Wien: Wohnbau schlägt Industrie

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Die Wirtschaftskammer warnt vor einem Rückgang der Betriebsflächen. Die Stadtregierung will sich mehr für Betriebe einsetzen. Neue Standortabkommen sind im Entstehen.

Wien. Jahrelang lag im Industriegebiet von Wien-Liesing, konkret an der Ecke Brunner Straße/Carlbergerstraße, ein großes Grundstück brach. Einst befand sich dort die Forschungszentrale des Pharmakonzerns Novartis, ehe diese vor etwa acht Jahren abgesiedelt wurde. Bauträger richteten sodann begehrliche Blicke auf das elf Hektar große Gelände. Wien braucht Platz für Wohnbau, und in dieser Region südlich von Alt-Erlaa werden jetzt schon Tausende Wohnungen errichtet bzw. sind in Planung. Angesichts des Wohnungsdrucks werde doch eine Umwidmung von Gewerbegebiet auf Wohngebiet nicht schwer sein, so das Kalkül.

Im konkreten Fall blieben Bezirk und Stadt hart, das Areal bleibt Industriegebiet – und wird ausgebaut: In mehreren Phasen entsteht ein neuer Gewerbepark, der Segro Park. In der ersten Bauphase errichtet hier DHL Paket Austria seine Österreich-Zentrale. Die Grundstrukturen der Hallen sind schon im Entstehen, noch heuer will DHL den Betrieb aufnehmen.

Der künftige Gewerbepark ist einer der wenigen Fälle, in denen sich in Wien Industriezonen behaupten bzw. ausgebaut werden. Denn die gegenteilige Entwicklung ist im Gange: Laut einer aktuellen Analyse der Wiener Wirtschaftskammer sind seit 2001 rund 460 Hektar Betriebsfläche dauerhaft verloren gegangen, vor allem zugunsten des Wohnbaus. Kammer-Chef Walter Ruck hat erst kürzlich bei einer Pressekonferenz mit Industriesparten-Obmann Stefan Ehrlich-Adám beklagt, dass dies immerhin 21 Prozent der gewidmeten Betriebsflächen in Wien seien.

„Widmungspolitik ist Eigentor“

Die Zahlen sprechen tatsächlich für sich: 2001 gab es laut Kammer noch 1143 Industriebetriebe mit 69.000 Beschäftigten in Wien. Heute sind es nur mehr 700, mit etwa 50.700 Beschäftigten. Eine Entwicklung, die Ruck zu einer deutlichen Kritik am Rathaus veranlasst: „Die Wiener Widmungspolitik ist ein klassisches Eigentor und ein schweres Foul am Wirtschaftsstandort. Es braucht einen Strategiewechsel“, so Ruck.

Die Stimmung unter den Industriebetrieben ist nicht gut. Eine Befragung von 162 Industriemanagern im Frühjahr erbrachte, dass 20 Prozent in den vergangenen Jahren zumindest einzelne Betriebsteile verlagert hatten. Hauptgrund für die Klagen von Unternehmern sind Bürokratie und mangelndes Behördenverständnis. Erwähnt sei aber auch, dass die gute internationale Anbindung über den Flughafen Schwechat, die Nähe zu den Ostmärkten sowie generell die gute Infrastruktur positiv vermerkt wurden.

Anfang des Jahres hat die Sparte Industrie in der Kammer einen Fünf-Punkte-Maßnahmenplan präsentiert, um Wien für Unternehmer attraktiver zu machen. Einer der Vorschläge lautet, Wien nicht nur als Tourismus-, sondern auch als Produktionsstandort zu bewerben. Weiters wird ein Umwidmungsstopp für Industriezonen gefordert, die Reservierung freier Betriebsflächen für die Industrienutzung sowie eine neue Energiestrategie. Außerdem wird eine Harmonisierung der verschiedenen Bundes- und Landesförderungen empfohlen.

Die Stadt hört die Kritik an verfehlter Industriepolitik nicht gern. Im Büro von Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner wird der Vorwurf, dass Industriebetriebe zu wenig unterstützt würden, scharf zurückgewiesen. Stadt und Wiener Wirtschaftsagentur würden sehr wohl Unternehmen unterstützen. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass es zuletzt Rekorde bei den Ansiedlungen internationaler Betriebe gegeben habe.

Die Stadträtin habe mehrmals betont, dass sie sich dafür einsetze, dass genügend Flächen für produzierende Betriebe zur Verfügung stünden, heißt es. Tatsächlich scheint es in den vergangenen Monaten eine Annäherung zu geben. So findet sich etwa im rot-grünen Regierungsübereinkommen ein Bekenntnis zur Sicherung der Betriebsflächen.

Gesprächsbasis wurde besser

Auch von Kammerseite wird anerkannt, dass sich die Gesprächsbasis mit der Stadt in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Bedeutung der Industrie verbessert habe. „Themen können heute leichter angesprochen werden, und es wird zugehört“, sagt Spartenobmann Ehrlich-Adám. „Gerade im Hinblick auf die wachsende Bevölkerung erhält die Industrie einen wichtigen Stellenwert als Arbeitgeber.“

Ausdruck für einen möglichen neuen Stil sind auch die Standortabkommen. So wurde 2014 zwischen Stadt und Industriellenvereinigung eines abgeschlossen; 2017 soll es ein Folgeabkommen geben. Und mit der Wiener Wirtschaftskammer ist ebenso ein Standortabkommen in Arbeit, das voraussichtlich im Herbst unterschriftsreif ist. Dieses soll dann nach den Worten von Kammerchef Ruck „Startschuss und Signal für mehr Unternehmertum in Wien sein“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2016)

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