Wiener Wirte kapitulieren vor der Bürokratie

Nach nur einem Jahr als Wirt gibt Ernst Hellerschmid auf. Für das „Bin beim Artner“ wird ein Nachmieter gesucht.
Nach nur einem Jahr als Wirt gibt Ernst Hellerschmid auf. Für das „Bin beim Artner“ wird ein Nachmieter gesucht.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In Wien ist die Fluktuation bei Lokalen und Cafés hoch. Wirte klagen vor allem über mühsame Bürokratie und sich ständig ändernde Auflagen, die sie bis zur Aufgabe treiben.

Wien. Irgendwie spielt fast jeder einmal mit dem Traum vom eigenen Lokal. Ernst Hellerschmid (33) machte seinen im Juni 2015 wahr und übernahm im 20. Bezirk das Traditionsgasthaus Artner in der Dammstraße. Seine Frau, Julia, die eigentlich Druckgrafikerin ist, kocht. Das Sauerteigbrot macht sie genauso selbst wie das Ketchup. Ernst, eigentlich Elektriker, gibt den Wirt. Das junge Paar wurde von Gastrokritikern gelobt – für die boomende innere Brigittenau ist das Gasthaus ein echter Gewinn.

Jetzt, ein Jahr später, steht das Lokal vor dem Aus. Der Grund: „Seit wir hier sind, quälen uns die Behörden. Ständig kommen neue Auflagen. Und obwohl wir guten Umsatz haben, geht sich das einfach nicht mehr aus“, sagt Ernst Hellerschmid. Als sie das Artner übernommen haben, wurde das Beisl nach Vorgaben der Behörden saniert. „Sie haben uns versprochen, dass so nun alles in Ordnung sei“, sagt Hellerschmid.

Aber schon bald fingen die Probleme an: Die Schanigartengenehmigung ließ bis in den Hochsommer auf sich warten. Das Marktamt kritisierte die Küche und kommt nun regelmäßig. Julia musste mit Plastikkärtchen beschriften, wo welche Lebensmittel geschnitten werden. Wie Eier zu lagern sind, dafür gab es unterschiedliche Anweisungen: Zum Schluss musste eine genormte Plastikbox angeschafft werden. Kosten: 50 Euro. Und so flossen für kleine Investitionen oder Strafen mehrere Tausend Euro. Dazu musste der Kredit abbezahlt werden. „Wir leben derzeit zusammen von rund 700 Euro im Monat bei einer 60-Stunden-Woche“, sagt Ernst Hellerschmid.

Zuletzt erklärte die Behörde, dass ein Strom- und Gasbefund nötig sei. Kosten: knapp 7000 Euro – eventuelle Reparaturen noch nicht inklusive. „Als wir aufgesperrt haben, hat man uns nichts davon gesagt. Überhaupt sind für ein und dieselbe Sache immer mehrere Behörden zuständig, die sich teilweise selbst nicht auskennen.“ Das alles war finanziell zu viel für das kleine Lokal. Im Herbst soll geschlossen werden, ein Nachmieter wird gesucht.

Hohe Fluktuation

Derartige Geschichten gibt es viele. Laut Wirtschaftskammer sperrten 2015 von 5400 Gastronomiebetrieben 864 zu – rund 1000 kamen neu dazu. Von 1970 Wiener Cafés schlossen 350, während 390 neue aufsperrten. Die Fluktuation ist hoch. Grund dafür sind auch die vielen neuen, sich ständig ändernden, aber mit Investitionen verbundenen Regelungen, denen die Gastronomie in den vergangenen Jahren unterworfen war. Es begann mit der Raucherregelung, die bauliche Trennung vorschrieb. Im Mai 2018 kommt das gänzliche Rauchverbot. Die Allergenkennzeichnung, verlangte Schulungen des Personals. Die Anschaffung der Registrierkassen kostete – nun gab es wieder nachträgliche Änderungen.

Mit Herbst gibt es eine neue Regelung für Schanigärten. Gastronomen müssen nun zwei bis drei Mal so hohe Gebühren entrichten, dafür dürfen Winterschanigärten betrieben werden. Dominik Prousek, Juniorchef der Konditoreikette Aida, sieht darin keine Verbesserung, da Schanigartengenehmigungen und dazugehörige Auflagen noch immer nach Einzelfall entschieden werden. Als Beispiel nennt er die Filiale auf der Mariahilfer Straße. „Entsprechend des Corporate Design wollten wir rosa Schirme aufstellen, das wurde uns verboten, und wir mussten neue, sandfarbene, kaufen.“ Auch die Pflanzen, die zur Verschönerung des Stadtbilds angeschafft wurden, mussten weg. Die Aida betreibt 28 Filialen in Wien – für jede gibt es andere Regelungen. Denn wie groß ein Schanigarten oder Schirme sein dürfen, wie lange und in welchen Monaten er geöffnet sein darf, entscheidet der Bezirk. „Administrativ ist das ein großer Aufwand.“

Langwierige Bürokratie

Mindestens so mühsam wie Genehmigungen für Schanigärten zu bekommen ist es, überhaupt eine Betriebsanlagengenehmigung zu erwerben. Die wird erst erteilt, wenn der Gastrobetrieb fix und fertig ist – die Bearbeitungsdauer liegt derzeit laut Wirtschaftskammer bei zwei bis drei Monaten – meist dauert es deutlich länger. In dieser Zeit zahlt ein Wirt aber schon Miete, hat laufende Kosten und keine Einnahmen. Für kleine Betriebe mit wenig Kapital ist das ein großes Problem. Die Stadt Wien ist sich dessen bewusst: „Wir arbeiten daran, die Prozesse zu beschleunigen“, heißt es aus der Magistratsdirektion.

AUF EINEN BLICK

Lokale. Raucherregelungen, Allergenverordnung, Registrierkasse, neue Schanigartengesetze, die Betriebsanlagengenehmigungen und überbordende Bürokratie: Gastronomen klagen über die Belastung durch Behörden und ihre Vorschriften. Ernst Hellerschmid legte mit seinem Lokal „Bin beim Artner“ in der Brigittenau einen guten Start hin – ein Jahr später sperrt er nun bald zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2016)

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