Am Sonntag sollen erneut zu wenige Notärzte im Dienst gewesen sein. Der Wiener Berufsrettung wird vorgeworfen, trotz Personalknappheit mehrere geeignete Bewerber abgelehnt zu haben – um Posten und Geld zu sparen.
Wien. Nicht nur zahlreiche Notaufnahmen der Wiener Krankenhäuser leiden an chronischem Personalmangel, zu wenige Ärzte gibt es seit Längerem auch bei der Wiener Berufsrettung (MA 70). Und die Situation ist dramatisch. So waren in der vergangenen Silvesternacht in Wien nach Krankenständen lediglich zwei Notärzte im Dienst, weshalb spontan Kollegen aus Niederösterreich einspringen und ihre eigenen Versorgungsgebiete vernachlässigen mussten. Auch am vorletzten Sonntag waren es anfangs nur zwei, später sechs, nachdem man umschichtete und Ärzte aus dem Urlaub zurückgeholt wurden. „Die Presse“ berichtete.
Diese akuten Engpässe drohen nun zum Regelfall zu werden, denn auch am vergangenen Sonntag sollen Sanitätern zufolge für ganz Wien nur drei statt der vorgesehenen acht Notärzte im Dienst gewesen sein – was ein Sprecher der MA 70 am Montag nicht bestätigte – einen generellen Mangel räumt er aber ein. Regelmäßig zu wenige Dienst habende Notärzte sind eine Folge der Unterbesetzung bei der MA 70, denn von den 78 Planstellen sind derzeit lediglich 39 besetzt. Trotz Inseraten, Informationsveranstaltungen und des Angebots von Teilzeitarbeit gibt es kaum Bewerber – angesichts harter Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung hat der Beruf des Notarztes in den vergangenen Jahren an Prestige verloren – heißt es jedenfalls aus der Berufsrettung.
Personalmangel wegen Spardruck?
Unter der Ärzteschaft wird hingegen Kritik laut, denn in der Vergangenheit habe es sehr wohl einige geeignete Bewerber gegeben, die aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt worden seien. Als Grund dafür wird vermutet, dass auch bei der Rettung gespart werden muss und das Personal absichtlich reduziert wird. Auch im Hinblick auf die geplante Eingliederung der Notärzte in den Krankenanstaltenverbund (KAV).
Ab April sollen nämlich die Mediziner aus den Notaufnahmen und die der Berufsrettung zusammengelegt werden. Dann müssten zum einen die Ärzte, die in den Notaufnahmen beschäftigt sind, Rettungseinsätze fahren. Und zum anderen jene, die bisher nur Rettungseinsätze gefahren sind, in den Notaufnahmen mitarbeiten – wogegen es in der Ärzteschaft viel Widerstand gibt, da sich dadurch die gewohnten Arbeitszeiten ändern würden.
Die MA 70 weist die Kritik auf Nachfrage zurück. Der Sprecher teilte am Montag mit, dass in den vergangenen drei Jahren nur ein Bewerber abgelehnt worden sei, bei zwei weiteren laufe das Bewerbungsverfahren noch. Seit 2014 seien vier Ärzte angestellt worden. Notärzte bei der Wiener Berufsrettung verdienen in Wien im Übrigen um rund 30 Prozent weniger als Spitalsärzte. Das Einstiegsgehalt liegt bei rund 5300 Euro brutto, nach 20 Dienstjahren bei 6800 Euro. Als Notärzte arbeiten dürfen Mediziner mit „Berechtigung zur selbstständigen Berufssausübung“ – also Ärzte, die ihren Turnus oder ihre Fachausbildung absolviert haben und sich zusätzlich zum Notarzt ausbilden ließen – man kann also nicht direkt von der Universität kommend als Notarzt arbeiten.
Zu den Versorgungsengpässen trägt auch bei, dass das Rote Kreuz, die Johanniter und der Arbeiter-Samariter-Bund seit einigen Jahren keine Notarztwagen mehr in Betrieb haben. Grund waren Konflikte mit der Wiener Gebietskrankenkasse wegen der Verrechnung.
ÖVP: „Chaos im Ressort“
Kritik an den Engpässen kam am Montag auch von der Rathausopposition. Für Ingrid Korosec, Gesundheitssprecherin der Wiener ÖVP, ist die momentane Situation „nur ein aktuelles Beispiel für das herrschende Chaos im Gesundheitsressort der Wiener Stadtregierung“. Sie fordert von der zuständigen Gesundheitsstadträtin, Sandra Frauenberger (SPÖ), „sofortige Gegenmaßnahmen. Wenn von 78 Notarztstellen nur 39 besetzt sind, wenn Ärzte aus Niederösterreich für ihre Wiener Kollegen einspringen müssen, dann herrscht höchste Gefahrenstufe für das gesamte Wiener Notarztsystem.“
Eine „Knappheit an Notärzten“ leugnet man auch im Büro von Frauenberger nicht. Die notärztliche Versorgung in Wien sei aber „nach wie vor sichergestellt“. An einer langfristigen „Neuaufstellung“ werde gearbeitet.
Geplant ist unter anderem eine Aufstockung des Ärztefunkdienstes (141) und eine zusätzliche Gesundheitshotline, über die medizinisches Personal am Telefon entscheiden soll, welche Hilfe bei welchem Notfall die geeignetste ist – damit nicht immer die Notrufnummer 144 gewählt wird und Notarztwagen losgeschickt werden, obwohl sie nicht notwendig wären. Als Sofortmaßnahme stehen im AKH seit Kurzem zwei Rettungswagen zur Verfügung, die von dort mit einem Arzt und einem Notfallsanitäter zu Einsätzen fahren – allerdings nur unter der Woche und nur tagsüber.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2017)