Thaliastraße: Einkaufsstraße im Rückzugsgefecht

Thaliastraße
Thaliastraße(c) Stanislav Jenis
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Eine einst stolze Einkaufsstraße wird nun von Handyshops und Imbissbuden gesäumt. Die Thaliastraße zeigt den Wandel der Einkaufsstraßen in Nahaufnahme.

Nein, zum Einkaufen würde man nicht extra herkommen. Auf dem Boden klebt ein Meer aus Kaugummis, dorthin muss man ohnehin stets schauen, um Speichelpfützen auszuweichen, die unentwegt jemand hinterlässt. Das Gedränge ist dicht – und die Auswahl an Einkaufsmöglichkeiten – Spar, Bipa, DM, Tchibo, Shops mit glitzernden Kleidern und Schuhen, die nach Plastik stinken – ist keine, die extra eine Anfahrt rechtfertigen würde.

Immerhin, die Dealer, die hier monatelang omnipräsent waren, sind wieder weg. Und man darf die gürtelnahen paar Hundert Meter der Thaliastraße nicht als Pars pro Toto der 2,5 Kilometer langen Einkaufsstraße sehen. Trotzdem: Vom Ruf, eine der Einkaufsstraßen Wiens zu sein, ist nichts mehr übrig. Namhafte Geschäfte, die hier waren – Gloriette Hemden, Humanic, Fürnkranz Mode –, sie sind weg. Auch Blaumax oder Douglas haben in den vergangenen Jahren Billigmode und Imbissen Platz gemacht.

Ein Symptom, das man in vielen Wiener Einkaufsstraßen beobachtet – Geschäfte kommen und gehen, Handel weicht Gastronomie. Schuhe und Mode kauft man online oder in Einkaufszentren, an Orten wie der Thaliastraße halten sich gerade mittelpreisige Modegeschäfte kaum. „Uns geht es wie allen anderen Einkaufsstraßen in Wien. Es gibt den Druck aus dem Internet und aus den Einkaufszentren. Gegen diese Parameter kommt man nicht an“, sagt Georg Schratzenthaller. Er betreibt Thalia Möbel, ein Geschäft für hochwertige Möbel, und ist Sprecher des örtlichen Einkaufsstraßenvereins. Mittlerweile gibt es in der Thaliastraße Imbissstände in einer Anzahl, dass sich viele nur wundern, wie die überleben – sogar Skurrilitäten wie zwei Pizzaschnitten-Imbisse direkt nebeneinander.

Es gibt Ramschläden, Handyshops – und noch einige alteingesessene Fachgeschäfte. „Die Mitte fehlt“, sagt Schratzenthaller. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Flächen zu klein sind, als dass sie ein Lebensmittelhändler oder ein H&M brauchen kann. Und die Mieten sind relativ günstig. Laut Geschäftsflächenbericht von EHL lag die Nettomiete für eine Geschäftsfläche in der Thaliastraße im dritten Quartal 2016 bei Neuvermietung bei zehn bis 25 Euro – das ist weniger als in der Favoritenstraße, der Landstraßer oder der Meidlinger Hauptstraße.

Hannes Lindner, Geschäftsführer der Beratungsfirma Standort+Markt (S+M), nennt die Thaliastraße als ein Exemplar für Einkaufsstraßen, an denen der Wandel, hin zu billiger Gastronomie, besonders deutlich wird. Sie „brösle“ dahin. Auch Georg Schratzenthaller beobachtet, dass die Einkaufsfunktion schwindet, nicht nur durch die Imbiss-Gastronomie. „Wir haben jetzt schon Büros oder Installationsbetriebe in den Erdgeschoßzonen. Wer hätte gedacht, dass es das einmal auf der Thaliastraße gibt? Für die Straße ist das nicht attraktiv.“

Er sagt, man müsse sich von der Vorstellung einer Straße mit durchgehendem Niveau verabschieden. Die Kaufleute versuchen nun, sich als „Fachgeschäftsstraße“ zu positionieren. „Es gibt Inseln, die leuchten, den Fotografen, den Tapezierer – und das dazwischen.“ Schratzenthaller selbst hat sein Geschäft in der Thaliastraße mittlerweile aufgegeben und konzentriert sich auf den Standort in der nahen Habichergasse – und er halte die Augen nach Alternativen in einer Gegend mit höherer Kaufkraft offen.

„Die Thaliastraße lebt noch!“

Klingt nach einer pessimistischen Perspektive für die Thaliastraße. „Man kann den 47. Kebabstand gut oder schlecht finden, aber ich sage: Seien wir froh, dass es Leute gibt, die unternehmerisch denken, die sich das antun.“ Schließlich könnten auch, wie anderswo, die Geschäfte leer stehen, Scheiben verklebt sein. Das sei hier nicht der Fall. „Die Thaliastraße lebt noch! Und wer die Veränderung beklagt, muss sich nur fragen: Wie viel Geld habe ich 2016 schon im Internet ausgegeben?“ Die Thaliastraße heute, das sei eben die deutlich sichtbare Spur der Veränderung im Handel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

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