Eine Schule exklusiv für Flüchtlinge

Staatssekretärin Muna Duzdar.
Staatssekretärin Muna Duzdar.(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Im Jugendcollege werden junge Asylwerber und Flüchtlinge ausgebildet, die nicht mehr schulpflichtig sind. Staatssekretärin Muna Duzdar will die Idee in die Bundesländer tragen.

Wien. Und plötzlich fängt die Frau zu weinen an. Sie hält sich die Hände vors Gesicht, versucht die Fassung zu wahren. Aber jedes Mal, wenn sie versucht, etwas zu sagen, verziehen sich ihre Lippen und heraus kommen nur halb verständliche Wortfetzen. Eine Pressesprecherin zischt von der Seite: „Das haben wir jetzt aber nicht bestellt.“

„Vielen Dank für die Hilfe“, sagt die Frau schließlich, als sie nach und nach doch noch etwas gefasster ihre Geschichte erzählt. Sie ist 21 Jahre alt, Mutter eines Sohnes, in Afghanistan geboren, aber im Iran aufgewachsen. Jahrelang wollte sie dort in die Schule gehen, durfte aber nicht. Afghanen wird im Iran der Zugang zur Bildung verweigert. Jetzt sitzt sie in der Alphabetisierungsklasse im Jugendcollege der Stadt Wien. Mit 21 Jahren lernt sie nun lesen und schreiben.

Die junge Mutter, mit dem weißen Kopftuch und dem gestrickten Wollkleid, hat ihre Worte an Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger und Staatssekretärin Muna Duzdar (beide SPÖ) gerichtet, die an diesem Tag zu Besuch sind. Das College ist das Integrationsvorzeigeprojekt Wiens. Als einziges Bundesland schließt die Stadt die Ausbildungslücke für 15- bis 21-Jährige anerkannte Flüchtlinge, aber auch Asylwerber. In diesem Alter sind sie – obwohl teilweise noch minderjährig – nicht mehr schulpflichtig. Gleichzeitig haben die meisten aber keine abgeschlossene Ausbildung. In der Folge sind viele der Jugendlichen zum Nichtstun verdammt, bis sie ihren Asylbescheid bekommen. Das kann aber Jahre dauern – danach haben sie trotzdem keine Ausbildung, in der Zwischenzeit laufen sie Gefahr, auf Abwege zu geraten.

Mit dem College will man dieser Entwicklung gegenwirken. Platz ist für je 1000 Schüler. Derzeit nehmen rund 600 Asylwerber und 400 anerkannte Flüchtlinge, zwischen 15 und 21 Jahre alt, an dem Programm teil, davon 240 Mädchen. Sie werden 20 Stunden die Woche in den Fächern Mathematik, Deutsch, Englisch und EDV unterrichtet. Danach gibt es noch zusätzliche Blöcke wie Kreativkurse oder eine Art Wertekurs, in dem über Themen wie Zusammenleben, aber auch Nationalsozialismus gesprochen wird. „Alle Fragen, die Jugendliche beschäftigen, gibt es auch hier“, sagt die Projektleiterin der beiden College-Standorte im 9. und 10. Bezirk, Maria Steindl.

Das System ist modular aufgebaut, heißt, je nach Bedürfnissen bleiben die Schüler Wochen bis maximal neun Monate. Danach sollen sie in ein Regelsystem wie AHS, BHS, den Pflichtschulabschlusskurs oder in eine Lehre gehen. Insgesamt haben schon 20 Schüler den Absprung in höhere Schulen geschafft. Das sind Vorzeigefälle. Und Ausnahmen. Man dürfe auch kein falsches Bild erzeugen, sagt Frauenberger. Es werde genügend Schüler geben, für die nur eine überbetriebliche Lehre infrage käme. Die ist für jene, die selbstständig keinen Lehrplatz finden.

Gut die Hälfe der Jugendlichen im College sind Afghanen, die tendenziell ein niedrigeres Bildungsniveau haben. Das Sprachniveau der Schüler sei mit A1- und A2-Level im Schnitt niedriger als angenommen, sagt Maria Steindl. 80 bis 100 Schüler müssen, wie die junge Frau, erst alphabetisiert werden.

Je älter, desto schwieriger

Je älter die Schüler sind, desto schwieriger wird es, sie in Regelsystemen aufzunehmen. Hoda ist 19, aus dem Irak und erzählt in fast akzentfreiem Deutsch, dass sie Apothekerin werden will. Sie stand fast vor der Matura, als sie floh. Jetzt ist sie zu alt, um eine Übergangsklasse in der AHS oder BHS zu besuchen. „Eine Lehre mit Matura wäre eine Option“, sagt Projektleiterin Steindl.

Staatssekretärin Muna Duzda will die Idee auch in die Bundesländer tragen. „Es ist wichtig, dass wir schon bei den Asylwerbern ansetzen. Ich halte nichts davon zu sagen, die sind unvermittelbar. Das ist zu kurzfristig gedacht.“ Bedarf gibt es. In Wien sind allein 3410 Asylwerber zwischen 15 und 21 Jahre alt, wobei man seitens der Stadt betont, dass nicht alle für das College infrage kämen. Etwa, weil sie bereits einen Alphabetisierungskurs besuchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2016)

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