ÖVP-Vorzugsstimmenmodell verfassungswidrig

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Die Wiener ÖVP verschärft den internen Konkurrenzkampf, damit alle Kandidaten um ihr eigenes Mandat stärker kämpfen müssen. Die dazu beschlossene interne Regelung zu Vorzugsstimmen ist allerdings verfassungswidrig.

Wien. Gernot Blümel, Obmann der Wiener ÖVP, verschärft den internen Konkurrenzkampf. Durch die radikale interne Senkung der Vorzugsstimmenhürde müssen künftig ÖVP-Mandatare stärker um ihre Wähler kämpfen – „Die Presse“ berichtete in ihrer Mittwochausgabe.

Die Regelung, die im April beim ÖVP-Landesparteitag grundsätzlich beschlossen wurde, hat aber einen Haken: Sie ist verfassungswidrig. „Die gesetzliche Regelung geht vor. Und man kann nicht eine parteiinterne Regelung über das Gesetz stellen“, sagt Verfassungsjurist Heinz Mayer zur „Presse“. Wem laut offizieller (von einer Partei vor der Wahl eingereichten) Liste ein Mandat zustehe, der habe Anspruch darauf. „Das kann ihm niemand nehmen“, so Mayer. Nachsatz: „Natürlich kann jemand auf die Annahme des Mandats verzichten. Aber dazu kann ihn niemand zwingen.“

Verzichtserklärung ungültig

Damit besteht die Gefahr, dass ein Kandidat, dem nach der Wahl ein gut dotiertes Mandat zusteht, doch nicht darauf verzichtet – weil er sonst leer ausgehen würde.
Das sind keine rein theoretischen Überlegungen, wie der Fall Sonja Ablinger bei der SPÖ gezeigt hat. Nach dem Tod von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Jahr 2014 sah die SPÖ-interne Regelung vor, dass auf eine Frau eine Frau folgen muss. Immerhin hatte die Partei eine entsprechende Frauenquote beschlossen. Das Mandat wäre demnach an die Oberösterreicherin Sonja Ablinger gegangen. Rechtlich hätte dazu der Gewerkschafter Walter Schopf verzichten müssen, der auf der amtlichen SPÖ-Wahlliste direkt hinter Prammer stand. Er tat es nicht, zog statt Ablinger in den Nationalrat ein, was zu schweren innerparteilichen Turbulenzen bei der SPÖ führte – inklusive eines Parteischiedsgerichts. In der Folge trat Ablinger als Landesfrauenvorsitzende zurück und aus der SPÖ aus.

Könnte nicht eine Partei auf die Idee kommen, sich dagegen abzusichern? Stichwort: Blankoverzichtserklärungen vor der Wahl. Dazu Mayer: „Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in den 1950er-Jahren entschieden, dass Blankoverzichtserklärungen ungültig sind.“ Damals habe es entsprechende Fälle gegeben, das Höchstgericht habe darauf geantwortet: „Die Regelung widerspricht dem freien Mandat.“

Der Wiener ÖVP ist die rechtliche Situation bewusst, man hält die eigenen Mandatare für „moralisch genug gefestigt“ um ein Ablinger-Szenario auszuschließen. Immerhin sei das System bei der Wien-Wahl erprobt worden und hätte funktioniert: Ingrid Korosec und Gudrun Kugler seien per Vorzugsstimmen doch noch in den Gemeinderat gekommen – nachdem Caroline Hungerländer und Wolfgang Kieslich anstandslos verzichtet hätten. Dazu Vizeparteimanagerin Iris Müller-Guttenbrunn: „Wir treten für eine Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts ein und geben uns daher selbst Regeln, die über die gesetzliche Regelungen hinausgehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2016)

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