In einem Brief werden die Wiener Spitalsärzte aufgerufen, beim Warnstreik am 12. September nicht teilzunehmen. Dies sei „als Schutz vor Dienstpflichtverletzungen“ zu verstehen.
Wien. Ein Brief an die Wiener Spitalsärzte mit der Aufforderung, sich an dem geplanten Warnstreik am 12. September nicht zu beteiligen, sorgt seit Freitag für Unmut und Empörung unter der Ärzteschaft. In dem von der Personalstelle der Generaldirektion im Krankenanstaltenverbund (KAV) verschickten Schreiben wird sogar damit gedroht, dass „eine Verschiebung von Diagnostik und Therapie sowie die Nicht-Versorgung von Patienten in diesem Zusammenhang als Dienstpflichtverletzungen gewertet werden“. Zudem könnten „für die Teilnahme an diesen Veranstaltungen keine Mehr- bzw. Überstunden geltend gemacht werden“.
Fassungslos zeigt sich die Ärztekammer und betont, „dass für den Tag des Warnstreiks auch explizit erteilten Dienstanweisungen der Vorgesetzten nicht Folge geleistet werden muss“. Das sei „das Wesen“ eines Streiks.
„Streik außerhalb des Dienstes“
In dem Brief des KAV steht weiter, dass „die Teilnahmen (am Streik, Anm.) ausschließlich außerhalb der Dienstzeit erfolgen können“. Und dass „an diesen Tagen ein ordentlicher Dienstbetrieb mit normaler Patientenfrequenz und Patientenversorgung sicherzustellen ist. Eine Reduktion der Leistungen bzw. Ärztepräsenz analog zu einem Feiertags- bzw. Wochenendbetrieb ist nicht zulässig.“ Darüber hinaus wird an alle Ärzte „appelliert, ihren Versorgungsauftrag analog aller anderen Berufsgruppen wahrzunehmen, da aus Sicht des KAV kein Streikgrund vorliegt“. Die Ärztlichen Direktoren sowie die Primarärzte hätten diese Vorgaben sicherzustellen. Das Schreiben solle „als Schutz vor Dienstpflichtverletzungen und als Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter verstanden werden“.
Auf Nachfrage teilte ein Sprecher des KAV mit, dass man als Arbeitgeber verpflichtet sei, die Arbeitnehmer über mögliche negative Auswirkungen zu informieren, sollten sie während ihrer Dienstzeit an dem Streik teilnehmen. Denn dadurch bestehe die Gefahr, dass der Versorgungsauftrag gegenüber den Patienten „nicht vollumfänglich“ erfüllt werden könne.
Der Warnstreik am 12. September soll von 9 Uhr bis 13 Uhr dauern. Treffpunkt ist der Dr.-Karl-Lueger-Platz bei der U3-Station Stubentor. Ab 10 Uhr startet von dort ein Demonstrationszug, der über den Ring und die Weihburggasse zum Franziskanerplatz führt, wo auch die abschließende Kundgebung bis 12 Uhr stattfinden wird. Ab 13 Uhr müssen die Ärzte ihren Dienst im Spital aufnehmen.
„Die Ärzte haben selbstverständlich genauso wie andere Arbeitnehmer das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht zu streiken, wenn es um die Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen geht, der Streik als letztes Mittel m Arbeitskampf ergriffen wird und verhältnismäßig ist“, heißt es vonseiten der Ärztekammer. Schließlich sei es das Wesen eines Streiks, „sich Dienstanweisungen von Vorgesetzten zu widersetzen“. Hierbei könne es zu keinen dienstrechtlichen Konsequenzen wie beispielsweise die Auflösung des Dienstverhältnisses kommen. Ein Streik bedinge sogar rechtlich, dass ein Notdienst aufrechterhalten wird, der auch die Verschiebung von Terminen bei Diagnostik und Therapie beinhalte. Die Ärztekammer habe jedenfalls „absolut kein Verständnis für die Einschüchterungsversuche der Stadt Wien und des KAV“.
„Niemand in Gefahr“
Kammerpräsident Thomas Szekeres hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dass es am Streiktag einen Feiertagsbetrieb geben werde. „Das heißt, es wird niemand in Gefahr sein, Notfälle werden behandelt. Die Patienten werden betreut wie an jedem Nachmittag, in der Nacht, am Samstag, Sonn- oder Feiertag.“ Entfallen werden hingegen geplante Eingriffe oder vereinbarte ambulante Untersuchungen. Was laut dem Kammerpräsidenten auch keine Premiere darstellt: „Die entfallen leider jetzt auch schon immer häufiger. Das ist ja auch etwas, wogegen wir protestieren. Weil die ärztliche Arbeitszeit so reduziert wurde und noch weiter wird, dass wir massive Verzögerungen in der Behandlung der Patienten haben.“ Die Abklärung von schwerstkranken Patienten dauere jetzt schon oft Wochen.
"Wir bestehen auf Rücknahme der Maßnahmen, die mit 1. September angeordnet wurden“, sagt Szekeres. Gemeint ist vor allem die Streichung von 40 Nachtdiensträdern. „Das Verschieben von Nachtarbeit in den Tag funktioniert nicht. Insbesondere nicht, wenn ich gleichzeitig die Überstunden auf Null reduzieren will.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 3. September 2016)