Erzdiözese Wien: „Flüchtlinge baden Fehler aus“

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Der Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien tritt nach einem Jahr ab. Die Politik habe die freiwilligen Helfer oft alleingelassen.

Wien. Aus einem „Wir schaffen das“ sei ein „Wir haben es geschafft“ geworden – der Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, Rainald Tippow, zieht nach einem Jahr in dieser Position eine positive Bilanz – innerhalb der Kirche. Die Erzdiözese habe 1100 Flüchtlinge aufgenommen und betreut sowie insgesamt 50.000 Nächtigungen in Notquartieren ermöglicht. „Es hat noch nie so viel Austausch zwischen zwei weit entfernten Kulturen gegeben“, erklärte Tippow. Noch nie so viele Muslime, die Weihnachten mit Christen gefeiert haben, noch sie so viele Frauen mit Kopftuch im Kirchenchor.

Seinen Job als Koordinator hat Tippow bereits vor wenigen Tagen zurückgelegt. Ein Zeichen, dass sich die Situation wieder weitgehend normalisiert habe. In der Erzdiözese wird es weiterhin Ansprechpersonen für Flüchtlingsfragen geben. Anders sei die Situation außerhalb der Kirche gewesen. Die freiwilligen Helfer seien immer wieder an ihre Grenzen bei Behörden und Politik gestoßen. „Viele der Engagierten haben den Eindruck gehabt, dass sie von Verwaltung und Politik massiv alleingelassen worden sind“, kritisierte er. Sei es bei der Suche nach Deutschkursen, Unterkünften oder Jobs. So seien einige der von der Kirche betreuten Flüchtlinge zwar in AMS-Kompetenzchecks für qualifiziert befunden worden, eine schnelle Facharbeiterausbildung zu absolvieren. „Bis heute kenne ich aber niemanden, der die Ausbildung tatsächlich gemacht hat“, sagt er.

Probleme habe es auch bei Deutschkursen gegeben. So hätten Helfer berichtet, dass Flüchtlinge Kurse auf demselbem Niveau wiederholen mussten, da im fortführenden Kurs kein Platz gewesen sei. Andernorts habe eine Frau berichtet, dass sie im Kurs neben einer Türkin gesessen sei, die erst nach 20 Jahren im Land Deutsch lerne. „Die Flüchtlinge baden Fehler der Integrationspolitik in den vergangenen Jahren aus“, sagt er.

„Massive Anfeindungen“

Auch die Polarisierung der Bevölkerung habe man gespürt. Freiwillige Helfer seien vereinzelt „massiv angefeindet“ worden. Während es mit den Flüchtlingen selbst kaum Probleme gegeben habe. Weder habe sich jemand geweigert, sein Kind in einen kirchlichen Kindergarten zu schicken, noch habe die Kirche irgendwo ein Kreuz abgenommen, weil sich Muslime gestört gefühlt hätten.

Damit Integration gelingen kann, sagt Tippow, müsse man schon früh die Regeln für ein Zusammenleben klären. Das umfasse Themen wie Gleichstellung der Geschlechter, die Religionsfreiheit und die Strafbarkeit von Gewalt in der Familie. Die „viel gescholtenen Wertekurse“ hält er deshalb für gut. Insgesamt nahmen 250 Pfarren von rund 660 in der Erzdiözese Flüchtlinge auf. Untergebracht waren die Menschen in kleinen Quartieren von ein bis maximal 25 Personen, weswegen es auch nicht „Probleme wie in Massenquartieren“ gegeben habe. (win)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2016)

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