Die Demontage der Wiener Psychiatrie

Im Otto-Wagner-Spital soll die Abteilung für Forensische Akutpsychiatrie im Pavillon 23 geschlossen werden.
Im Otto-Wagner-Spital soll die Abteilung für Forensische Akutpsychiatrie im Pavillon 23 geschlossen werden.Jeff Mangione/picturedesk.com
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Mit dem Herunterfahren der Psychiatrie im Otto-Wagner-Spital wird die Ausbildung von Fachärzten fast unmöglich gemacht. Die Folge ist eine sukzessive Mangelversorgung der Patienten.

Wien. Die geplante Schließung der Abteilung für Forensische Akutpsychiatrie im Pavillon 23 des Otto-Wagner-Spitals könnte der vorläufig letzte Akt sein, um die bereits zum Mangelfach erklärte Psychiatrie in Wien endgültig zu zerschlagen. Welche weitreichenden Auswirkungen das Ende der einzigen spezialisierten Einrichtung zur Behandlung von psychiatrisch akut erkrankten Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen für Patienten und Ärzte hat, zeigt sich erst auf den zweiten Blick.

Denn vordergründig scheint der Wegfall einer Abteilung mit lediglich zwölf Betten, deren Versorgungsgebiet die Justizanstalten Josefstadt, Simmering, Floridsdorf, Mittersteig und Favoriten umfasst, nicht allzu dramatisch zu sein. Der Krankenanstaltenverbund (KAV) fühlt sich ohnehin nicht wirklich zuständig für dieses Gebiet. Es gehe um die Versorgung von Justizhäftlingen. Also sei der Bund zuständig, eine entsprechende Versorgung sicherzustellen.

Und was sagt das Justizministerium? Man sei „an der weiteren Zusammenarbeit bei der Betreuung der psychisch kranken Insassen der Wiener Justizanstalten durch eine spezielle forensische psychiatrische Einrichtung interessiert“, heißt es in einer kurzen Stellungnahme. KAV und Justiz würden noch verhandeln.

Zweites Modul fällt weg

Im Otto-Wagner-Spital fürchtet man unterdessen die „Demontage der Psychiatrie in Wien“, wie es ein Psychiater im Gespräch mit der „Presse“ formuliert. Denn durch die Schließung der Forensischen Akutpsychiatrie fehle nun das zweite von sechs verpflichtenden spezifischen Fachmodulen, die Voraussetzung für die Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin sind. Bereits vor einigen Wochen wurde ohne viel Aufsehen ein Teil des Suchtzentrums geschlossen, und zwar die Station für Langzeitrehabilitation von Alkoholkranken im Pavillon 26. Auch Nachtdiensträder wurden reduziert, weitere Bettenreduktionen sollen geplant sein.

„Der KAV-Leitung sind die Konsequenzen ihrer Entscheidungen gar nicht bewusst“, sagt der Arzt, der seit mehr als 20 Jahren im Otto-Wagner-Spital arbeitet. „Psychiatrisch kranke Strafgefangene können nicht an einer allgemeinen Psychiatrie behandelt werden, die nicht spezialisiert ist.“ Dem Personal dort fehle es an fachlicher Kompetenz, um forensische Patienten zu behandeln. Die Folge sei – wie mittlerweile in der gesamten Psychiatrie – eine Beschleunigung der sogenannten Drehtürpsychiatrie. „Patienten werden kurzfristig nach einer lediglich kosmetischen Politur rasch entlassen und – da es auch im niedergelassenen Bereich keineausreichenden Ressourcen mehr gibt – müssen mitunter bereits am nächsten Tag neuerlich mit denselben oder neuen Beschwerden wieder im Spital aufgenommen werden.“

Eklatanter Fachärztemangel

Forensische Patienten seien „extrem schwierig“ und erforderten eine hoch spezialisierte Fachkompetenz sowie besondere rechtliche Rahmenbedingungen in der Betreuung. Falls sie in einem Doppelbettzimmer untergebracht werden, müsste das andere Bett gesperrt und der Patient rund um die Uhr von vier Beamten überwacht werden. Die Regionalabteilungen, die diese Aufgaben nach Schließung der Forensik nun übernehmen müssen, leiden aktuell bereits an viel zu geringen Bettenkapazitäten und seit Jahren an einem eklatanten Fachärztemangel.

Im Otto-Wagner-Spital hingegen bestehe eine über Jahre gewachsene Kompetenz zwischen Neurologen, Internisten, Pulmologen, Orthopäden, Anästhesisten und Psychiatern, die auf die Betreuung solcher Patienten spezialisiert sind. „Der KAV will diese Spezialisierung zerstören und in jedem Krankenhaus eine Wald-und-Wiesen-Psychiatrie etablieren, die sich um alle Patienten kümmert“, sagt der Psychiater. „Das führt dazu, dass junge Mediziner das Fach Psychiatrie meiden oder ins Ausland gehen, um sich auszubilden.“

Was nicht verwunderlich sei, denn eine seriöse Ausbildung könne angesichts der fehlenden zwei Module und gestrichenen Nachtdienste, in denen junge Mediziner mit Abstand am meisten lernen würden, nicht mehr angeboten werden. Zudem stünde dem KAV in den kommenden Jahren eine enorme Pensionierungswelle von Psychiatern bevor. „Am Ende werden es die Patienten sein, die einem nicht nachvollziehbaren Sparzwang zum Opfer fallen und keine adäquate Behandlung mehr bekommen werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 6. Juli 2016)

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