. Apropos gehen lassen: In der Regel sind die betreffenden psychiatrischen Abteilungen keineswegs hermetisch abgeriegelt. Allerdings bekommen manche Patienten ein Armband mit Sender, dieser aktiviert einen Alarm, wenn elektronische Schranken durchschritten werden.

Dazu weiß Glock aus der Praxis: „Manche Patienten kündigen von sich aus an, dass sie nun gehen wollen, dann wird ihnen vom Personal erklärt, dass sie untergebracht sind und noch bleiben müssen.“ Und: „Manche bleiben auch freiwillig länger, als sie laut Beschluss müssen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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