Gudenus vs. Blümel: „ÖVP wirft bürgerliche Themen über Bord"

Johann Gudenus (links) und Gernot Blümel. Zwei, die sich gut verstehen – und auch beim „Presse“-Interview nicht so recht miteinander streiten wollten.
Johann Gudenus (links) und Gernot Blümel. Zwei, die sich gut verstehen – und auch beim „Presse“-Interview nicht so recht miteinander streiten wollten.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sie ähneln einander thematisch und manchmal auch im Stil. Was verbindet und was trennt Johann Gudenus, stellvertretenden FPÖ-Parteichef in Wien und im Bund, und den Wiener ÖVP-Chef, Gernot Blümel?

Die Presse: Auf der Oppositionsbank gegen Rot-Grün wirken Sie beide sehr harmonisch. Dabei schnappt doch die ÖVP der FPÖ neuerdings ihre Stammthemen weg?

Johann Gudenus: Ich bin froh, dass die ÖVP Themen aufgreift, die wir schon gespielt haben. Das zeigt doch, dass wir nicht ganz unrecht hatten – wie etwa mit der Islamisierung im Kindergarten.

Gernot Blümel: Wir fahren sicher eine kantigere Linie als früher. Beim Sicherheitsbereich deckt sich einiges, bei der Mindestsicherung etwa sind wir aber akzentuierter.

Zur Mindestsicherung haben Sie beide radikale Vorschläge gemacht. Herr Blümel, Sie wollen, dass Personen, die noch keine drei Jahre Lohn- und Einkommensteuer bezahlt haben, keine bedarfsorientierte Mindestsicherung erhalten sollen. Heißt das: Die bekommen gar nichts?

Blümel: Ich sehe das wie jedes Versicherungssystem: Bevor man etwas bekommt, muss eingezahlt werden.

Aber die Mindestsicherung greift ja gerade dann, wenn man nichts anderes mehr bekommt. Wovon sollen die Betroffenen leben?

Blümel: Es muss natürlich einen Mechanismus geben, damit man nicht gar nichts bekommt.

Wie soll der aussehen?

Blümel: Darüber wird man dann diskutieren müssen.

Herr Gudenus, Sie wollen, dass Flüchtlinge gar keine Mindestsicherung und nur die Hälfte der Grundversorgung erhalten. Abgesehen von den juristischen Problemen: Wie stellen Sie sich das vor? Und erhöhen Sie damit nicht das Risiko des Abgleitens in die Kriminalität?

Gudenus: Die Frage stellt sich nicht, denn es würden keine Flüchtlinge mehr kommen. Es gibt viele, die sich nur ihre wirtschaftliche Situation verbessern wollen. Das ginge dann nicht mehr.

Herr Blümel, wären Sie für Kürzungen für Flüchtlinge, wie sie etwa Oberösterreich vorsieht?

Blümel: Ich verstehe den Ansatz, aber ich glaube, dass unsere Vorschläge wie die Obergrenze von 1500 Euro etc. effektiver sind. Das ist kein reines Migrationsproblem, sondern es geht um bürgerliche Sozialpolitik an sich, um Gerechtigkeit für Leistungswillige.

Worin unterscheiden Sie sich beide politisch am meisten?

Blümel: Sicher in der Wirtschaft: Im Wien-Wahlkampf war die FPÖ gegen Privatisierungen und für eine Jobgarantie für alle Beamten. Das sehen wir definitiv anders. Auch in der Außen- und Europa-Politik haben wir andere Ansichten. Gerade wenn ich mir den Brexit anschaue, zeigt das zwei Dinge: Erstens, dass Europa endlich die großen Themen angehen muss. Zweitens sieht man, was passiert, wenn Populismus Realität wird.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Brexit erfahren haben?

Blümel: Ich war erschrocken – auch über die Reaktionen vieler Altpolitiker, die meinten, der einzige Fehler war, dass Cameron hat abstimmen lassen. Ich halte es vielmehr für einen Fehler, dass regierende Politiker sehr lange weggeschaut haben.

Das heißt, für Sie wäre ein Austritt Thema für ein Referendum?

Blümel: Man darf sich vor Plebisziten nie fürchten, aber nun geht es darum, aus dem Brexit zu lernen.

Und Sie, Herr Gudenus? War Jubel Ihre erste Reaktion?

Gudenus: Ich juble nicht einmal bei einem Fußballmatch. Die EU hat sich zuletzt in eine falsche Richtung entwickelt. Es wurden zu viele Kompetenzen an Brüssel abgegeben. Ich befürworte zwar zum jetzigen Zeitpunkt keinen Ausstieg Österreichs, aber man kann das nicht ausschließen – etwa wenn sich die EU und die Türkei weiter annähern. Brüssel hat zuletzt immer 180 Grad das Falsche gemacht, nennen Sie mir nur eine Entscheidung, die sinnvoll war.

Blümel: Die Roaminggebühren-Regelung.

Gudenus: Nach so vielen Jahren, eh super. Aber die Russland-Sanktionen kosten Arbeitsplätze.

Blümel: Das ist übrigens auch etwas, wodurch wir uns unterscheiden: Wir sind tendenziell prowestlich und die FPÖ ist prorussisch.

Gudenus: Das hat nichts mit prorussisch zu tun, wir sind pro österreichische Arbeitsplätze. Wir sind eine stark europäische Partei.

Der Brexit gilt auch als Entscheidung gegen die Eliten. Norbert Hofer hat sich im Wahlkampf ebenfalls gegen „die Elite“ positioniert. Als Absolvent des Theresianums und der Diplomatischen Akademie zählen Sie aber doch wohl auch dazu, Herr Gudenus?

Gudenus: Das war eine Reaktion im Wahlkampf. Der Herr Van der Bellen hat damit geprahlt, dass ihn bekannte Leute unterstützen.

Ist die FPÖ Anti-Elite?

Gudenus: Nein. Gute Ausbildung ist wichtig.

Blümel: Wenn man unter Elite die Leistungswilligen versteht, bin ich ein Verfechter der Elite.

Sie haben vorhin gesagt, die FPÖ sei eine stark europäische Partei. Unlängst haben Sie mit Marine Le Pen den „Patriotischen Frühling“ in Vösendorf gefeiert. Ist der Front National ein Vorbild?

Gudenus: Ist Orbán ein Vorbild für den Herrn Blümel? Der Front National ist ein Kooperationspartner, wie es das auch bei der ÖVP oder den Grünen international gibt. Das heißt nicht, dass man hundert Prozent Schnittmenge hat. Der Front national will sofort aus der EU austreten, wir wollen die Union vorerst von innen verändern.

Es gab zuletzt eine Debatte darüber, ob die Identitären rechtsextrem sind. Wie sehen Sie das?

Gudenus: Da wage ich mich nicht drüber. Ich würde sie als neues Phänomen bezeichnen. Sie verwenden wie die Linksextremen Mittel der Provokation und reizen die Rechtsordnung aus.

Ich frage auch, weil die neue Stadträtin der FPÖ, Ursula Stenzel, gemeint hat, für die Identitären wäre Platz in der FPÖ.

Gudenus: Also Platz für die Identitären ist in der FPÖ so nicht. Wer beitreten will, kann das tun, aber dann ist die FPÖ Alleinstellungsmerkmal.

Ist die FPÖ für Sie eine bürgerliche Partei?

Gudenus:Lagerbegriffe sind so 19. Jahrhundert. Bürgerlich, sozial, das lässt sich alles vereinen, auch wenn die Altparteien das nicht verstehen.

Herr Blümel, ist „bürgerlich“ überholt?

Blümel: Überhaupt nicht. Die Frage ist, wie man es ausdefiniert. Aus unserer Sicht geht es um Leistungswilligkeit. Dass jene, die das System finanzieren, nicht unter die Räder kommen.

Gudenus: Aber wir erleben derzeit doch, dass die ÖVP gerade viele bürgerliche Themen über Bord wirft – in der Bildungs- oder in der Familienpolitik. Bei der ÖVP sind manche Landesgruppen fürs Gymnasium, andere für die Gesamtschule. Bei uns weiß man, woran man ist.

Blümel: Ich trete klar für den Erhalt des Gymnasiums ein. In Vorarlberg ist die FPÖ übrigens auch für die Gesamtschule.

Gudenus: Für einen Probelauf. Aber wenn ich an den Präsidentschaftswahlkampf denke: Immer wenn sich jemand von der ÖVP offen für einen Kandidaten ausgesprochen hat, war das Van der Bellen. Ein Linker. Ist das bürgerlich?

Von FPÖ wie ÖVP hört man oft Islam-Kritik. London hat nun einen Bürgermeister, der auch Muslim ist. Wäre das in Wien ein Problem für Sie?

Blümel: Religion kann kein Ausschlussgrund für ein politisches Amt sein. Die ÖVP bekennt sich zu den jüdisch-christlichen Wurzeln Europas, Faktum ist aber auch, dass ein Teil der Bevölkerung islamischen Glaubens ist. Insofern ist der Islam ein Teil Österreichs und Europas.

Gudenus: Für mich wäre das ein Symptom einer Änderung der Bevölkerungsstruktur, die ich nicht unterstütze. Ich will keine Islamisierung meiner Heimat.

Kann ein Muslim per Definition kein guter Bürgermeister sein?

Gudenus: Das kann ich nicht sagen. Aber wenn er Bürgermeister ist, würde das für mich zeigen, dass Wien islamisiert ist.

Sagen Sie wie Donald Trump: Keine Einreise für Muslime?

Gudenus: Nein. Es gibt viele friedliche und gut integrierte Moslems.

Wären Sie US-Bürger, wen würden Sie wählen?

Gudenus: Ich glaube, dass die Frau Clinton außenpolitisch ein größeres Desaster wäre als der Herr Trump, weil er sich weniger einmischen würde.

Blümel: Eindeutig Clinton – aber als das kleinere Übel.

Sie beide könnten sich bald in einer Regierung wiederfinden – nicht in Wien, aber im Bund. Für den Fall werden Sie beide für den Job des Innenministers gehandelt. Interesse, hypothetisch?

Gudenus: Ganz ehrlich, ich sehe meine Rolle in der Wiener Politik. Wenn man die Sozialdemokratie nachhaltig schwächen will, muss man das in Wien machen.

Und Sie Herr Blümel?

Blümel: Mein Ziel ist die Wien-Wahl 2020, aber ausschließen kann man in der Politik nie etwas.

Noch eine EM-Frage: Singen Sie die Hymne mit oder ohne Töchter?

Gudenus: Ohne. Einen historischen Text abzuändern ist widersinnig.

Es steht aber im Gesetz.

Gudenus: Aber es hilft keiner Frau. Das sind Alibiaktionen der SPÖ, der Grünen, leider auch der ÖVP.

Herr Blümel, mit oder ohne Frauen?

Blümel: Eindeutig mit.

ZU DEN PERSONEN

Johann Gudenus (39) ist Straches Vize im Bund und in Wien. Zudem ist er stellvertretender Bürgermeister, doch der Titel ist weder mit einem Ressort noch einer Vertretungsbefugnis verbunden.

Gernot Blümel (34) ist Chef der Wiener ÖVP, er übernahm die Partei nach der Wahlniederlage im Herbst von Manfred Juraczka. Davor war Blümel Generalsekretär der Bundes-ÖVP.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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