Mordverdacht: Wachsoldat in U-Haft

Nach dem Todesfall wartet das Heer auf das Schussgutachten.
Nach dem Todesfall wartet das Heer auf das Schussgutachten.(c) Gindl/APA/picturedesk.com
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Der 22-jährige Rekrut, der Montagabend einen 20-jährigen Kameraden mit einem Sturmgewehr getötet hat, behauptet weiterhin, sich an die Tat nicht erinnern zu können.

Wien. Donnerstagnachmittag nahmen die Dinge ihren Lauf: Ein Haftrichter verhängte U-Haft über den Wachsoldaten, der für den Tod eines Kameraden verantwortlich ist. Die Ermittlung gegen Ali Ü. (22) läuft nun wegen Mordverdachts. Indessen kritisiert der Waffenexperte Armin Zotter im „Presse“-Gespräch, dass bei der Aufarbeitung des Falls zuwenig Distanz zum Bundesheer bestehe.

Der Reihe nach: Das größte Rätsel ist nach wie vor der Tathergang. Sollte es sich, wie der Staatsanwalt vorerst annimmt, um ein vorsätzliches Tötungsdelikt (Mord) gehandelt haben, so liegt das Motiv derzeit noch im Dunkeln. Von einer schwelenden Fehde oder einem Streit zwischen Täter und Opfer ist nichts bekannt.

Ü. selbst – er ist dem Vernehmen nach nervlich am Ende – gab bisher sowohl in den Polizeiverhören als auch bei der Einvernahme durch den Haftrichter an, er könne sich nicht mehr daran erinnern, was geschehen ist. Beobachter rechnen daher damit, dass von der Justiz ein psychiatrischer Gutachter beigezogen wird, der den jungen Rekruten untersucht. Leidet dieser möglicherweise an einer Bewusstseinsstörung? Oder gibt er vielleicht nur vor, Erinnerungslücken zu haben?

Gesichert ist: Das 20-jährige Opfer, Ismail M., ebenfalls ein Wachsoldat, starb durch einen Kopfschuss. Die Tatwaffe war das Sturmgewehr, das StG 77, des nunmehr in U-Haft sitzenden Soldaten. Ebendiese Tatwaffe wird nun durch den ebenso prominenten wie erfahrenen Schießsachverständigen Ingo Wieser untersucht.

Die „Nähe“ des Gutachters

Kurios: Wieser bekleidet eine Leitungsfunktion im Amt für Wehrtechnik; die Tat ereignete sich in einem Wachcontainer – drei Wachsoldaten, darunter der Schütze und das Opfer, waren dazu eingeteilt gewesen, das Kommando des Amts für Wehrtechnik (Wien Leopoldstadt, Vorgartenstraße 225) zu bewachen. Geografisch gesehen ereignete sich die Tat aber nicht direkt vor Wiesers Haustür, da seine Dienststelle in Felixdorf (Niederösterreich) liegt. Wieser gilt als Legende unter den Waffenexperten. Als Gerichtsgutachter war er schon im Lucona-Mordprozess um Udo Proksch oder im Briefbombenterrorprozess um Franz Fuchs eingesetzt.

Nun wurde er zwar von der Staatsanwaltschaft Wien und nicht vom Heer als Gutachter (Wieser ist gerichtlich beeideter Sachverständiger) bestellt, dennoch regt sich Kritik. Der gerichtliche Waffen- und Munitionssachverständige Armin Zotter (er untersuchte beispielsweise den blutigen Amoklauf des Wilderers von Annaberg) meint: „Der Fall ist beim Bundesheer angesiedelt und sollte nicht von Personen, die dem Militär nahestehen, untersucht werden.“

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Michael Bauer, dazu: „Die Auswahl des Experten oblag ausschließlich der Staatsanwaltschaft.“
Indessen hält Zotter den zuletzt von Verteidiger Farid Rifaat vorgebrachten Einwand für ziemlich unwahrscheinlich: Rifaat hat gemeint, die Waffe sei dem Rekruten im Wachdienst runtergefallen, dadurch sei vielleicht eine Patrone in die Kammer geraten. Das StG 77 lade sich nicht selbst, sobald es irgendwo herunterfalle, meint Zotter dazu.

„Er ist am Boden zerstört“

Abgesehen davon muss das Gewehr ja auch entsichert worden sein – und der Abzug muss betätigt worden sein. Das Entsichern könne durch gedankenverlorenes Herumspielen passiert sein, so Anwalt Rifaat zur „Presse“. Und: „Es war ein Unfall. Mein Mandant hatte doch kein Motiv. Er ist am Boden zerstört.“

Die Anwälte der Hinterbliebenen des Opfers, Rudolf Mayer und Philipp Winkler, sind „an der Wahrheit“ interessiert. Mayer: „Die Familie will wissen, die Eltern wollen wissen, warum ihr Sohn sterben musste.“ Zu einem möglichen Herunterfallen des Gewehrs sagt Mayer: „Dann hätte der Rekrut, ein ausgebildeter Wachsoldat, doch sofort die Waffe abgeben müssen und ersuchen müssen, dass sie genau inspiziert wird.“ Mayer und Winkler begehren nun Schadenersatz für die Hinterbliebenen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2017)

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