Architekt Neumann: "Nur 'wow' zu bauen halte ich für falsch"

Heinz Neumann in einem Besprechungsraum im Keller seines Büros in der Muthgasse in Wien Döbling.
Heinz Neumann in einem Besprechungsraum im Keller seines Büros in der Muthgasse in Wien Döbling. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Er ist einer der bekanntesten Wiener Architekten: Heinz Neumann wird am Dienstag 75 Jahre. Mit lauter Architektur kann er noch immer nichts anfangen.

Die Presse: Der Uniqa Tower, Hochhäuser in der Donau City und am Wienerberg, die neuen Gebäude am Westbahnhof: Sie haben viele bekannte Wiener Häuser entworfen. Haben Sie dabei ein Lieblingshaus?

Heinz Neumann: Ich habe bei allen meinen Gebäuden mein Bestes gegeben. Vielleicht ist das eine oder andere ein bisschen expressiver, weil es zum Beispiel eine Konzernzentrale ist – dann gibt es Gebäude, die vermietet werden sollen, da muss man sich etwas zurücknehmen, weil sie mehr Menschen gefallen müssen. Wenn 20 Firmen in so ein Gebäude einziehen, sollte es ein bisschen neutraler sein. Der Spielraum bei solchen Gebäuden ist sehr gering. Ich habe jetzt ein Ferienhaus in den Alpen gebaut – und das gefällt mir sehr gut. (lacht) Eine expressive Sache, weil es für einen Bauherrn war, der das gewünscht hat.

Die großen Gebäude als Pflicht, die kleineren Projekte als Kür, sozusagen?

Das möchte ich nicht sagen. Auch in die großen, mühevollen Bauvorhaben kann man sehr viel Herzblut hineinlegen – wenn man sich mit dem Bauherrn versteht. Nur ein guter Bauherr und ein guter Architekt können ein gutes Haus schaffen. Wenn einer der beiden nicht gut ist, kann daraus fast nichts werden.

Was ist denn für Sie schönes, gutes Bauen?

Gestaltung und Ästhetik spielen eine sehr große Rolle, nur: Man muss das Geschick entwickeln, dass man die sinnvollen Aspekte – das sind wirtschaftliche, funktionelle, terminliche, finanzielle – einordnen kann in die Schönheit eines Gebäudes. Ich sehe diese Aspekte und die Gestaltung gleichwertig. Ich kann nicht nur gestalten und alle anderen Aspekte hintanstellen. Dann entstehen Gebäude, die nicht funktionieren, die zu teuer sind, die nicht termingerecht fertig werden und die vielleicht so manches Auge irritieren. Das ist für mich falsch.

Das klingt pragmatisch, nicht hochtrabend kreativ.

Nur für den Wow-Effekt zu bauen, ohne die Betrachtung dieser intelligenten Aspekte, halte ich für falsch. In dem Punkt bin ich nicht mit allen hochgefeierten Architekturstars einer Meinung. Frank Gehry kann bauen, was er will, das schicke ich gleich voraus, nur halte ich seine Sachen eher für zur Nachdenklichkeit anregend. Auch bei Zaha Hadid gibt es Nachdenklichkeiten anzumelden.

Welche Arbeit Ihrer Kollegen gefällt Ihnen dann?

Es gibt in Wien, in Österreich, wunderbare Architekten, die herrliche Architektur machen. Zum Beispiel Delugan Meissl: stillschweigend großartige Sachen, nicht großes Wow-Geschrei.

Ist es nicht auch wichtig, dass man Fantastisches baut? Nicht immer nur das Pragmatische, sondern auch Dinge, die den Betrachter zum Träumen einladen?

Finden Sie die Peterskirche in Rom denn nicht fantastisch?

Es geht doch um zeitgemäße Architektur – Architektur, die unserer Zeit und dem Zeitgeist entspricht, der Technologie.

Die gibt es ja auch. Es gibt ja zeitgemäße Architektur, die wunderbar ist.

Sie lehnen also nur die Wow-Architektur, wie Sie sie nennen, ab.

Wenn man nach Bilbao fährt, kann man auf einen Berg gehen und hinunterschauen. Da sind ein Flüsschen und eine intakte Stadtlandschaft – und aus der heraus kracht ein Ozeanriese neben Fischerhütten, und das ist das Guggenheim-Museum Bilbao von Frank Gehry. Und wenn man dann sagte, dass das die Zukunft der Baukultur sei, dann wäre ich enttäuscht. Es ist verfehlt vom Maßstab, es sind runde Säulen darin, die mit Steinen verkleidet wurden – was das kostet, diese Steine so zuzuschneiden! Und jetzt wird das als Architekturwunderwerk gefeiert. Ich habe keinen Sinn dafür.

Die Zukunft der Baukultur liegt ja auch in den Händen des Nachwuchses. Wie steht es um die jungen Architekten in Österreich?

Hierzulande wird die große Geste gelehrt. Aber vom Bauen verstehen die wenigsten etwas. Die Ausbildung ist bei uns in die falsche Richtung gegangen in der letzten Zeit. Man legt viel Wert auf Dialog, auf wunderbare Architektonismen in der Sprache, auf große Gestik in der Architektur, statt sich damit auseinanderzusetzen, wie man baut. Die ganzen wunderschönen historischen Gebäude sind nicht von Studierten entworfen worden – das waren Leute, die das Bauen gelernt hatten. Wenn Sie ein historisches Gebäude anschauen, dann sehen Sie das Tragen und das Lasten: Es hat Tektonik, und das entspricht sehr den ästhetischen Ansprüchen des Menschen. Das spürt ein Mensch. Wenn man nur wilde Auskragungen macht – aus Jux und Tollerei –, kostet das viel Geld, ist kompliziert zu bauen, ist reine Wow-Architektur. Was davon bleiben wird, wissen wir noch nicht.

Das Erbe einer Generation, quasi.

Die Jungen sollen sich entwickeln, sollen bauen lernen. Sie werden das Bauen verstehen. Sie werden die Verantwortung tragen. Wir Architekten schaffen jene Umwelt, an der wir einmal in 50 Jahren gemessen werden. Wenn wir Blödsinn bauen mit jugendlichem Ungestüm, dann werden wir in 50 Jahren nicht gut beurteilt werden.

Haben Sie denn einmal Blödsinn gebaut?

Na Gott sei Dank, ja! Wer keinen Blödsinn gebaut hat, der hat nie gebaut. Es gibt diesen Spruch: Das erste Haus baut man seinem Feind, das zweite seinem Freund, und das dritte Haus baut man sich selber. Wenn ich etwas gut gemacht haben möchte, gehe ich zu jemand Erfahrenem. Das ist bei einem Rechtsanwalt so, bei einem Chirurgen, und auch bei einem Architekten. Ich zitiere nach Adolf Loos: Architekt wird man mit 50. Er hat recht.

ZUR PERSON

Heinz Neumann feiert am Dienstag seinen 75. Geburtstag. Der gebürtige Wiener begann 1960 sein Architekturstudium an der Technischen Universität in Wien, seit 1973 ist er als Architekt selbstständig, zuvor arbeitete er unter anderem im Büro von Karl Schwanzer.

Mit seinem Büro ist Neumann vorwiegend in Wien tätig, seine Bauten prägen das Stadtbild. Neben Wohn- und Büroanlagen gehören zu Neumanns Entwürfen auch bekannte Großprojekte in der Hauptstadt, wie etwa der Uniqa Tower am Donaukanal, der Saturn Tower (entworfen mit Hans Hollein) und der Ares Tower in der Donau City, der Geschäftspark Euro Plaza am Wienerberg oder die An- und Umbauten beim Westbahnhof. In Linz zeichnete das Büro für das Landesdienstleistungszentrum verantwortlich.

Ein aktuelles Großprojekt des Büros Neumann – mittlerweile sind Neumanns Partner Oliver Oszwald und Florian Rode ebenso geschäftsführend wie der Bürogründer – liegt erneut an einer zentralen Stelle der Wiener Architektur-Selbstdefinition: im Quartier Belvedere neben Erste Campus und Hauptbahnhof. Dort, am „Quartier Belvedere Central“, wird im Moment ein von Neumann entworfenes Hotel und Bürohaus gebaut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2016)

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