Vassilakou: "Lösung mit Türkei funktioniert nicht"

Grün-Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou zieht aus dem Wahlerfolg von Alexander Van der Bellen auch Lehren für Wien.
Grün-Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou zieht aus dem Wahlerfolg von Alexander Van der Bellen auch Lehren für Wien.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wiens grüne Vizebürgermeisterin über die Lehren aus dem Sieg von Alexander Van der Bellen und die gescheiterte Flüchtlingspolitik der EU.

Die Presse: In Wien hat Alexander Van der Bellen alle Stimmen gegen die FPÖ eingesammelt. Für die Grünen ausgleichende Gerechtigkeit, weil die SPÖ bei der Wien-Wahl massiv grüne Stimmen abgezogen hat?

Maria Vassilakou: Das lässt sich nicht vergleichen. Hier ist eine sehr breite Wahlbewegung entstanden, die sich auf dem Boden einer gemeinsamen Werthaltung getroffen hat. Ich denke, wer Van der Bellen gewählt hat, denkt international, europäisch und steht zu einer Politik, die Menschenrechte nicht als Parole missbraucht.

Was haben Wiens Grüne aus dem Wahlkampf gelernt? Bürgerlich wie Van der Bellen werden?

Heute geht es nicht mehr um bürgerlich oder links, sondern um Glaubwürdigkeit. Die Wahl hat gezeigt: Es sind die großen Fragen, die wahlentscheidend sind. Die Menschen wollen von der Politik Ehrlichkeit und das Anpacken von Problemen. Als Grüne ist uns der Wahlausgang Ansporn und großer Antrieb. Mir gehen auch in Wien einige Reformen nicht schnell genug.

Was heißt das konkret?

Es geht um die Frage: Was können wir in der Regierungsarbeit schneller vorantreiben? Ich will die Hoffnung, die Bewegung, die nun auf Bundesebene entstanden ist, in der Regierungsarbeit nutzen.

Es gibt Bewegung durch den Wahlkampf, aber auch durch eine Teilung der Gesellschaft.

Ich sehe keine Spaltung, sondern eine ernüchternde Momentaufnahme für SPÖ und ÖVP. Jene, die Hofer gewählt haben, wollten ein Zeichen gegen das großkoalitionäre System setzen, das in den letzten Jahren nichts weitergebracht hat. Fakt ist, dass die Reallöhne seit Jahren nicht steigen, dass es immer mehr Menschen gibt, die arbeiten gehen und weniger verdienen als die Mindestsicherung. Das ist der Sprengstoff, auf dem die Erfolge der FPÖ aufbauen. Darüber müssen wir reden.

Van der Bellen hat nach seinem Sieg erklärt: Seine und Norbert Hofers Wähler sind Hälften eines Ganzen. Nun betont Van der Bellen, er würde der FPÖ keinen Regierungsauftrag geben. So schüttet man keine Gräben zu.

Van der Bellen hat im Wahlkampf immer gesagt, er wird der FPÖ keinen Regierungsauftrag erteilen. Hofer hat betont, er wird die Regierung entlassen. Die Wähler haben eine Entscheidung auch anhand dieser Aussagen getroffen. Würde man nicht mehr dazu stehen, wäre es ein gebrochenes Wahlversprechen.

Zu Wiener Themen. Nach dem Baustopp beim Areal des Wiener Eislaufvereins stellt sich die Frage: Braucht Wien überhaupt das Prädikat Weltkulturerbe, das offenbar zahlreiche Modernisierungen blockiert – wie manche Architekten kritisieren?

Es ist mehr als ein internationales Übereinkommen, das Weltkulturerbe für künftige Generationen zu schützen. Ich gehe nicht d'accord mit jenen, die meinen: Weltkulturerbe braucht man nur außerhalb Europas. Profitgier kann auch innerhalb Europas dazu führen, dass Kulturschätze vernichtet oder unwiederbringlich entwertet werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Innenstadt unter eine Käseglocke gestellt werden soll. Das Weltkulturerbe kann nicht mit dem 19. Jahrhundert enden.

Wie umstritten ist das Hochhausprojekt beim Eislaufverein innerhalb der Grünen – nachdem die grüne Basis dagegen ist?

Da scheiden sich die Geister. Aber das ist bei allen im Gemeinderat vertretenen Parteien (bei diesem Projekt, Anm.) so. Deshalb gibt es eine Nachdenkpause, um eine tragfähige Lösung für den Heumarkt zu erarbeiten. Am Ende soll ein breit akzeptiertes Projekt stehen, das gut für die Stadt ist.

Zur Tagespolitik: Nach zahlreichen Toten bei Bootsunglücken im Mittelmeer – was soll die Reaktion darauf sein?

Nahezu täglich ertrinken Menschen im Mittelmeer. Und die Lösung mit der Türkei funktioniert nicht. Weder nimmt die Türkei die Leute wieder auf, wie ursprünglich vereinbart, noch schaffen es die Zäune auf dem Balkan, jemanden aufzuhalten. Sie schaffen nur menschenunwürdige Zustände. Man sollte sich darauf vorbereiten, jene zu betreuen, die in den nächsten Monaten an unseren Grenzen stehen werden.

Sie glauben nicht, dass der Deal mit der Türkei bezüglich der Flüchtlinge funktioniert?

Bis jetzt funktioniert er kaum. Die meisten, die in Griechenland stranden, bleiben tatsächlich dort. Mit dem Ergebnis, dass man dort völlig unzumutbare Zustände und steigende Aggression, von beiden Seiten, hat. Idomeni ist die Schande Europas. Und es kann nicht sein, dass man die Augen davor verschließt und eine Politik betreibt, nach dem Prinzip: Den Letzten beißen die Hunde.

ZUR PERSON

Maria Vassilakou wurde 1969 in Athen geboren, studierte ab 1988 in Wien Dolmetsch und zog 1995 für die Grünen in den Wiener Gemeinderat ein. Seit 2010 ist sie Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Bürgerbeteiligung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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