Sonja Wehselys schweres Erbe

Sonja Wehsely
Sonja Wehsely(c) Clemens Fabry
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Krebspatienten müssen in Wien meist so lange auf Strahlenbehandlungen warten, bis mit Gesundheitsschäden zu rechnen ist.

Wien. Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely hat mit ihrem Abschied aus der Stadtregierung Großbaustellen im Wiener Gesundheitssystem hinterlassen. Fünf Tage nach ihrem angekündigten Rücktritt (sie wechselt zu Siemens Deutschland) bekommen die Probleme im Wiener Gesundheitssystem eine völlig neue Dimension: Ein Großteil der Krebspatienten, die auf eine Strahlentherapie angewiesen sind, werden wegen der langen Wartezeiten auf einen Termin erst dann behandelt, wenn schwere gesundheitliche Schäden (Ausbreitung der Krebswucherung, Metastasenbildung) nicht mehr ausgeschlossen werden können – wegen gröbsten Missmanagements im Gesundheitsressort: Es stehen zu wenig Geräte zur Verfügung.

Obwohl diese längst im Einsatz sein sollten, um die lang zuvor absehbaren Kapazitätsprobleme überhaupt nicht aufkommen zu lassen. Auf diesen Nenner kann der Prüfbericht des Stadtrechnungshofs (StRH) gebracht werden, der am Mittwoch ernüchternde Fakten über Wiens Gesundheitssystem veröffentlichte. Und dabei zahlreiche, bisher unbekannte bzw. dementierte Missstände nachwies.

Konkret wurden im ersten Quartal des Jahres 2015 rund 1200 Patientenaufzeichnungen in den Wiener Gemeindespitälern angesehen. „Dabei zeigte sich, dass nur in rund 38 Prozent der Fälle der erste Bestrahlungstermin innerhalb des Sollzeitraumes lag.“ Nachsatz: „In rund 62 Prozent lagen über diesen medizinisch vertretbaren Zeitraum hinausgehende kritische Wartezeiten im Ausmaß von bis zu mehreren Wochen vor.“

Ein involvierter Mediziner, der aus Angst vor dienstrechtlichen Konsequenzen durch den KAV (Krankenanstaltenverbund) seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, zur „Presse“: „Der Sollzeitraum von der Diagnose bis zur ersten Behandlung ist sowieso recht großzügig bemessen. Und dann werden fast zwei Drittel der Patienten bei uns nicht einmal in diesem Zeitraum behandelt.“ Im Prüfbericht wird wörtlich von beeinträchtigten Therapieerfolgen und beeinträchtigten Heilungschancen gesprochen. Was das in der Praxis bedeutet? „Während der Wartezeit können Metastasenbildungen auftreten. Und der Tumor kann eine derartige Größe erreichen, dass er inoperabel wird – weil der Patient nicht rechtzeitig eine Strahlentherapie bekommt“, meint der KAV-Mediziner, der unter der Zusicherung der Anonymität auch direkter formuliert: „Im schlimmsten Fall stirbt jemand, weil er zu lange auf eine Strahlentherapie warten muss.“

Diese Aussagen werden im Prüfbericht bestätigt: „Durch den progressiven Verlauf onkologischer Erkrankungen . . . können weitere Maßnahmen und Folgekosten notwendig sein.“ Das bedeutet: Während Patienten auf der Warteliste stehen, breitet sich der Krebs aus, was die Bekämpfung schwieriger und auch teurer macht. „Dazu kommt noch die enorme psychische Belastung der Patienten, die lange auf eine Behandlung warten müssen, während sich der Krebs ausbreiten kann“, meint der anonym bleiben wollende KAV-Mediziner.

Ursache der Missstände sind fehlende Kapazitäten – weil Geräte nicht wie geplant angeschafft wurden. Obwohl bereits 2013 klar war, dass die Planungsvorgaben des KAV laut StRH unter den Richtwerten für die Einwohnerzahl Wiens lagen – also eine Unterversorgung drohte. Trotzdem ist nichts passiert: Elf Linearbeschleuniger waren 2015 im Einsatz – obwohl laut Regionalem Strukturplan Gesundheit bereits im Jahr 2008 zwölf Geräte im Einsatz hätten sein sollen. Der StRH fordert nun vom KAV „ehestmöglich“ mindestens eine entsprechende Aufrüstung mit Geräten und Personal – der KAV will dem nachkommen.

Keine Alternative für Patienten

Jener KAV-Arzt, der anonym bleiben möchte, hält fest: „Diese Situation ist für Patienten bitter.“ In vielen Bereichen, z. B. bei MRT-Untersuchungen, könnten Patienten selbst zahlen und auf den privaten Sektor ausweichen: „Aber in der strahlentherapeutischen Behandlung gibt es keinen privaten Sektor. Die Patienten können nicht ausweichen – sie können nur warten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2017)

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