Für die Touristen ist sie eine beliebte Durchgangsroute, für viele Wiens erste Adresse in Sachen Eissalons. Und ganz Wien kennt sie wegen der riesigen roten Kugeln.
Wien. Ihr Charakteristikum hat sie nur wenige Wochen im Jahr, dafür ist es dann unüberseh- und unverwechselbar: die riesigen roten Kugeln als Weihnachtsbeleuchtung, die in Relation zur doch eher schmalen Straße ziemlich überdimensional wirken.
In der Adventzeit also ist die Rotenturmstraße schwer zu verfehlen. In der warmen Jahreszeit ist es vor allem das Eis – das wäre sozusagen das zweite Alleinstellungsmerkmal –, das die Wiener in die Rotenturmstraße zieht: Nirgendwo sonst in Wien gibt es eine derartige Dichte an Eissalons (von Zanoni & Zanoni bis zum Eis-Greissler)
Und sonst? Fehlt der Rotenturmstraße ein wenig ein klares Profil. Positiver formuliert könnte man sie als sehr heterogen bezeichnen: Auf ihren 390 Metern Länge finden sich viele kleine Läden (wenn auch meist Ableger internationaler Ketten), ein breites Gastronomieangebot, das nicht unbedingt individuell daherkommt (Akakiko, Nordsee etc.) und sich teilweise an jener großen Gruppe orientiert, die hier quasi permanent für gute Frequenz sorgt: den Touristen.
Sie nutzen die Rotenturmstraße gern als Durchgangsweg, um vom Schwedenplatz (wo ihre Reisebusse halten) zum Stephansplatz zu gelangen. Daher verwundert es auch nicht, dass man im traditionsreichen Lindenkeller ein Mozartmenü bekommt, während man vis-à-vis (Zum Saftladen) Ofenkartoffelvarianten namens Falco, Sissi oder Strauß bestellen kann.
Anders als auf der Wollzeile gleich ums Eck ist die Zahl der Wiener Händler allerdings eher ziemlich überschaubar geworden. Unter den vielen Gewandgeschäften findet man aber etwa das Wiener Herrenbekleidungsgeschäft Grandits. Auch Turek, ebenfalls ein Wiener Unternehmen, ist mit zwei Filialen vertreten.
Eine Institution der Rotenturmstraße, die es seit 1900 gegeben hat, hat kürzlich geschlossen: Die Auslagen des Kindergewandladens Süsses Mädel sind leer, im Inneren erkennt man noch die rosa, grünen und gelben Schubladen von früher. Ein Nachfolger ist schon gefunden: In Kürze wird hier das Bärenland eröffnen, das Gummibären in allerlei Varianten verkauft.
Martina Hutterer, die nebenan seit 19 Jahren ihr gleichnamiges Comicgeschäft führt, freut sich, dass „etwas anderes hineinkommt als ein weiteres Gewandgeschäft“. Auch wenn sich die Straße in den vergangenen fünfzehn Jahren stark verändert habe (weniger Wiener, mehr internationale Betriebe) und ihr Geschäft auf der, wie sie sagt, „schlechteren“ (weil schattigeren und daher weniger frequentierten) Seite liegt, ist sie mit dem Standort zufrieden. Das Angebot des bis an die Decke mit Comicheften, -figuren und -T-Shirts gefüllten Ladens habe sie stärker auf Touristen ausgerichtet als ihre weiteren Filialen in der SCS und im Dritten.
Wünschen würde sich Hutterer, dass der Plan der Grünen, die Rotenturmstraße in eine Fußgänger- oder Begegnungszone umzugestalten, Realität wird. „Die Gehsteige sind viel zu schmal, und mit dem Auto kann man sowieso nicht hierherkommen“, sagt sie.
Eine Neugestaltung der Rotenturmstraße ist tatsächlich geplant – wenn auch nicht so bald. Derzeit läuft die Sanierung des Stephansplatzes, ab 2018 soll die Neugestaltung des Schwedenplatzes starten. „Das sind auch finanziell zwei riesengroße Projekte, die wir erst abarbeiten müssen“, sagt Bezirksvorsteher Markus Figl (ÖVP).
Neugestaltung geplant
Erst danach wird man sich der Neugestaltung der Rotenturmstraße als Verbindungsstraße der beiden wichtigen Plätze widmen, dabei „muss es eine Bürgerbeteiligung geben“. Ob am Ende eine Fußgänger- oder Begegnungszone steht, ob nur Gehsteige verbreitert werden oder es eine ganz andere Lösung geben wird, wird sich weisen. „Es geht hier nicht um Ideologie, wir werden jene Gestaltung wählen, die sich als die beste herausstellt“, so Figl.
Bis dahin wird es sich auf den schmalen Gehsteigen bisweilen weiterhin drängen, wenn es die Touristengruppen in die eine oder andere Richtung zieht. Verhetzt oder stressig wirkt die Rotenturmstraße deswegen aber trotzdem nicht.
Und auch ein anderes Phänomen blieb ihr bisher erspart: der Leerstand. Da sie nicht den Glamour des Kohlmarkts hat, nicht die Frequenz der Kärntner Straße und auch nicht die Bekanntheit der Wollzeile, sind die Mieten hier dem Vernehmen nach noch leistbarer als anderswo im Ersten. Daher spaziert man hier so gut wie nie an leeren Auslagen vorbei. Und wenn doch, siehe Süsses Mädel, wird schnell ein Nachfolger gefunden. Eine leistbare Einkaufsstraße in bester Lage und ohne Leerstand: Das muss man der Rotenturmstraße erst einmal nachmachen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)