Ex-Banker angeklagt: "Auf einmal ist der Schuss losgegangen"

Archivbild einer Zelle in der Justizanstalt Korneuburg, wo Ex-Banker S. zum zweiten Mal in U-Haft sitzt.
Archivbild einer Zelle in der Justizanstalt Korneuburg, wo Ex-Banker S. zum zweiten Mal in U-Haft sitzt.APA/HERBERT PFARRHOFER
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Er war Vorstandsmitglied einer österreichischen Privatbank. Nun ist er wegen Mordes angeklagt, der Prozess startet am 20. März. Denn er brachte seinen Stiefbruder zu Tode. War es ein Unfall? Oder Mord?

Das Ganze erinnert ein bisschen an die alten Folgen der Krimiserie „Columbo“. Der Fall, angesiedelt in den sogenannten höheren Kreisen der Gesellschaft, entzieht sich einer schnellen Lösung. Dabei ist der Sachverhalt an sich gar nicht so kompliziert. Die große Frage lautet: Warum fiel der Schuss?

War es der finale Akt einer vorsätzlich begangenen Straftat? Sollte der Schuss fallen? Oder führte etwa (grobe) Fahrlässigkeit dazu, dass er fiel? Letzteres wäre dann doch nicht der Stoff, aus dem „Columbo“-Plots gemacht wurden. Sondern eine Art Unfall, ein Unfall mit höchst tragischen Folgen.

Der Beschuldigte war zuletzt Vorstandsmitglied einer österreichischen Privatbank. Derzeit ist S. (45) in U-Haft. Seinen Job hat er verloren. Am 18. September 2015 brachte er durch einen Kopfschuss seinen um zwei Jahre jüngeren Stiefbruder zu Tode. Das Opfer war ebenfalls im höheren Management dieser Bank beschäftigt.

Es geschah in der Wohnung des Bankers, in Wien-Währing. Beide hatten reichlich Bier und Wein getrunken. Der Schuss fiel aus nur 50 bis 70 Zentimetern Entfernung. Das Opfer starb in sitzender Position. Auf einem Barhocker.

„Ganz sicher bin ich, dass ich die Waffe natürlich nicht absichtlich auf ihn gerichtet habe“, sagte S. bei der Tatrekonstruktion. Erst habe er die Pistole, eine Glock 22 Gen4, seinem Stiefbruder gezeigt (auch dessen DNA-Spur war auf der Waffe). Dann müsse er die Waffe, „nachdem sie kein Gesprächsthema mehr war, aber trotzdem in der Hand“ gehalten haben. So lang, bis der Schuss fiel. Die Waffe habe er dabei wohl waagrecht gehalten. „Im Gangsta-Style“, sollte später eine Gutachterin sagen. S.: „Mitten im Gespräch ist der Schuss auf einmal losgegangen.“ Und: „Ich muss die Waffe wohl so gehalten haben, dass der Finger am Abzug war.“

Blutspurenanalyse

Die deutsche Expertin für Blutspurenmusteranalyse Silke Brodbeck hat sich diese, wie sie es nennt, „Unfallhypothese“, angesehen. Und meint in ihrem Gerichtsgutachten, dass ihre eigene Hypothese, die „Rekonstruktionshypothese“, doch „wahrscheinlicher“ sei. Es wäre schon möglich, heißt es, dass S. und dessen Stiefbruder auf Barhockern einander gegenüber gesessen sind, als der Schuss fiel (S. hatte erklärt, er vermute, dass es so war). Aber die Blutspuren an der Kleidung des Schützen, an der des Opfers und auch auf dem Laptop, der geöffnet vor dem Opfer auf der Küchentheke stand, würden für die „Rekonstruktionshypothese“ sprechen. Ebenso der Auffindungsort der ausgeworfenen Patronenhülse und auch der Schusskanal.

Für Gutachterin Brodbeck ist es eher plausibel, dass S. hinter der Küchentheke stand, als er schoss – während das Opfer gerade ein Musikvideo am Laptop aufrief. Übrigens den Titel „Blood in my Eyes“ (das Video zeigt mehrere blutige Gewaltverbrechen). Die Gutachterin: „So sieht der Geschädigte die Waffe erst im letzten Moment, nach Heben der Waffe über den Rand des Bildschirms.“

Aus Sicht des Schießsachverständigen Ingo Wieser und des Gerichtsmediziners Christian Reiter sind beide Schusspositionen, sitzend oder stehend, möglich. S. hat die Glock und einen Revolver, Kaliber .357 Magnum 2013, legal erworben, dazu 1500 Stück Munition. 906 Patronen hatte er zuletzt noch zu Hause. Den Rest verbrauchte er zuvor am Schießstand.

Wenn es Mord war – welches Motiv sollte S. gehabt haben? Die Anklageschrift bemüht eines der ältesten Mordmotive überhaupt: Eifersucht.

S. gab bei der Tatrekonstruktion freimütig an: „Bei mir ist es so, dass ich immer noch meine Exfrau liebe und an ihr hänge [. . .].“ Dies ist für die Anklage ein Schlüsselsatz.

Die Exfrau von S., eine Wiener Staatsanwältin (siehe Artikel), stand gemäß Informatik-Gutachten mit dem späteren Opfer in regem Kontakt. Per SMS und auch per Chats via WhatsApp. Dabei seien laut Anklageschrift auch „diverse Obszönitäten“ bzw. „anzügliche Nachrichten“ ausgetauscht worden. Eine recht eindeutige derartige Nachricht an die Exfrau von S. führt die Anklage wörtlich an.

Und: Gestützt auf das Informatik-Gutachten wird eine Brücke zu S. geschlagen. So heißt es: „Aufgrund der gemeinsamen Nutzung desselben Apple-ID-Accounts wurden die Anrufprotokolle und iMessages zwischen den beiden Smartphones des Beschuldigten und seiner Exgattin synchronisiert, sodass [. . .] S. die Anrufe, die seine Exgattin [. . .] führte und empfing, sowie die Nachrichten, die sie verschickte und empfing, mitlesen konnte.“ (Ob S. auch WhatsApp-Einträge mitlesen konnte, ist technisch noch nicht geklärt.)

Jedenfalls könne S., laut Anklage, aufgrund der Synchronisierung der Telefone den Eindruck gehabt haben, dass die beiden „möglicherweise ein Verhältnis hatten“. Die Anklage gesteht aber zu, dass dies bisher niemand aus dem Umfeld der beiden bestätigt habe.

Auch S. will von einem solchen möglichen Verhältnis nichts gewusst haben. Er sagt aber: Seine Exfrau sei insofern „ein Thema an diesem Abend gewesen“, als sie „auch eingeladen“ gewesen sei. Sie habe aber telefonisch abgesagt.

S. wird von Anwalt Rudolf Mayer vertreten. Dieser meint: „Bei Bestehen eines zu verbergenden Verhältnisses zwischen der Exfrau meines Mandanten und dessen Stiefbruder, hätte sich die Exfrau doch wohl ein zweites Handy besorgt.“ Für Mayer war das Ganze ein Unfall. „Schussunfälle, bei denen der Finger bewusst oder unbewusst am Abzug ist, kommen auch bei erfahrenen Schützen vor.“

DIE FOLGEN

Acht Geschworene werden über den angeklagten Ex-Banker entscheiden.

Die maximale Strafe, die dem 45-Jährigen droht, ist lebenslange Haft. Diese Möglichkeit ist gegeben, wenn die Mordanklage durchgeht.

Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (Rechtslage vor der StGB-Novelle) könnte bis zu drei Jahre Haft nach sich ziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2017)

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