Kleine Tafel für große Taten

„Zeichen der Dankbarkeit“: Als kürzlich die Tafel enthüllt wurde, trafen sich Nachkommen beider Familien.
„Zeichen der Dankbarkeit“: Als kürzlich die Tafel enthüllt wurde, trafen sich Nachkommen beider Familien.(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Analog zu den „Stolpersteinen“ sollen Gedenktafeln an Österreichs „Gerechte unter den Völkern“ erinnern. Die erste ist Hilde Ölsinger gewidmet, die zwei Juden Unterschlupf bot.

Bis vor Kurzem hatten nicht einmal die Besitzer des Hauses in der Leyserstraße 5 eine Ahnung von dem, was hier vor 73 Jahren geschehen ist. Und auch Bewohner haben, als die Tafel aufgehängt wurde, erst einmal gefragt, was es damit auf sich habe. „In diesem Haus rettete Hilde Ölsinger das jüdische Ehepaar Nelly und Samuel Storfer vor der Deportation“, steht darauf – samt Hinweis, dass Hilde Ölsinger dafür 1977 als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurde. Nun wurde sie an ihrem damaligen Haus mit einer Gedenktafel gewürdigt. Und diese Tafeln sollen mehr werden.

Eva Hembach, die Initiatorin, plant ein Projekt analog zu den „Steinen der Erinnerung“, den in den Boden eingelassenen Erinnerungen vor den Häusern jüdischer Bürger, die deportiert wurden. Nach und nach sollen die 112 „Gerechten unter den Völkern“ aus Österreich mit solchen Tafeln gewürdigt werden. Bisher sind diese Geschichten oft kaum bekannt, dabei ist die Aufarbeitung nicht abgeschlossen: Erst im März wurden die bisher letzten beiden Österreicher mit diesem Ehrentitel ausgezeichnet: Erwin und Lonny Ratz, die den Berliner Juden Hans Buchwald erst in Berlin, dann in Wien versteckt und vor der Deportation gerettet haben.

Cornelia und Samuel Storfer wurden Ende August 1943 über ihre „Umsiedelung“ informiert. Bevor es dazu kam, sind sie in einer Zweieinhalbzimmerwohnung in Penzing untergetaucht. Hilde Ölsinger, die dort mit zwei Kindern lebte, nahm die beiden auf, nachdem ihr Beichtvater, Pfarrer Maximilian Hofbauer, den Kontakt hergestellt hatte. Gegen ihn war ein Predigtverbot der Gestapo aufrecht, er dürfte aber im Beichtstuhl Pfarrmitglieder gefragt haben, ob sie Juden aufnehmen würden. Aus Protokollen geht hervor, dass ihm die Gestapo Spitzel in den Beichtstuhl schicken wollte.


Der Pfarrer im Widerstand. Der Pfarrer habe sie schon im Sommer 1943 ersucht, ihm bei der Suche nach Quartieren zu helfen, erzählte Hilde Ölsinger 1978 im Interview mit dem jüdischen Magazin „Die Gemeinde“. Sie klapperte alle Bekannten ab, fand aber niemanden. Selbst hielt es nicht für realistisch, lebte sie doch mit zwei Kindern im Schulalter, die dieses Geheimnis hätten bewahren müssen. Ihr Mann war zu der Zeit eingerückt. Schließlich stellte ihr Pfarrer Hofbauer in seiner Wohnung die Storfers vor, die ihre Villa in Döbling schon hatten verlassen müssen und in einem Massenquartier im Prater lebten.

Sie verstanden sich gut, es folgten Besuche, bei einem, Ende August, erzählte Cornelia Storfer: „Jetzt ist es soweit. Morgen werden wir abgeholt nach Dachau oder sonst wohin. Dann ist alles aus.“ Hilde Ölsinger versicherte wieder, sie habe alles versucht, ohne Erfolg. Und sagte dann spontan, „dann müssen Sie schon bei mir wohnen“, wie sie später zu Protokoll gab. Ob sie Angst hatte? „Nein, ich war immer ein gläubiger Mensch, das hat mir geholfen“, sagte Hilde Ölsinger bei ihrer Ehrung. Vor 1938 war sie als Schreibkraft bei der Polizei, als „unzuverlässig“ eingestuft, wurde sie dann zur Post versetzt. Auch über ihren Mann ist bekannt, dass er sich als Mitarbeiter im Dorotheum mit Nazi-Sympathisanten angelegt haben soll. Auch später soll er Hitler geschmäht haben. Nach dem Krieg wurde er Direktor des Dorotheums.

Während des Kriegs war das Leben für Ölsinger besonders gefährlich. Sie war zuvor gesellig, hatte gern Besuch. Als die Storfers bei ihr waren, konnte sie niemanden mehr einlassen, Nachbarn schöpften Verdacht – aber einen falschen. Man bezichtigte sie monarchistischer Umtriebe, denen aber nicht näher nachgegangen wurde.

Samuel Storfer war häufig krank, es war wieder Pfarrer Hofbauer, der einen Arzt fand. Er empfahl frische Luft, also begleitete Ölsinger Storfer zu gefährlichen Spaziergängen, wie aus der Dokumentation von Yad Vashem hervorgeht. Das Leben in der Wohnung war schwierig. Die fünf mussten von drei Lebensmittelkarten leben. Die Storfers hatten Schmuck und Briefmarken, die Ölsinger verkaufte, um Lebensmittel zu kaufen. Hilde Ölsinger war arbeitsverpflichtet, an freien Tagen blieb sie während Angriffen bei den Storfers, ging nicht in den Luftschutzkeller. „Gott hat euch zu uns geschickt, damit wir euch helfen. Er wird nicht zulassen, dass unser Haus getroffen wird“, habe sie ihre Schützlinge beruhigt, wie aus der Dokumentation über Österreichs „Gerechte“ des früheren ORF-Korrespondenten Mosche Meisels hervorgeht.

Einer der Helden der Geschichte ist auch ihr Sohn Walter Ölsinger. Er war damals 14 und durfte von Herbst 1943 bis Kriegsende nichts über die versteckten Juden ausplaudern. Er ist im Juni verstorben, Eva Hembach konnte ihn zuvor noch treffen. Walter Ölsinger habe über das Leben mit den versteckten Juden nur positiv gesprochen. Später – er war einer der ersten Gehirnchirurgen Österreichs – sei er nie mit dieser Geschichte hausieren gegangen, habe sich nie zum Helden stilisiert.

Der Kontakt blieb.
Die Storfers haben den Krieg überlebt, ein Sohn hat die Umstände der Rettung bei Yad Vashem angegeben. Der Kontakt zwischen den Familien blieb bis ins hohe Alter. Mit 80 Jahren, bei ihrer Ehrung in der israelischen Botschaft, erzählte Hilde Ölsinger von regelmäßigen Besuchen. Nelly und Samuel Storfer sind nach 1945 in die USA emigriert, dann zurückgekehrt. Ein Teil der Familie lebt heute in den USA, eine Nachfahrin, Susan Winter Balk, hat mit der Organisation Hate Brakers am Gedenkprojekt mitgewirkt. Es wurde auch vom Zukunftsfonds Österreich und von der Stadt Wien unterstützt.

Diesem Gedenken widmen sich auch die Österreichischen Freunde von Yad Vashem. Aktuell ist etwa die Ausstellung „Die Gerechten“ in Vorarlberg zu sehen. Sie wäre auch in Wien geplant, bisher wurde aber kein passender Raum oder Sponsor gefunden.

In Zahlen

112„Gerechte“ aus Österreich listet Yad Vashem aktuell. Die letzten, Erwin und Lonny Ratz, wurden erst im März dieses Jahres ausgezeichnet. „Gerechter unter den Völkern“ ist ein 1948 in Israel eingeführter Ehrentitel für Nichtjuden, die ihr Leben eingesetzt haben, um Juden zu retten.

Yad Vashem (wörtlich: Denkmal und Name) ist die bedeutendste Holocaustgedenk- und -dokumentationsstätte.

26.120„Gerechte“ zählt Yad Vashem gesamt (Stand 1.1.2016), die meisten aus den Niederlanden, Polen, Frankreich und der Ukraine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2016)

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