Wiener Mafia-Prozess: 150.000 Euro "Kopfgeld" auf Zeugen ausgesetzt

Die Sicherheitsvorkehrungen im Landesgericht wurden drastisch erhöht, mit unzähligen schwerbewaffneten Polizisten und Justizwachebeamten. Die Verhandlung ist bis 19. Dezember anberaumt.

Ein "Kopfgeld" von 150.000 bis 200.000 Euro soll auf einen Zeugen in einem Prozess gegen eine mutmaßliche Mafia-Bande ausgesetzt worden sein, der seit Anfang Oktober im Wiener Landesgericht läuft. Das hält das Bundeskriminalamt in einem schriftlichen Bericht ans Gericht fest. Die Sicherheitsvorkehrungen bei der Verhandlung, die am Montag fortgesetzt wurde, sind darauf drastisch verschärft worden.

Die Drohungen gegen den Zeugen, der am 29. November vor dem Schöffensenat aussagen soll und der im Ermittlungsverfahren die Angeklagten belastet hatte, sollen im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus gefallen sein. Ein Insasse dürfte mitangehört haben, als sich Mitgefangene in russischer Sprache über das "Kopfgeld" unterhielten und eine konkrete Summe nannten. Drei der insgesamt sieben Angeklagten stammen aus Tschetschenien und sind russische Staatsbürger. Der offenbar ins Visier geratene Mann - ursprünglich ein Türsteher in einem Lokal, das laut Anklage von der Bande um Edin D. (38) alias "Edo" um Schutzgeld erpresst wurde, der später die Seiten wechselte und für "Edo" arbeitete, ehe er mit den Strafverfolgungsbehörden kooperierte - bekam davon Wind. Er verständigte die Polizei.

Sicherheitsvorkehrungen massiv verstärkt

Die Sicherheitsvorkehrungen in dem Mafia-Prozess wurden aufgrund dessen massiv verstärkt. Wer die heutige Verhandlung besuchen wollte, musste nach der üblichen Zugangskontrolle im Eingangsbereich eine unmittelbar vor dem Gerichtssaal errichtete zweite mobile Sicherheitsschleuse passieren. Medienvertreter und Kiebitze hatten sich zu legitimieren, die Ausweise wurden vom Verfassungsschutz fotografiert. Im Gerichtssaal selbst hatten sich mit Maschinengewehren bewaffnete Wega-Beamte positioniert. Rund zwei Dutzend Justizwachebeamte, ebenfalls schwer bewaffnet und mit schusssicheren Westen ausgerüstet, verteilten sich im Raum, nachdem sie die Angeklagten vorgeführt hatten.

"Es haben sich Informationen verdichtet, die diese Maßnahmen zum Schutz der Angeklagten, der Zeugen und auch sonstiger Beteiligter erforderlich machen", erläuterte Gerichtssprecherin Christina Salzborn. Wie die APA von anderer Seite in Erfahrung brachte, soll es auch in Richtung eines zweiten Zeugen ein konkretes Bedrohungsszenario geben. Man werde die Hauptbelastungszeugen "bei Gericht ausschalten", jemand werde "eine Waffe ziehen", soll es im Vorfeld der heutigen Verhandlung geheißen haben.

Die Justizwache nimmt die Warnung des Bundeskriminalamts jedenfalls sehr ernst, wie sich gleich zu Beginn der heutigen Verhandlung zeigte. Als Verteidiger Herbert Eichenseder Edin D. einen Kugelschreiber übergeben wollte, wurde er daran gehindert. "Der braucht jetzt kan Kugelschreiber", bemerkte ein Uniformierter, "das ist auch eine Waffe".

Kampfsportler weisen Vorwürfe zurück

Die sechs angeklagten Männer - auf den ersten Blick allesamt als Kampfsportler erkennbar - und eine Frau, die in den angeblichen Boss verliebt war, weisen den Vorwurf zurück, eine mafiöse Organisation namens "Struja" (auf Deutsch: Strom) gebildet zu haben, als deren Boss Edin D. fungiert haben soll. Schon vor rund zehn Jahren beschäftigte der gebürtige Bosnier eingehend die Kriminalisten, als im von damals von ihm betriebenen Cafe "Cappuccino" in Hernals ein Lokalbesucher erschossen und ein weiterer Mann schwer verletzt wurde. Der Mord konnte nie aufgeklärt werden, inwieweit "Edo" in die Schießerei verwickelt war, blieb rätselhaft.

Nun glaubt die Staatsanwaltschaft aber beweisen zu können, dass es sich bei dem Mann um "den Kopf einer kriminellen Vereinigung handelt, die auf die Erpressung von Schutzgeld und die Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten ausgerichtet war", wie in der Anklageschrift ausgeführt wird. "Eine kriminelle Vereinigung hat es nie gegeben und wird es nie geben. Unser gemeinsames Ziel war Sport", hielt "Edo" im Grauen Haus dagegen. Der 38-Jährige hatte zu Prozessbeginn erklärt, er kenne mit Ausnahme eines Mannes sämtliche männlichen Mitangeklagten aus einem von ihm betriebenen Box-Verein und sei mit diesen gut befreundet. Mit Schutzgeld-Erpressungen habe er nie auch nur ansatzweise etwas zu tun gehabt. Vielmehr habe er sich der Tschetschenen und aus Ex-Jugoslawien stammenden Burschen angenommen, die in seinem Verein trainierten: "Ich war der Älteste. Ich habe mich für die Integration eingesetzt. Ich habe Gutscheine für Deutschkurse verteilt. Ich habe die Leute in Turnsälen haben wollen. Ich habe sehr fleißig Sponsoren gesucht."

Die Verhandlung ist vorerst bis 19. Dezember anberaumt. Ob es vor Weihnachten Urteile geben wird, erscheint nach den jüngsten Entwicklungen eher unwahrscheinlich.

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