Jubiläum im Chelsea: Vom Leben unter der U6

Das Chelsea feiert seinen 30. Geburtstag..
Das Chelsea feiert seinen 30. Geburtstag..(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Das Wiener Chelsea wird 30. Das Lokal steht für die erfolgreiche Wiederbelebung der Wiener Stadtbahnbögen. Dort leidet man freilich heute unter den Problemen der U6 – und träumt von der High Line.

Wien. Piaristengasse 1. Oben ein ehemaliger Friseur, unten ein alter Keller, seit dem Zweiten Weltkrieg ungenützt, rundum Josefstädter Wohngebiet. Das konnte, wenn man ehrlich ist, auf Dauer nicht gut gehen. 1986 war das Chelsea hier eingezogen, es bot, täglich geöffnet, mit DJs und Livebands etwas, das es in Wien bis dato nicht gegeben hatte. Doch die Anrainer revoltierten, das Chelsea sperrte wieder zu.

Das, sagt Othmar Bajlicz, habe Architektin Silja Tillner gelesen, die für die Belebung des Gürtels zuständig war. Man war mitten in den Neunzigern und eben der EU beigetreten, und Geld floss aus Brüssel die Wiener Verkehrsader hinauf. Als „strukturschwacher Stadtteil“ wurde der Gürtel ab 1995 um 35 Millionen Euro von EU, Stadt und Bund saniert.

Das Chelsea war das erste Musiklokal, das in die gemauerten Otto-Wagner-Bögen unter der ehemaligen Stadtbahn einzog. Jahrzehntelang waren die Räume unter der ratternden U-Bahn leer und zugemauert gewesen. In drei davon richtete sich nun der ehemalige Profifußballer Bajlicz (u. a. SC Eisenstadt) mit seinen beiden Leidenschaften ein: britische Gitarrenmusik und Fußball (wobei das Lokal eher nach dem Londoner Stadtteil als nach dem Fußballclub benannt ist).

Planerisch ein kluger Schachzug, denn das Chelsea hatte eine treue Gefolgschaft, und es folgten weitere Lokale. Das Rhiz als erste fixe Location für elektronische Musik, dann das B72, dann viele andere, zuletzt im Bereich der Spittelau. Heute bedarf es keines „Gürtel Nightwalks“ (jedes Jahr im Spätsommer), damit sich die Menschenmengen zwischen den Fahrstreifen drängen. Lange Zeit geschah das in einträchtigem Nebeneinander mit der Rotlichtszene. „In diese Richtung gab es keine Probleme, obwohl mich viele Leute gewarnt hatten“, sagt Othmar Bajlicz. Mittlerweile hat sich die Sache von selbst – oder eher: durch das neue Prostitutionsgesetz – erledigt: Seit 2011 ist der Straßenstrich nur noch an zwei Standorten in Wien erlaubt. Nur die Sex-Clubs sind noch da.

Die Mischung aus inneren und äußeren Bezirken, aus Musikfans, Beislsitzern und Fortgehjungvolk, ist es dabei auch, die den manchmal leicht schmuddeligen Charme der Gürtellokale und -betriebe ebenso ausmacht wie gefährdet – vor allem der billige Alkohol mit seinen Folgen gerät in die Kritik. Schon seit Jahren wird beklagt, dass der Gürtel langsam wieder „versandle“. Seit dem Ende des EU-Projekts würden Lokale ohne Augenmerk auf ihre Musikqualität vergeben, sagt Architektin Silja Tillner, „da gibt es einige, die nicht so ganz in meinem Sinne sind“.

Drogenprobleme

Dagegen, dass sich mit der Neugestaltung des Karlsplatzes die Drogenszene an die U6 verlagert habe, könne man stadtplanerisch freilich wenig ausrichten, sagt Gregor Puscher von der MA 21, der für das Gebiet zuständig ist. Neuerdings kommen dazu jene Drogendealer entlang der U6, die seit Monaten in den Schlagzeilen sind, und die, so hört man, nicht nur Türsteher kosteten, sondern auch Lokalpublikum abschreckten. Auch das beobachtet Tillner mit Sorge. „Ich habe gerade 30 Schweizer Stadtplaner zu den Bögen geführt, da muss man sich schon am Nachmittag durch die Dealer durchkämpfen.“ Wie alle hofft sie auf die gesetzliche Neuregelung, die ab kommender Woche Abhilfe schaffen soll.

Denn noch immer gelten die Bögen als internationales Vorzeigeprojekt – auch wenn weiterhin das Geld für jenen Plan fehlt, der die Köpfe der Stadtplaner durchaus beschäftigt: den unbefahrenen Stadtbahnteil von der Spittelau in Richtung Heiligenstadt/Muthgasse in eine Art High Line nach New Yorker Vorbild zu verwandeln.

Chelsea-Chef Bajlicz spricht indes ungern über Entwicklungen abseits der Musik: „Die Dinge ändern sich, nur das Chelsea ist gleich geblieben.“ Ab heute bis Freitag wird gefeiert. Nicht am Samstag – da ist Champions-League-Finale.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2016)

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