Little Britain an der Donau

Nick Treadwell eröffnet gerade in der Großen Neugasse seine Galerie, die erste Ausstellung startet Ende September.
Nick Treadwell eröffnet gerade in der Großen Neugasse seine Galerie, die erste Ausstellung startet Ende September. Die Presse/Clemes Fabry
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Sie sind Galeristen und Journalisten, sie bringen Bier und Pies, treffen sich in Irish Pubs und zeigen wenig Hang zur Selbstorganisation: eine Vermessung der Wiener Briten-Community.

Wien. Er ist, nun ja, einer der wohl exzentrischeren Vertreter seines Landes: Nick Treadwell, Jahrgang 1937, rosa Hose, rosa T-Shirt, rosa Haare, rosa Brille. Die vergangenen Jahre hat der britische Galerist in einem einstigen Gericht samt Gefängnis im oberösterreichischen Aigen verbracht. Vor einigen Wochen ist er nach Wien übersiedelt, wo er gerade ein altes Geschäftslokal in Wieden renoviert, um hier seine Galerie zu eröffnen. Es sei schwierig gewesen, Leute nach Aigen zu locken, sagt er, und Wien habe er ohnehin stets gemocht.

Der Brite ist der jüngste Neuzugang in einer Community, die sich dadurch auszeichnet, sich selbst nicht allzu sehr als Community zu sehen – auch wenn sich, angesichts von Brexit und Eurodebakel, derzeit viele Augen auf sie richten. „Wenn ich von Briten umgeben sein wollte, würde ich in Großbritannien leben“, formuliert es Eugene Quinn. „Franzosen oder Italiener sind in dieser Hinsicht sicher umtriebiger als wir.“

Fußball, Bücher und Bier

Der Ex-BBC-Journalist lebt seit Jahren in Wien und hat eine Art Geschäftsmodell daraus gemacht, „ernste Dinge mit britischem Humor zu sagen“ – so hat er die Tour Vienna Ugly zu Wiens hässlichsten Gebäuden erfunden. Liebe zum Britischen ortet er in der Stadt durchaus, den Union Jack auf Kapperln und Taschen sehe man oft. „Wenn sich Schottland abspaltet, wird man ihn ändern müssen.“

Im Vergleich mit Österreich hätten die Briten – auch wenn beide zeitgleich ihres Empires verlustig gingen – einen Vorteil: „Englisch wurde zur globalen Sprache, Fußball zum globalen Sport.“ So reicht oft ein Abstecher auf ein Fußballspiel ins Chelsea für die Dosis Heimatgefühl. Wobei das Lokal am Gürtel ein Beispiel vermeintlich britischer Institutionen ist, die eigentlich Österreicher führen.

Wie etwa auch Shakespeare & Company in der Sterngasse im Ruprechtsviertel, nach dem Aus des British Bookshop die letzte verbliebene rein englische Buchhandlung. Dass die Chefs, die Geschwister Sheila und Guy Perlaki, englische Vornamen tragen, hat allein mit der Entwicklungshelferkarriere ihrer Eltern zu tun.

Am ehesten als Little Britain kann in Wien wohl FM4 gelten: 16 Briten hat Quinn bei dem Radiosender gezählt. Rund 120 Mitglieder, historisch viele aus UNO oder der Atombehörde IAEA, zählt die British Community Association. Später, sagt Chef Duncan Hutchings, kamen dank EU und Ostöffnung auch viele andere dazu. Man organisiert Theater- und Konzertbesuche, Treffen in wechselnden Beiseln und einen Vereinsabend im Flanagan's in der Schwarzenbergstraße – einem irischen (!) Pub.

Englische Pubs und Bars gibt es, im Gegensatz zu 54 irischen, nämlich wenige, eines ist The Tube Station im 3. Bezirk, wo sich Briten gern zum Fußballschauen treffen. Auch kulinarisch ist das Königreich eher unterrepräsentiert, sieht man von Fish & Chips als Teil der Street-Food-Welle einmal ab. Am ehesten gibt es Pies (The Pie Factory in der Spitalgasse) – übrigens ein klassischer Fußball-Halftime-Snack. Auf Cornish Pastys, Teigtaschen aus Cornwall mit Rindfleisch und Rüben etwa, haben sich die Pasty Pirates in der Zollergasse spezialisiert. Auch mit Sandwiches (Roastbeef, Beinschinken mit Coleslaw), Chocolate Fudge und High Tea mit Scones und Erdbeermarmelade will man dem schlechten Ruf britischen Essens entgegenwirken.

Stoff für Sentimentalitätsschübe (Orangenmarmelade, Marmite, Essig-Chips) lagert auch Bobby's Foodstore in der Wiener Schleifmühlgasse. Erst diese Woche eröffnet wurde ein neuer British Pop-up Shop in der Millennium City: Auf Initiative der Austro British Chamber werden hier – vom Biotee bis zum schottischen Rapsöl – neue britische Marken präsentiert.

Wie sich der Handel post Brexit gestalten wird, ist indes für viele eine offene Frage. Sie werde weiter Bücher importieren, konstatiert Sheila Perlaki trocken. Schwer frustriert ob der „demagogischen Brandstifter“ und einer „brennenden Insel“ gibt sich Duncan Hutchings. „Ich überlege stark, ob ich nicht die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen soll.“ Auch auf der Insel regt sich Interesse. „Ein paar Freunde“, sagt Eugene Quinn, „haben schon angefragt – sie würden gern bei mir ins Gästezimmer ziehen.“ Für Nick Treadwell steht der Plan jedenfalls fest: „Geboren in London – gestorben in Wien.“

AUF EINEN BLICK

Briten in Wien. Laut Statistik Austria leben in Österreich 9962 Briten, nach Deutschen und Italienern sind sie die drittgrößte Gruppe aus der EU. 3907 von ihnen wohnen in Wien. Die Austro British Chamber eröffnete diese Woche einen Pop-up-Store in der Millennium City. Essen gibt es in der Pie Factory (Spitalgasse 15), bei den Pasty Pirates (Zollergasse 2) oder bei Bobby's (Schleifmühlgasse 8), Bier z. B. in der Tube Station (Löwengasse 51), im 1516 The Brewing Company, Bücher bei Shakespeare & Company oder im Pickwick's (nebst Videos und Kaffee).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2016)

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