Wie kleine Monster auf dem Handy das Stadtbild verändern

Pokémons werden in der ganzen Stadt gejagt, ob vor Sehenswürdigkeiten, in Parks oder rund um öffentliche Gebäude.
Pokémons werden in der ganzen Stadt gejagt, ob vor Sehenswürdigkeiten, in Parks oder rund um öffentliche Gebäude. Die Presse/Clemens Fabry
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Ein Spiel verführt zur Erkundung der Stadt – „Pokémon Go“ und seine Auswirkungen.

Wien. Ein Stadtbild ist nicht statisch. Menschen, die auf ihr Handy starren, gehören dazu. Und auch Gruppen von Menschen, die sich durch die Straßen bewegen. Zuletzt dominierte aber eine Mischung aus beidem. Wenn etwa Hunderte, meist junge Menschen, auf dem Wiener Stephansplatz stehen, auf ihre Handydisplays schauen und gelegentlich Bewegungen wie kleine Tänze vollführen. Manche Beobachter setzen noch einen fragenden Blick auf. Andere haben schon erkannt, dass sie gerade an einer Gruppe von „Pokémon Go“-Spielern vorbeigegangen sind.

Langsam ist es schon zu den meisten durchgedrungen – das Handyspiel, das seit etwa einer Woche offiziell in Österreich erhältlich ist. Wenn auch die, die es nicht selbst spielen, vermutlich nur bedingt wissen, was die Menschen mit ihren Handys da gerade machen. Kurz gefasst geht es bei dem Spiel um drei Ebenen. Erstens sammelt man verschiedene Monster ein. Zweitens trainiert man diese virtuellen Tierchen, damit man sie drittens in den Kampf mit den Pokémons anderer Spieler schicken kann. Das gab es zwar alles schon in den Neunzigerjahren. Nur läuft es jetzt mit Augmented Reality, erweiterter Realität – soll heißen, dass die Jagd in der digitalen Welt mit der analogen kombiniert wird. Spieler sehen also die Karte des Orts, durch den sie sich gerade bewegen. Und die Monster, die an bestimmten Koordinaten versteckt wurden, verschwimmen mit der realen Umgebung, die die Handykamera einfängt. Klar, dass das auch die Art verändert, wie sich Menschen durch die Stadt bewegen – zumindest die spielenden.

Anna Taucher, zum Beispiel, geht jetzt häufiger zu Fuß. „Manchmal steige ich schon früher aus der Straßenbahn aus“, sagt die 20-jährige Studentin. Weil unterwegs Pokémons zu finden sind. Und da die in der ganzen Stadt verteilt sind, dringt sie jetzt auch in völlig andere Umgebungen vor. „Man lernt die Stadt und andere Spieler kennen“, sagt sie. Etwa dadurch, dass es zu mancher Sehenswürdigkeit auf dem Bildschirm Erklärungen gibt – Stadterkundung einmal anders.

Die zentralen Treffpunkte in Wien sind derzeit vor allem der Stadtpark (beim See), wo manchmal auch nachts noch hundert Leute stehen, der Stephansplatz und interessanterweise das Amtshaus am Floridsdorfer Spitz, wo es gleich drei Pokéstops (siehe Lexikon) gibt. Übrigens, die „Presse“-Redaktion ist auch eine Arena, in der Turniere ausgetragen werden können. Warum gerade dort? Viele Orte, die in dem Spiel vorkommen, stammen noch aus der Zeit, in der das Vorgängerspiel „Ingress“ gespielt wurde. So wie „Pokémon Go“ wurde es von der Firma Niantic entwickelt und vermischte das Spielgeschehen mit der realen Umgebung. Damals konnten die Spieler per Foto selbst Orte vorschlagen. Einige haben es in das neue Spiel geschafft.

Alexander Wiebogen ist für mehrere davon verantwortlich. Er war schon beim Vorgänger einer der aktivsten Spieler – und ist das nun auch bei „Pokémon“. Level 24, damit ist schon alles gesagt, zumindest innerhalb der Wiener „Pokémon Go“-Community. Der 27-Jährige, der als Programmierer arbeitet, versteht sich als Ansprechpartner der heimischen Spielergemeinde. Die tauscht sich meist in Facebookgruppen aus, Wiebogen selbst betreibt aber auch eine Website (http://pokefans.online), auf der er die Szene mit Neuigkeiten versorgt. Also etwa, dass die Sichtung des legendären Pokémons Mewtwo in Wien bloß eine Falschmeldung sei.

Mittlerweile kursieren schon Karten im Web, auf denen die Standorte von Pokémons angezeigt werden. Interessant ist das vor allem für die selteneren Exemplare. Während Traumato, ein dickeres gelbes Tier mit Rüssel, an vielen Ecken auftaucht, gilt das an eine Kröte erinnernde Bisasam als rarere Spezies, nach der man länger suchen muss. Für einige wenige Pokémons müsste man sogar eine längere Reise in Kauf nehmen – Kangama kann man etwa nur in Australien fangen.

Dass Pokémons an verschiedenen Stellen der Stadt verteilt sind, sorgt dafür, dass plötzlich Spieler an, sagen wir, eher ungewöhnlichen Orten auftauchen. So finden sich etwa Spieler auf der Jagd auch auf dem Wiener Zentralfriedhof. Was die Frage aufwirft, ob das Fangen von Monstern mit der Würde eines Friedhofs vereinbar ist. Für die Friedhöfe Wien ist es kein Problem, allerdings bat man die Spieler via Facebook um pietätvolles Verhalten beim Suchen zwischen den Gräbern.

Auch Unternehmen haben diesen Effekt schon entdeckt, dass sie nämlich vom Spiel profitieren können – der dazu passende Begriff, Pokéconomy, ist auch schon gefunden. Inzwischen werden Pokéstops von Lokalen, etwa Mc Donald's, oder Einkaufszentren wie dem Donauzentrum aktiv angefordert, um Kundschaft anzulocken. Mobilfunkanbieter A1 installierte ein Lockmodul in zwei Filialen – und bot dort vergünstigte Akku-Packs an. Die braucht man, weil die App viel Strom verbraucht. Das alles sei okay, sagt Wiebogen. Aber zu kommerziell dürfe die Vergabe von Pokéstops nicht werden. Für die Spieler selbst spiele es aber keine Rolle, vor welcher Kulisse sie auf Monsterjagd gehen. Hochstrahlbrunnen oder nüchterne Hausfassade – egal, nur die Besonderheit des Monsters zählt.

Nutzung für den Tourismus?

Naheliegend wäre es auch, das Spiel touristisch zu nutzen. Beim Pokémon-Vorgänger „Ingress“ hat Wien-Tourismus sogar eine Großveranstaltung mit Gewinnspielen und Sightseeing-Tipps für angereiste Spieler zumindest ein wenig unterstützt. Auf den aktuellen Hype will man aber nicht aufspringen, sagt Sprecher Walter Straßer – „weil es bei dem Spiel ja nicht um Wien an sich geht“. Aber für die Zukunft will er nichts ausschließen: „Wir warten einmal ab.“

Abwarten muss man auch bei der Frage, wie lang der Pokémon-Hype anhalten wird. „Nach einem halben Jahr“, glaubt Wiebogen, „werden die ersten wieder aufhören.“

LEXIKON

Pokéstops: Sie befinden sich meistens bei Sehenswürdigkeiten und werden in Form von blauen Quadraten auf dem Spielplan angezeigt. An Stops können Belohnungen wie Pokébälle, Bonbons oder Lockmodule eingesammelt werden.

Pokéball: Er wird auf ein Pokémon geworfen, um es einzufangen. Der Ballvorrat sollte bei den Pokéstops regelmäßig aufgefüllt werden.

Bonbons und Sternenstaub: Sie werden an Pokémons verfüttert, um ein höheres Level zu erreichen.

Teams: Ab dem fünften Level muss man sich für ein Team entscheiden, mit dem man an Turnieren teilnehmen kann. Es gibt die Teams Intuition (gelb), Weisheit (blau) und Wagemut (rot).

Pokémon-Eier:Pokémons können auch ausgebrütet werden. Sobald Spieler eine gewisse Distanz zu Fuß zurückgelegt haben, schlüpfen Pokémon-Babys.

Lockmodule: Spieler können sie platzieren, um mehrere Pokémons anzulocken. Sie werden mit virtuellen Pokécoins gekauft – die man auch mit echtem Geld erwerben kann. Shops oder Restaurants locken damit auch schon potenzielle Kunden an.

Arena: Hier finden Turniere statt. Hat ein Team eine Arena eingenommen, platziert es dort drei Pokémons, die ihr Revier verteidigen sollen. Gegnerische Mannschaften können die Arena erobern, indem sie diese Pokémons besiegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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