Wien: Rot-Grün hat keine Zeit zum Streiten

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TREFFEN SP� MIT LANDESPARTEICHEFS - �UPLH(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Ein Jahr nach der Wien-Wahl ist die SPÖ vor allem mit sich selbst beschäftigt, die Grünen halten sich wegen Van der Bellen zurück. FPÖ und ÖVP entdecken Gemeinsamkeiten, die Neos sind noch am Einarbeiten.

Wien. Die Flüchtlingswelle war auf dem Höhepunkt, Werner Faymann Bundeskanzler, und in der Wiener SPÖ unter Michael Häupl entwickelte sich Panik. Die FPÖ forcierte das Flüchtlingsthema massiv – und die Umfragewerte der SPÖ schwächelten seit Monaten. Schließlich rief Häupl – wieder einmal – das rot-blaue Duell im Kampf um Platz eins aus. Und ging damit doch noch überraschend deutlich vor der FPÖ ins Ziel. Heute, ein Jahr nach dem 11. Oktober 2015, hat sich viel verändert. Politisch und personell – eine Bilanz.

Turbulenzen. Kaum ein Jahr dürfte in der (Wiener) SPÖ derartig turbulent verlaufen sein wie die vergangenen zwölf Monate. Der ehemalige Wiener Wohnbaustadtrat Werner Faymann wurde als Bundeskanzler am 1. Mai öffentlich demontiert, die Landespartei war gespalten in Befürworter und Gegner der Willkommenskultur. Nachdem Faymann alles hinwarf, musste Häupl kurzfristig als Bundesparteichef einspringen und einen Nachfolger suchen. Geworden ist es Christian Kern, obwohl Häupl den Medienmanager Gerhard Zeiler favorisiert haben soll. Auch die Wiener SPÖ selbst musste ihre Wunden lecken – zwar konnte sie bei der Wahl überraschend deutlich Platz eins verteidigen, verlor aber fast fünf Prozentpunkte. Und: Der Arbeiterbezirk Simmering ging an die FPÖ.

Seit einem Jahr läuft ein Richtungsstreit, bei dem es auch um die Nachfolge von Häupl geht. Auf der einen Seite steht Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely, die Galionsfigur der Befürworter der Willkommenskultur – gestützt wird sie von der roten Frauenriege und den rot-grün-affinen Innenstadtbezirken. Auf der anderen Seite halten die bevölkerungsreichen Außenbezirke dagegen, die für strengere Regeln bei der Zuwanderung eintreten. Mit Wohnbaustadtrat Michael Ludwig haben sie aber nur einen Vertreter in der Stadtregierung.

Seit einem Jahr tragen diese Fraktionen ihren Richtungsstreit immer wieder öffentlich aus, z. B. gerieten die SPÖ-Vize-Klubchefs Ernst Nevrivy (er ist auch Bezirksvorsteher der Donaustadt) und Tanja Wehsely (Schwester der Gesundheitsstadträtin) gern aneinander. Die Fraktionen stehen sich so unversöhnlich gegenüber, dass selbst Häupl sie kaum mehr versöhnen kann – vor allem nach dem Fiasko bei der Wahlwiederholung in der Leopoldstadt, bei der die SPÖ den Bezirksvorsteher verlor.

Wo ist der Plafond? Es war ein Sieg, der als Niederlage interpretiert wurde. Obwohl die FPÖ fünf Prozentpunkte zulegen konnte, überwog in der Partei die Enttäuschung, den Kampf um Platz eins in Wien so deutlich verloren zu haben – auch wenn Simmering erobert wurde. Allerdings erlangte die FPÖ mit 34 Mandaten deutlich mehr Macht. Sie kann nun Verfassungsgesetze der Stadt blockieren, Untersuchungsausschüsse einsetzen und den Bundesrechnungshof anrufen. Derweil kann Heinz-Christian Straches Statthalter in Wien, Johann Gudenus, als nicht amtsführender Vizebürgermeister für ein Ministeramt in einer möglichen schwarz-blauen Koalition nach der nächsten Nationalratswahl üben.

Das grüne Comeback. Der 11. Oktober 2015 war ein bitterer Abend für die Grünen. Nach den Verlusten 2010 auch bei der Wahl 2015 verloren. Dazu die grüne Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, enorm unter Druck – nachdem sie vor der Wahl ihren Rücktritt bei Verlusten angekündigt hatte, diesen in der Folge aber verweigerte. Die Wiener Grünen waren in der Krise – erst Alexander Van der Bellen holte sie wieder heraus. Er gewann die Bundespräsidentenstichwahl, die dann aber wegen zahlreicher Pannen aufgehoben wurde und nun am 4. Dezember wiederholt wird. Bereits mit dem Einzug Van der Bellens in die Stichwahl herrschte auffällige Ruhe bei den sonst durchaus rebellischen Grünen. Keine Querschüsse, keine unpopulären Forderungen, keine Aktionen, die Van der Bellen schaden könnten. Maria Vassilakou, die oft polarisiert, ist seit Monaten nicht mehr zu sehen. Einerseits herrscht eine Art Schweigegelübde für alle Grünen, um nicht mit unüberlegten Aussagen (vor allem zum Thema Flüchtlinge) Van der Bellens Chancen zu ruinieren. Andererseits konzentriert vor allem die Wiener Partei ihre gesamte Energie darauf, ihre Jahrhundertchance auf einen grünen Bundespräsidenten zu nutzen. Das Duell gegen die FPÖ brachte auch bei der Wahlwiederholung in der Leopoldstadt Rückenwind für sie. Im Gegensatz zu Rot-Grün I läuft die Neuauflage der Rathauskoalition bisher völlig friktionsfrei. Die SPÖ ist derzeit mit sich selbst beschäftigt, und die Grünen sind ausschließlich auf den Van-der-Bellen-Wahlkampf konzentriert.

Ein langer Weg zurück. Der 11. Oktober 2015 war für die ÖVP ein Fiasko. Erstmals in der Wiener Geschichte einstellig, Parteichef zurückgetreten, keiner wollte den Schleudersitz übernehmen – bis auf ÖVP-Bundesparteimanager Gernot Blümel. Er führte Parteireformen durch, besetzte Spitzenpositionen neu, positionierte die ÖVP kantig als Oppositionspartei; ohne Berührungsängste zur FPÖ.

Die Mühen der Ebene. Den Einzug in den Gemeinderat geschafft, Erfolge auch auf Bezirksebene – die Neos gehörten zu den Gewinnern des 11. Oktober. Seitdem war öffentlich aber wenig zu hören – auch wenn es Parteichefin Beate Meinl-Reisinger völlig anders sieht. Naturgemäß müssen sich die Neos noch in das Wiener Universum einarbeiten. Wie die Verluste bei der Wahlwiederholung im 2. Bezirk gezeigt haben, dürfen sie sich damit aber nicht mehr allzu viel Zeit lassen.

AUF EINEN BLICK

Am 11. Oktober 2015, also vor genau einem Jahr, fand die Wien-Wahl statt. Innerhalb dieses Jahres hat sich
vieles radikal verändert: In der SPÖ läuft ein Richtungsstreit, die Grünen sind wieder auf der Erfolgsspur, die ÖVP wurde völlig neu aufgebaut, die FPÖ konzentriert sich auf die Wiederholung der Präsidentenstichwahl – so wie auch die Grünen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2016)

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