"Ich war wie aus dem Leben geschossen"

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THEMENBILD: POLIZEI / SICHERHEIT / EXEKUTIVEAPA/HELMUT FOHRINGER
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Vor fünf Jahren wurde Manfred Wasserer im Einsatz angeschossen. Sein Kollege starb nach diesem Einsatz, er überlebte nur, weil sein Funkgerät in der Brusttasche eine Kugel abfing. Seither ist nichts wie zuvor.

Für Manfred Wasserer ist der 11. Februar 2011 jener Tag, der alles verändert hat. Ein Nullachtfünfzehn-Einsatz: Wie viele Male zuvor läuft in Hirtenberg, Bezirk Baden, die Suche nach einem Abgängigen, der eine kurze Haftstrafe hätten antreten sollen und dessen Frau befürchtet, er wolle sich umbringen. Die Waffe des Mannes ist im Haus sichergestellt worden, es gibt keinen Hinweis, dass er bewaffnet sein könnte.

Andreas Hasler und Manfred Wasserer treffen im Wald einen Mann, der der Gesuchte sein könnte, der gibt falsche Daten an, plaudert mit den Polizisten, scherzt, sagt, beim Wandern habe er keinen Ausweis dabei. Dass er seine Hände während des Gesprächs nicht aus der Tasche seines Pullovers nimmt, kommt den Beamten komisch vor, sie bitten ihn, zum Auto mitzukommen.

Dann geht es schnell. Wasserer sagt, er hätte noch einen schwarzen Gegenstand wahrgenommen, dann schießt der Mann viermal auf ihn, zweimal trifft er ihn, ein Schuss geht durch den Oberkörper, Lungenstreifschuss, der zweite prallt am Funkgerät in seiner Brusttasche ab, bleibt im Akku stecken. Vier Schuss auf seinen jungen Kollegen, vier Treffer. Die Schreie seines Kollegen, sagt Wasserer, hat er heute noch in den Ohren. Auf dem Waldboden liegend schießt er auf den Täter, „er schoss immer weiter, war dabei völlig entspannt und lachte.“ Später stellt sich heraus, der Mann hatte zwei Magazine mit 30 Schüssen dabei – die Waffe hatte er erst gekauft und nicht registriert. Das lässt vermuten, dass der Mann einen „Suizid durch Polizisten“ geplant hatte.

Gut 40 Minuten dauert es, bis Verstärkung kommt. Die Funkgeräte sind zerschossen, mit dem Handy kann Wasserer die Kollegen rufen, bis sie den Tatort finden, dauert es. Am Tag darauf verstirbt Andreas Hasler im Spital. Auch Wasserer liegt lang im Spital. Ein Jahr ist er im Krankenstand, der Fall wird von der Cobra und von Kollegen aus dem Burgenland analysiert, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen seiner Schüsse. „Bei allen Untersuchungen ist herausgekommen, dass es sich um reine Notwehr gehandelt hat“, sagt er.

Trotzdem wird er mit dem Geschehen nicht fertig. Der Tod seines 26-jährigen Kollegen, für den er sich als der Ältere verantwortlich fühlte, die Schüsse auf ihn, damit, selbst geschossen zu haben. Der Willkür des Täters.

„Ich war wie aus dem Leben geschossen“, sagt er. „In den ersten Wochen danach ist es ein Hype, aber nach einem Monat ist es für alle anderen vorbei.“ Für ihn ist es das bis heute nicht. „Die Psychiater haben mir ein schweres Trauma attestiert. Das, was geschehen ist, werde ich mein Leben lang nicht loswerden.“ In der ersten Zeit nimmt er schwere Psychopharmaka und Schlafmittel, in psychologischer Betreuung ist er nach wie vor. „Ich brauche jemanden, mit dem ich regelmäßig darüber reden kann.“ Die Verantwortung gegenüber seinem Kollegen, die Schuldgefühle. „Man lebt mit der Schuld, auch wenn es keine Schuld gibt.“ Schubweise komme das immer wieder auf. Mit Außenstehenden zu reden wird schwieriger. „Nach drei Monaten wollte meine Exfrau nichts mehr davon hören, sie konnte nicht damit umgehen“. Nach 17 Jahren Ehe mit zwei Kindern kommt es zur Scheidung. Wasserer zieht zurück nach Kärnten. Auch um abzuschließen, den Gedenkstein mit dem Bild des ermordeten Kollegen, der vor der Inspektion in Bad Vöslau steht, täglich zu sehen hat er nicht mehr ausgehalten.

Bei Nachrichten wie jener vom jüngsten Polizistenmord „kommt alles wieder hoch“. Albträume, Schlaflosigkeit, in der Nacht höre er die Schreie seines Kollegen wieder. „Darüber zu reden ist schwierig. Man will niemandem zur Last fallen, nicht der Schwache sein und denkt sich: Ich bin ein Polizist, für so etwas gibt es Gefahrenzulage.“ Aber dann komme in der Nacht alles hoch.

Bei der Polizei ist er trotz allem geblieben, auch im Außendienst. „Ich bin das einfach. Wenn du Polizist bist, bist du Polizist.“ Aber er ist vorsichtiger, achtet stets darauf, wo er in Deckung gehen könnte. Fordert jeden Unscheinbaren auf, die Hände aus den Taschen zu nehmen, wenn er mit ihm spricht: „Das Ereignis ist immer dabei.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2016)

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