Der Rosenkrieg der Mafia in Wiens Nachtlokalen

 Pro Rose verlangt ein Verkäufer je nach Alkoholisierungsgrad des Kunden zwischen fünf und 20 Euro.
Pro Rose verlangt ein Verkäufer je nach Alkoholisierungsgrad des Kunden zwischen fünf und 20 Euro.Clemens Fabry / Die Presse
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In den Wiener Clubs hat die Mafia ein lukratives Geschäft hochgezogen: Das Repertoire reicht vom Rosenverkauf und Drogenhandel über eingeschleustes Personal bis hin zu Schmiergeld- und Schutzgeldzahlungen.

„Eine Rose für die Dame?“, fragt ein Verkäufer ein eng umschlungenes Paar in einem großen Wiener Club im ersten Bezirk in Wien. Diesmal hat er Glück: Der Mann kauft ihm eine Blume für sieben Euro ab. Eine Frau kassiert an der Tür Eintritt, sie lächelt dem Verkäufer zu. Die beiden kennen sich gut, denn er kommt jeden Abend in das Lokal. Er schenkt ihr eine Rose.

Hinter dieser harmlos-freundlichen Geste versteckt sich eine fruchtbare Geschäftsbeziehung. Allerdings keine legale. Denn wer an der Tür eines Clubs steht, der wacht nicht nur über die Gäste, sondern auch über die Geschäfte. Wer drinnen Geld machen will, muss draußen an ihnen vorbei – und das kostet. Nicht selten sind Türsteher Dreh- und Angelpunkte der Geschäfte der Wiener Mafia, die in Wiener Clubs Geld verdienen will.

Der Rosenverkauf ist dabei nur ein kleiner Teil eines größeren Geschäftsmodells. „Das Repertoire reicht von Drogenhandel, Zinswucher und Körperverletzungen bis hin zu Schmiergeld oder Schutzgelderpressungen“, sagt Andreas Holzer, Leiter der Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Bundeskriminalamt.

Erst vor wenigen Wochen ließ die Wiener Polizei einen Ring Schutzgelderpresser nach monatelangen Recherchen hochgehen. Es wurden sieben Männer und eine Frau im Alter von 23 bis 38 Jahren festgenommen. Der Kopf der Bande ist ein gebürtiger Bosnier. Er soll auch in den sogenannten Cappuccino-Mord verwickelt gewesen sein, als im Mai 2006 in Hernals in der Ottakringer Straße ein 32-jähriger Lokalbesucher bei einer Schießerei ums Leben kam. Bei den anderen Beschuldigten handelt es sich um drei Tschetschenen, zwei Kroaten und zwei Serben – darunter die 28-jährige Frau. Die Bande soll zwischen 240.000 und 500.000 Euro erpresst haben.

Auch der Rosenverkauf ist anders, als man annehmen möchte, ein äußerst lukratives, schwer kontrollierbares und darum heiß umworbenes Geschäft. 30 bis 40 Sträuße à 30 Blumen verkaufe er am Abend in den Clubs des ersten Bezirks, erzählt der Rosenverkäufer der „Presse am Sonntag“. Pro Stück könne er je nach Alkoholisierungsgrad des Käufers zwischen fünf und 20 Euro verlangen. An einem durchschnittlichen Abend liege der Umsatz bei rund 5000 Euro, sagt er. Hochgerechnet sind das etwa 150.000 Euro im Monat. Im Einkauf kostet eine Rose zwischen 20 und 40 Cent. Auf die Frage, ob er eine Registrierkasse habe, lacht er nur.

Da die Quantität zählt, funktioniert das Geschäft nur, wenn die Konkurrenz möglichst klein gehalten wird. „Die Rosenverkäufer haben sich die Wiener Clubs aufgeteilt. Um sicherzugehen, dass sie die einzigen sind, die dort verkaufen dürfen, bezahlen sie den Securitys am Eingang Schmiergeld“, sagt ein Türsteher eines großen Clubs im ersten Bezirk zur „Presse am Sonntag“.


Zeugen gesucht. Etablieren sich derart illegale Machenschaften von Schmiergeldern bis Schutzgelderpressungen, ist es für Lokalbesitzer oft schwierig, einen Ausweg zu finden, wenn es aus dem Ruder läuft – oder Zahlungen nicht mehr geleistet werden können. „Die Betroffenen trauen sich selten, zur Polizei zu gehen – Zeugen lassen sich kaum finden, immer wieder werden diese auch bedroht. Es braucht schon eine ordentliche Portion Mut, gegen die Erpresser aufzutreten“, sagt Holzer. Nachsatz: „Denn wer erpresst wird, ist oft auch erpressbar.“ Schwarzarbeit, doppelte Buchführung – oder Angestellte, die Vollzeit arbeiten, aber als Aushilfen angemeldet sind – das gibt es in der Gastronomie noch immer. Die Registrierkassenpflicht soll Abhilfe schaffen. Wie viele Lokale in Wien von Schutzgelderpressungen betroffen sind, kann die Polizei aufgrund mangelnder Zeugenaussagen nicht abschätzen.

„Presse am Sonntag“-Recherchen zufolge dürfte es sich aber um alles andere als ein Randphänomen handeln: „Ich kenne keinen größeren Club, der nicht schon mit Gelderpressungen zu tun hatte“, sagt ein Clubbesitzer im ersten Bezirk – der auch anonym bleiben möchte, weil er selbst betroffen ist. „Die Presse am Sonntag“ fand etliche Gastronomen, die – stets anonym – von Erfahrungen mit der Schutzgeldmafia berichteten.

Die Vorgehensweise wurde meist ähnlich geschildert: „Da kommt ein Gast über Monate, wird zum Stammgast, du plauderst mit ihm. Du vertraust ihm, erzählst aus deinem Arbeitsleben, wie der Betrieb läuft, trinkst mit ihm. Er weiß irgendwann recht genau, was in deinem Laden los ist. Und eines Tages kommen dann Leute, machen Stress im Lokal, und plötzlich ist er da und sagt, er kann helfen“, sagt etwa ein Barbesitzer.

Da bekäme man dann beispielsweise angeboten, kompetente Türsteher vermitteln zu können, die mit derartig unangenehmen Gästen zurande kämen. Wer das Angebot ausschlägt, habe immer öfter Ärger mit randalierenden Gruppen, die blitzartig in das Lokal einfallen. „Auch wenn du immer gleich die Polizei rufst – bis sie da ist, ist der Spuk vorbei. Das kann sich niemand leisten, weil dann die Gäste ausbleiben. Also stellst du irgendwann die Türsteher an“, sagt er.

Diese müssten dann nicht nur überdurchschnittlich gut bezahlt werden, um sich um vermeintlich unliebsame Gäste zu kümmern – sondern bestimmen auch, wer im Lokal Drogen verkaufen darf und wer nicht. „Eigentlich hat jeder größere Club seinen Hausdealer: Manche Clubbesitzer sind darüber auch gar nicht unglücklich. Denn die Dealer versichern dir, dass kein Schrott verkauft wird. Seien wir ehrlich – viele Leute nehmen beim Fortgehen sowieso Drogen. Mir ist es lieber, sie nehmen keine schlechten, und ich habe darum nicht dauernd die Rettung hier, was meinen Ruf zerstören würde“, sagt der Clubbesitzer. Das Erkennungszeichen der eingeschleusten Dealer sei häufig eine rote Kappe, an der eingeweihte Kunden diesen erkennen könnten.

Eine andere Möglichkeit, um ein Lokal zu kontrollieren, sei, Kellner einzuschleusen, sagt Holzer. „Auch hier ist die Taktik ähnlich: Zuerst versuchen sie, viel über das Lokal in Erfahrung zu bringen – etwa wie viel Umsatz gemacht wird. Dann werden die Besitzer irgendwie unter Druck gesetzt – und prozentuell am Umsatz gemessen wird dann abkassiert“, sagt Holzer. Es sei keine Seltenheit, dass diese eingeschleusten – sehr gut bezahlten – Kellner selbst Drogen im Lokal verkaufen.

Wer wo kassiert. Wer wo regiert, kann ethnisch am Stadtplan in Viertel eingeteilt werden: „Im ersten Bezirk sind es die Kurden und Türken, die Schutzgelder erpressen. Der Gürtel, Ottakring und Rudolfsheim-Fünfhaus gehören der Balkan-Community – allen voran regieren hier die Serben“, berichtet der Türsteher aus dem ersten Bezirk. Die Geschäfte mit den Clubs sind laut Bundeskriminalamt nur ein Geschäftszweig dieser kriminellen Strukturen – Waffenhandel, Schlepperei und Menschenhandel gehören ebenso zu deren Repertoire. „Da gibt es Capos, wie man es aus italienischen Filmen kennt“, sagt Holzer. Diese wiederum haben ihre Handlanger.

Das sind nicht selten Tschetschenen, die als exzellente Kämpfer und besonders brutal gelten – in der Hierarchie der Mafia bis auf wenige einzelne aber meist unten bleiben. „Sie werden geschickt, um in den Lokalen aufzumischen, oder wirklich das Schutzgeld einzufordern“, sagt Holzer. Einmal Krankenhausreifprügeln koste zwischen 500 und 1000 Euro.

Holzers Sonderkommission versucht mit Hochdruck, die Strukturen der kriminellen Banden zu ermitteln, um die Köpfe ausfindig zu machen und aus dem Verkehr zu ziehen. Dafür sei die Polizei aber auch auf die Hilfe von Opfern angewiesen: „Ich kann nur immer wieder betroffene Gastronomen aufrufen, sich zu melden, denn die Spirale nimmt kein Ende“, sagt Holzer. Die Polizei sichere Anonymität zu, falls dies erwünscht ist. Neben strukturellen Ermittlungsarbeiten sollen auf unterer Ebene Handlanger als Abschreckungseffekt massiv abgestraft werden.

Holzer: „Leider ist das schwierig, denn gerade bei den Tschetschenen gehört es fast zum guten Ton, einmal im Gefängnis gesessen zu sein – um dort von den Älteren dazuzulernen.“ Sie seien nachher oft bessere Kriminelle als vorher.

Unterwelt

Kriminelle. In Wien teilen sich kurdisch-türkische Banden und jene vom Balkan die Lokale. Während im ersten Bezirk eher das Revier von Türken und Kurden ist, kümmern sich Serben, Albaner und Mazedonier um den Gürtel und Bezirke wie Ottakring oder Rudolfsheim-Fünfhaus.

Die Polizei. Da Bandenkriminalität wieder zunimmt, wurde 2014 ein eigenes Dezernat gegründet, das schon mehrere große Erfolge verzeichnen konnte. Insgesamt zwölf Personen arbeiten beim Bundeskriminalamt an der ständigen Ausforschung der kriminellen Strukturen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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