Wien, Stadt der Einkaufsstraßen

Eine Einkaufsstraße, auf der etwas im Entstehen ist: Gernot Ebner betreibt mit einer Partnerin das „Passt gut“ auf der Lerchenfelder
Eine Einkaufsstraße, auf der etwas im Entstehen ist: Gernot Ebner betreibt mit einer Partnerin das „Passt gut“ auf der Lerchenfelder(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Selten gibt es in einer Stadt so viele Geschäftsstraßen wie in Wien. Aber an wenigen Orten zeigt sich der Wandel in der Wirtschaft so klar wie dort – der Handel wandert ins Netz, Geschäfte stehen leer.

Die Innenstädte sterben aus, die Einkaufsstraßen sowieso. Schuld seien Einkaufszentren, Fachmarktzentren, Onlinehandel usw. Diese alte Leier kennt man – auch wenn es Gegentrends gibt. Diagnostiziert durch jene Wirtschafts-, Stadt- und Trendforscher, die von einem Comeback der Innenstädte sprechen, nun, da die Zeit der Suburbanisierung mit neuen Einkaufszentren auf grünen Wiesen zu Ende zu gehen scheint. Ein Indiz dafür kann man mit innerstädtischen Einkaufszentren auch in Wien beobachten.

Aber ein Comeback? Noch steht man in den Wiener Einkaufsstraßen vor allerlei Herausforderungen. In der größten, der Mariahilfer Straße, klagen die Geschäftsleute über teils erhebliche Umsatzeinbußen seit der Neugestaltung, über weniger Kunden, da sich die neue Klientel der Straße dort zwar aufhalte, aber wenig kaufe. Traditionsbetriebe sperren zu, weichen Filialisten – nicht nur auf der Mariahilfer Straße, auch in abgelegeneren Bezirken. Dort machen sie einem Imbiss neben dem anderen Platz, Billiggastronomie löst den Handel ab, Straßenzüge verramschen – man schaue sich etwa im gürtelnahen Bereich der Thaliastraße um. Und dann gibt es jene Straßen und Gassen, in denen ein hipper Öko-/Mode-/Möbel-Laden nach dem anderen eröffnet. Die Wiener Einkaufsstraßen sind jedenfalls vielfältiger geworden; vor allem sind sie weit vielfältiger als die wenigen, über die man gewöhnlich spricht – Stichwort Mariahilfer Straße.

Derzeit gibt es in Wien 74 Einkaufsstraßen – in so vielen Straßen haben sich die Händler zu einem Verein zusammengetan, um sich gemeinsam zu vermarkten. Und das reicht der Wiener Wirtschaftskammer als Definition. Diese Vereine gibt es seit rund 25 Jahren. Damals haben sich die Händler in der Stadt zusammengetan, um den Abfluss der Kaufkraft in Richtung Einkaufszentren zu verhindern.

Das ist auch heute noch Thema. Ein viel größeres aber ist die Konkurrenz durch den Onlinehandel. In Summe werden die Verkaufsflächen seit Jahren weniger, wie es etwa im aktuellen Geschäftsflächenbericht der Immobilienfirma EHL heißt. Und dass Wien ein Leerstandsproblem in Erdgeschoßflächen hat, das beweist ein kurzer Spaziergang durch die Stadt. Dieser Leerstand und die Frage, welche neuen Arten der Nutzung von Erdgeschoßzonen es geben kann, werde eine der großen Fragen in den kommenden Jahren sein, sagt Dieter Scharitzer, Experte für Handel und Marketing an der WU.

Die Presse

Wandel, wie man ihn lang nicht sah

Schließlich sei der Einzelhandel einem Wandel unterworden, wie man ihn lang nicht gesehen habe. Die Käufer wandern ins Internet ab, auch Dienstleister wie Banken schließen ihre Filialen, „das Problem ist, nicht nur eine Branche ändert sich massiv. Und diese Änderung spiegelt sich direkt im Stadtbild wider, man sieht das, wenn plötzlich Lokale in Bestlagen, in denen Bankfilialen waren, leer stehen.“

Noch aber gibt es in Wien vergleichsweise viele Einkaufsstraßen, die gut funktionieren – zumindest, wenn man sich den internationalen Vergleich anschaut. „Man kann die Wiener Struktur vielleicht mit Berlin, mit den Kietzen und ihren Versorgungsstraßen, vergleichen. Ansonsten sind die vielen Einkaufsstraßen sehr wienspezifisch“, sagt Hannes Lindner, der Geschäftsführer der Beratungsfirma Standort+Markt (S+M), die heimische Einkaufsflächen analysiert. Das liege wohl auch an der radialen Form der Stadt, an den Achsen hin zur Ringstraße, die sich traditionell zu Geschäftsstraßen mit Grätzel ringsum entwickelt haben. Bei einer Stadt, die eher in Schachbrett-Form aufgebaut ist, würden sich kaum so viele Geschäftsstraßen entwickeln. Nach der Definition von S+M gibt es aber derzeit noch fünf echte Einkaufszonen in Wien: Die Mariahilfer Straße und ihre Nebengassen sowie die Innenstadt. Die Landstraßer Hauptstraße, die Favoritenstraße und die Meidlinger Hauptstraße (ebenfalls je inklusive Nebengassen) als Einkaufsstraßen, zu denen man extra fährt, um auch Güter für den längerfristigen Bedarf zu besorgen oder zu bummeln.

Der Rest? Der fällt für Lindner eher in die Kategorie Nahversorger. „Die Alser Straße, die Josefstädter Straße oder die Wiedner Hauptstraße sind vielleicht noch an der Grenze zur Shopping-Straße“, der Rest bewege sich stärker in Richtung Nahversorger. Und da entwickeln sich auch traditionelle Einkaufsstraßen sehr unterschiedlich: „In der Thaliastraße, am Floridsdorfer Spitz oder in der Brigittenau bröseln die Einkaufsstraßen dahin. Die Shoppingfunktion wird schwächer, statt Kleidungsgeschäften macht der zehnte Imbissstand auf“, beschreibt Lindner die Lage in den schwächeren Bezirken.

Auch Scharitzer sieht in der Landstraßer und Döblinger Hauptstraße oder der Josefstädter Straße einen guten Branchenmix und eine gute Position als Nahversorger. In anderen, der Lerchenfelder oder der Alser Straße, spricht er von „schon großen Lücken“.

Geschäfte weichen Gastronomie

Der Wandel vom Handel zur Gastronomie sei aber auch in der Innenstadt stark zu beobachten. Vor allem die Geschäftsflächen von Textil- und Schuhgeschäften schwinden rasch: In 22 Innenstadt Einkaufszonen in Österreich (darunter die fünf genannten in Wien), die S+M jährlich analysiert, ist der Anteil dieser Sparten an den Geschäftsflächen inner halb von drei Jahren von 36 auf 33 Prozent geschrumpft, diese Flächen wurden oft von Gastrobetrieben neu besetzt. Der Haupttreiber? Natürlich das Onlinegeschäft. Verliert der Handel in den Städten also unwiederbringlich an Boden? „An diesen übergeordneten Trends wie dem E-Commerce kann man wenig ändern, auch den Branchenmix kann man kaum steuern“, sagt Lindner. „Ich glaube aber an eine Renaissance der Innenstädte und der Geschäftsflächen, wenn es der Handel schafft, Einkaufen als Erlebnis zu verkaufen.“ Das sei aber ein langfristiger Prozess – er spricht von rund zehn Jahren. „Für viele ist der Onlinehandel wie ein Stein um den Hals“, sagt Erwin Pellet, der Repräsentant der Wiener Einkaufsstraßen in der Wirtschaftskammer. Gerade für Möbel- oder Elektrohändler, die vermeintliche Kunden beraten, die dann günstig online kaufen.

„Momentan ist viel in Bewegung. Aber die Vereine funktionieren gut, die Unternehmen arbeiten gut zusammen“, sagt Pellet. Vermutlich auch dank des hohen Leidensdrucks. Dass sich die Händler in den Einkaufsstraßen nun extra anstrengen, war zuletzt gut zu beobachten, etwa bei der Aktion Einkaufsglück und den vielen Straßenfesten. Neubaugasse, Freihausviertel oder Reindorfgasse seien Paradebeispiele einer gut zusammenarbeitenden Community, sagt Pellet. Letztere, die Reindorfgasse, ist auch ein Paradebeispiel für gut genutzten Leerstand. Pop-ups und junge Kreative, die sich hohe Mieten nicht leisten können, Lücken nutzen und für Spezialisierung sorgen – das sei ein Trend, der andauern werde, sagt Scharitzer. Eine andere Option: eine Neupositionierung als Spezialistenstraße.

Scharitzer nennt die Gumpendorfer Straße, an deren Positionierung als Möbelmeile er mitgearbeitet hat. Wenn sechs oder sieben Geschäfte einer Sparte zusammenarbeiten, könne schnell etwas entstehen, allerdings sei es oft nicht leicht, die Händler davon zu überzeugen, dass Nachbarn, die fast das Gleiche verkaufen, eher ein Vorteil seien. Und aus der Sicht des Einkaufsstraßen-Managements könne man ohnehin wenig tun, außer zu kommunizieren und Händler anzusprechen, wenn es Leerstand gibt. „Im Endeffekt herrscht ein freies Spiel der Kräfte.“ Wenn in einer Straße etwa eine Bank schließt, dann noch drei, vier weitere Lokale leer stehen, „ist da schnell ein Drive drin, dem man schwer entgegenwirken kann.“

Fakten

74 Einkaufsstraßen gibt es derzeit in Wien laut der Definition der Wirtschaftskammer – denn die zählt jede Straße, in der sich die ansässigen Geschäftsleute zu einem Verein zusammengetan haben, als eine solche.

Fünf echte Shopping-Straßen (bzw. Grätzel, inklusive der Nebengassen) zählen die Berater von Standort + Markt: die Mariahilfer Straße, die Innenstadt, Landstraßer Hauptstraße, Favoritenstraße und Meidlinger Hauptstraße (siehe Grafik oben). Der Rest fällt eher in die Kategorie Nahversorger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2016)

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