Wie Wien einen 5,4 Milliarden großen Schuldenberg anhäufte

Noch nie zuvor wachte Wiens Rathausmann über mehr Schulden als 2015.
Noch nie zuvor wachte Wiens Rathausmann über mehr Schulden als 2015.(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Die Bücher lügen nicht: Obwohl Wien so viel Gebühren und Abgaben einhebt wie nie zuvor, befindet sich der Schuldenstand mit 5,4 Milliarden Euro auf einem historischen Rekordstand. Wie es dazu kam? Ein Kassasturz in Zahlen und Grafiken.

Alles andere als mehr Schulden wäre eine Sensation gewesen: Vor den Sommerferien veröffentlichte Wiens Stadtregierung ihre Budgetrechnung für das nun vollständig vorliegende Jahr 2015. Noch nie waren die Verbindlichkeiten so hoch wie jetzt. Mit 31. Dezember stand das Rathaus mit genau 5.421.608.851,84 Euro in der Kreide. Ein Gutteil der Schuld liegt nach wie vor in Schweizer Franken vor.

Wie kam es dazu, dass sich dieser Betrag seit 2007 fast vervierfacht hat? Welche Sektoren trieben die Roten Zahlen besonders voran? Und in welchen Gesamtzusammenhang muss man die Entwicklung setzen? Lesen Sie im Folgenden den Wiener Budget-Check der „Presse“ mit belastbaren Daten aus den Büchern der Stadt.

In einigen Grafiken können Sie den Mauszeiger über die Darstellung bewegen, und erfahren dabei die dahinter stehenden Detailzahlen. Auf manchen mobilen Endgeräten wie Smartphones kann es passieren, dass die Grafiken die Displaybreite sprengen. Um die Präsentation vollständig darzustellen, drehen Sie Ihr Gerät bitte ins Querformat.

Betrachtet man die Abrechnungen früherer Jahre, dann fällt auf, dass Wien wie viele andere Gebietskörperschaften sich seit jeher immer wieder Geld ausborgt. Das ist ganz normal. Bemerkenswert jedoch erscheint, dass diese Entwicklung bis in die Jahre unmittelbar nach der großen Finanzkrise ziemlich stabil war, vereinzelt sogar Schulden abgebaut wurden. Damals hieß der Finanzstadtrat Sepp Rieder. 2007 übernahm Renate Brauner das Amt, das sie bis heute inne hat. Danach crashten Finanzwirtschaft und Wiens Budget.

Wie sehr sich das Klima änderte zeigt sich deutlich, wenn man sich in den endlosen Zahlenkolonnen des Budgets (wer will, der kann sich HIER selbst aus erster Hand informieren) ausschließlich auf die nominellen Veränderungen des Schuldenstands im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr konzentriert. Nach einer kurzen Zeitspanne des Schuldenabbaus schien es nach dem Finanzcrash kein Halten bei der Neuverschuldung mehr zu geben. Ab 2012 stabilisierte sich die Lage wieder, ehe die Stadtregierung nun das, abgesehen von den Jahren 2010 und 2011, schlechteste Budget der veröffentlichten Aufzeichnungen vorlegte.

Die Stadtregierung argumentiert bis heute, dass die Neuverschuldung der Jahre 2009 bis 2011 die Konsequenz der eigenen Wirtschafts- und Arbeitsmarktstrategie war. Und dies auch heute so noch gelte. Sich „aus der Krise heraus investieren“ verwendeten Spitzenpolitiker vom Bürgermeister abwärts. Zudem habe man Einbußen bei den Einnahmen verzeichnet. Dem Inhalt der eigenen Bücher nach zu schließen ist das jedoch nur ein Teil der Wahrheit.

Die Gegenüberstellung von Ausgaben und Einnahmen (ohne Fremdmittel) zeigt jedenfalls, dass zu jener Zeit tatsächlich die Einnahmen aus Zuweisungen anderer öffentlicher Rechtsträger, insbesondere des Bundes, leicht zurückgingen. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben jedoch erheblich, sodass die Finanzierungslücke größer wurde.

* Anmerkung der Redaktion: Die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen (2015: 1,1 Mrd. Euro) ist höher als die Nettoneuverschuldung des jeweiligen Berichtsjahres (542 Mio. Euro). Das ist deshalb so, weil in dieser Rechnung auch Kredite und Anleihen zu berücksichtigen sind, die fällig wurden und mittels neuer Finanzierungen abzugelten waren. Nachzuvollziehen ist das in der kameralistischen Buchhaltung unter der Position "Fremdmittelaufnahmen". Hier exemplarisch das Beispiel aus 2015 (S. 4).

Nun ist es in Österreich so, dass sich Bundesländer und Städte (für Wien gilt beides gleichzeitig) nur zu einem kleinen Teil direkt über die eigenen Einwohner finanzieren. Der Großteil dessen, was in die Kasse fließt, kommt über den Finanzausgleich oder andere Zahlungen aus dem Bundesbudget (zum Beispiel für Lehrergehälter).

Dort, wo es Wien unmittelbar selbst in der Hand hat, gab es im Lauf der vergangenen Jahre für das Finanzressort jedoch alles andere als ein Einnahmenproblem. Die Gebührenerlöse für Müllentsorgung, Wasserversorgung und Kurzparken zeigen einen steilen Trend nach oben. Das gleiche gilt für eigene, unabhängig vom Bund eingehobene Steuern und Abgaben.

* Anmerkung der Redaktion: Die Einnahmen aus Gebühren für die Abwasserentsorgung fielen im Jahr 2009 aus dem Zentralbudget. Grund: Die Magistratsabteilung 30 wurde in die Unternehmung Wien Kanal umgewandelt. Da deren Einnahmen nicht detailliert im Jahresabschluss der Stadtverwaltung aufscheinen, wurden zur besseren Vergleichbarkeit auch die Einnahmen der Vorjahre für die Grafik herausgerechnet. Im letzten verfügbahren Jahr 2008 machten die Einnahmen aus Kanalgebühren 187,7 Mio. Euro aus.

Wie überdurchschnittlich hoch der Einnahmenzuwachs war zeigt sich dann, wenn man die Steigerungsraten der einzelnen Sektoren mit der Inflation für den gewählten Untersuchungszeitraum (2004 bis 2015) vergleicht: In allen Fällen waren die Profite des Finanzressorts stärker, erheblich sogar, wie die folgende Grafik zeigt.

Die nächste Gebührenerhöhung ist inzwischen auf Schiene. Mit 1. Jänner 2017 wird der Magistrat seine Forderungen erneut erhöhen.

Aber wie ist das möglich?Per Gesetz sind Gebührenerhöhungen in Wien nämlich an die Inflation gebunden, dürfen allenfalls nur darunter liegen. Die Erkärung: Einerseits kann die Stadtregierung zusätzliche Gebührenfelder erschließen und Geltungsbereiche ausweiten (Beispiel: Kurzparkzonen). Andererseits wuchs Wiens Bevölkerung seit 2004 um etwas mehr als 200.000 Einwohner. Auch das führte zu Mehreinnahmen.

Mit dem Wachstum der Ausgaben konnte der Dreh an der Gebührenschraube jedoch mit Abstand nicht mithalten – wobei ja eine Querfinanzierung anderer Sektorenzumindest aus Einnahmen der Daseinsvorsorge gar nicht zulässig wäre. Abgesehen von den Kosten für die allgemeine Verwaltung verursachen die Sektoren Soziales, Gesundheit, Bildung und Finanzen die höchsten Ausgaben. In Wien öffnete sich das Budgetloch während der vergangenen Jahre auch deshalb so weit, weil ausgerechnet die ohnehin schon großen Teilbereiche die stärksten Ausgabenzuwächse verzeichneten.

Wenig überraschend machen die Sozialausgaben mit zuletzt 2,4 Mrd. Euro pro Jahr die größte Position im Wiener Budget aus. Für den Kassenbestand verheerend ist jedoch, dass dieser traditionell kostenintensive Sektor im untersuchten Zeitraum auch besonders stark wuchs, und zwar um 95,4 Prozent. Noch stärker stiegen die Ausgaben nur im Bereich „Finanzen“ (96,3), was einleuchtet, weil sich genau hier die zusätzlich aufgenommenen Schulden sowie die daraus resultierenden Zinszahlungen niederschlagen.

Zurückgegangen sind zwischen 2004 und 2015 nur die Ausgaben von zwei budgetären Teilsektoren: „Dienstleistungen“ und „Wirtschaftsförderung“. Die Aufgabe der Letztgenannten erklären sich von selbst. In den Bereich Dienstleistungen fallen Kernbereiche der Verwaltung wie Müllabfuhr, Wasserversorgung, Wiens Bäder, Gartenanlagen und auch das Marktamt. Wichtig zu wissen ist dabei, dass der Rückgang zu einem überwältigenden Teil daraus resultiert, dass im Jahr 2014 der Krankenanstaltenverbund (also die Wiener Spitäler) in der Haushaltsrechnung vom Bereich Dienstleistungen in den Bereich Gesundheit verschoben wurden. Entsprechend stark ist umgekehrt der Anstieg der Ausgaben ebendort.

Öffentlich, vor allem aber unter Experten und Oppositionspolitikern besonders intensiv diskutiert wurde und wird jener Teil von Wiens Schuldenlast, der in Schweizer Franken aushaftet. Obwohl nun schon länger keine zusätzlichen Fremdwährungskredite aufgenommen wurden, erreichte dieser „Rucksack“ im Jahr 2015 mit 1,84 Milliarden Euro einen historischen Höchststand. Zu tun hat das ausschließlich mit der Kursentwicklung des Franken zum Euro.

Trotz des derzeit nach wie vor nachteiligen Wechselkurses hat sich die Stadtregierung im Frühjahr 2016 dazu entschlossen, halbjährlich 150 Mio. Euro dieser Last so lange abzutragen, bis keine Fremdwährungskredite, die ausschließlich in Franken vorliegen, offen sind. Allerdings mit der Option, diesen Plan bei weiteren Entwicklungen zum Nachteil des Steuerzahlers zu unterbrechen.

Dabei versuchte die Stadtregierung im Lauf der Vergangenen Jahre in der Öffentlichkeit immer wieder den Eindruck zu erwecken, dass man bereits Anstrengungen unternommen habe, um die Bedeutung dieses mit Risiken behaftete Finanzinstruments für Wien zu minimieren. Hierfür wurde – wie folgende Darstellung zeigt – vorgerechnet, dass der Anteil der Fremdwährungskredite im Lauf der Jahre massiv zurückgefahren wurde.

Seitens der Stadtregierung sagte zum Verständnis dieses Rechenspiels jedoch niemand dazu, dass das nur möglich war, weil gleichzeitig die Gesamtschulden regelrecht explodierten, also die relevante Bezugsgröße für die Rechnung massiv stieg (siehe auch Darstellung der Gesamtschulden zu Beginn des Artikels).

Bei all den Zahlenspielereien und Debatten darüber, welche Aussagekraft solchen Daten innewohnt, sei zum Schluss das Schuldenproblem an Hand einer der einfachsten verfügbaren Darstellungsformen illustriert: Seit dem Jahr 2004 sind die städtischen Verbindlichkeiten pro Bürger in Wien von einst 959 auf zuletzt 2946 Euro gestiegen.

Auf mehrfachen Leserwunsch haben wir diesen Artikel nachträglich um einen Bundesländervergleich aktualisiert. Dazu muss man wissen, dass Wien im Unterschied zu den anderen Ländern den systembedingten Nachteil hat auch jene Aufgaben wahrnehmen zu müssen, die andernorts den Gemeinden obliegen. Bei direkten Gegenüberstellungen muss das mitbedacht werden.

Weiters ist die Datenbasis eine andere als jene des Rathauses selbst. Der Gesamtschuldenstand ist nämlich mit 6,26 Mrd. Euro deutlich höher als jener, der im Budget angegeben wird (5,42 Mrd. Euro). Warum? Der Grad der Ausgliederung von Betrieben mit öffentlichen Aufgaben ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Eine gewisse Vergleichbarkeit entsteht also nur dann, wenn man eben diese ausgelagerten Schulden nach einem von der EU normierten Schema ebenfalls anführt.

Die Statistik Austria tut das - und meldet diese Daten auch an Eurostat.

Die folgende Tabelle stellt weitere Messgrößen zum Schuldenstand dar, setzt die Höhe der Verbindlichkeiten in Relation zum regionalen BIP, bzw. legt sie um auf die Zahl der Einwohner. Mit Mausklick auf die Kopfzeile der entsprechenden Spalte können Sie sie auf Wunsch auf- oder absteigend sortieren.

Achtung: Der Wert für den Schuldenstand pro Kopf stimmt nicht mit jenem aus einer der vorangegangenen Grafiken überein. Das hat damit zu tun, dass - wie erwähnt - für diesen den Ländervergleich auch die in Betriebe ausgelagerten Schulden berücksichtigt sind.

Stellungnahme der Stadt Wien:

Wie die Datenauswahl die Wahrnehmung von Schuldenbergen bestimmt
Debatte ist wichtig, man muss sie aber auch seriös führen.

Man darf den aufmerksamen LeserInnen der "Presse" fast dankbar sein: "Auf mehrfachen Leserwunsch haben wir diesen Artikel nachträglich um einen Bundesländervergleich aktualisiert" heißt es in einem Artikel über die Verschuldung Wiens. >>

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