Kämpfer in der Schule: „Du bist mein Vorbild“

KAMPFSPORTLER ALS VORBILD IN WIENER SCHULE
KAMPFSPORTLER ALS VORBILD IN WIENER SCHULE(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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In der Polytechnischen Schule in Wien Neubau haben 90 Prozent der Schüler Migrationshintergrund. Ein Lehrer holt nun Kampfsportler in die Schule. Sie sollen den Schülern Vorbild für ein gewaltfreies Zusammenleben sein.

Wien. Es geht um Schlägereien, und die Jugendlichen lauschen aufmerksam. Er selbst sei früher so gewesen: Einer, der zeigen wollte, dass er etwas draufhabe, wenn ihn jemand provoziert habe, sagt Mairbek Taisumov. Ein junger Tschetschene eben, der als Kind nach Österreich geflohen sei, die Sprache nicht konnte, „aber etwas schaffen wollte“. Heute, erzählt er den 14- bis 16-jährigen Schülern in der Polytechnischen Schule Im Zentrum im siebten Bezirk, gehe er einfach weiter, wenn ihn zum Beispiel in der U-Bahn jemand anrempeln würde. „Was bringt es mir, jemanden zu schlagen? Das bringt mir nur Probleme.“

Die Klasse, die ihm zuhört, ist ungewöhnlich still. Vielleicht, weil ihre Idole vor ihnen sitzen, wie es für andere Marcel Hirscher und Hermann Maier sind. Mairbek Taisumov, Arbi Agujev, Karim Mabrouk und Foad Sadeghi – vier Kampfsportler, von denen gerade die ersten beiden bejubelte Mixed-Martial-Arts-Kämpfer sind. Sie sind Teil des Projekts „Gekämpft wird nur im Ring“ von der NGO „Not in God's Name“, in der sich Kampfsportler gegen Gewalt im Namen von Religion aussprechen. („Die Presse“ berichtete).

Rund 90 Prozent der Schüler haben hier Migrationshintergrund, viele davon sind Muslime. Das hat Lehrer Michael Fellner auch dazu veranlasst, die Kampfsportler in die Schule zu bitten. Jihad, Islamischer Staat, Schülerinnen, die Kopftuch tragen, das seien Alltagsthemen. Nicht, dass schon jemand in den Jihad gezogen sei, „aber es stehen viele Meinungen im Raum“. Und die Lehrer seien – da nur wenige Migrationshintergrund hätten – nur bedingt als Vorbilder geeignet.

In der Stunde mit den Kampfsportlern geht es dann auch um typische Migrantenthemen. Mairbek Taisumov erzählt, wie ihn anfangs niemand unterstützen wollte, und wie er sich mit Disziplin nach oben gearbeitet hat. „Jetzt kann ich die Leute sponsern, die mich vorher nicht wollten“, sagt er, und alle lachen. „Schenken wird euch niemand etwas“, fügt er ernst hinzu. Kickboxer Foad Sadeghi erzählt, wie ihn der Sport vor viel Ärger ferngehalten habe, Agujev, wie er sich auf seinen Kampf am Samstag im Hallmann Dome in Wien Favoriten vorbereitet. Karim Mabrouk spricht schließlich den Terroranschlag in Berlin an. „Jeder weiß, dass man keine unschuldigen Menschen tötet. Man muss nur menschlich denken.“ Taisumov fügt hinzu, dass in seinem Team Christen und Muslime gemeinsam arbeiten.

30 Schulen angefragt

Der Teil fällt, weil die Stunde vorbei ist, etwas kurz aus. Der Ablauf gehört noch verbessert, sagt „Not in God's Name“-Initiator Alexander Karakas. Es sei erst der zweite Termin in dieser Schule – 30 weitere Schulen hätten übrigens schon um Termine angefragt. Im März soll das Projekt groß im 22. Bezirk starten. Unterstützer ist Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ), der das Projekt in die Schulen, Flüchtlingsheime und Parks im Bezirk tragen will. Dann wird es auch ein (kostenloses) Training für Jugendliche beim Askö Donaustadt geben.

Denn wie groß der Einfluss der Sportler auf die Schüler sein kann, zeigt sich erst im Einzelgespräch. Nach der Stunde steht Mairbek Taisumov mit einem jungen Albaner am Gang – und redet ihm offensichtlich ins Gewissen. Der junge Mann hat sich kurz davor mit Mitschülern geprügelt. Sein Klassenlehrer hat die Chance ergriffen und ihn zu dem Sportler gebracht. Jetzt steht der junge Mann da und wechselt die Gesichtsfarbe zwischen Rot und Weiß. „Du bist mein Vorbild“, stammelt er mit weit aufgerissenen Augen. „Ich pack das nicht“, fügt er hinzu. Und: „Ich höre auf das, was er sagt.“ Später sprechen Taisumov und ein Kollege noch mit den Gegnern in der anderen Klasse.

„Man kann nicht mit einem einzigen Gespräch eine Einstellung ändern“, wird Lehrer Fellner später sagen. Aber wenn die Sportler alle zwei Monate kommen könnten, dann halte er das für eine gute Idee. (win)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2017)

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