Für SPÖ und ÖVP besitzt das Wiener Ergebnis der Nationalratswahl interessante Aspekte. Die Türkisen konnten in Flächenbezirken punkten, die SPÖ bei Jungen.
Wien. Es war der Tag der Nachwahlbetrachtungen und Schlussfolgerungen für Wien. Während die Bundesgrünen ihre Krisensitzung abhielten, interpretierten SPÖ und ÖVP ihr Wiener Wahlergebnis. Dabei beteuerten SPÖ-Klubchef Christian Oxonitsch und Michael Häupls Parteimanagerin Sybille Straubinger: Man sei nicht schuld am Wahldebakel des grünen Koalitionspartners. Die Wiener SPÖ habe mehr Stimmen von Nichtwählern mobilisiert (53.000 Stimmen) als von den Grünen (35.000 Stimmen). „Die Behauptung, dass die Wiener SPÖ nicht mehr mobilisieren kann, ist damit auch widerlegt“, so Oxonitsch.
Nur: Laut Wählerstromanalyse hat die SPÖ den grünen Koalitionspartner doch abgeräumt. Der Nichtwählersaldo (53.000 Zugänge minus 25.000 Abgänge) beträgt für die SPÖ +28.000 Stimmen. Der Grünwählersaldo (+34.000 Stimmen) liegt deutlich darüber. Damit hat die Wiener SPÖ auch mehr Stimmen vom Koalitionspartner abgezogen als die Liste Pilz, die dort 25.000 Wähler abholen konnte.
Die Folge: Mit den Stimmen früherer Grünwähler erreichte die Wiener SPÖ (entgegen dem Bundestrend) ein Plus von 2,85 Prozentpunkten und kam auf insgesamt 34,49 Prozent.
Bei Wahlverhalten und Wählerstromanalysen (beides hatte das Meinungsforschungsinstitut Sora für die SPÖ untersucht) gibt es noch weitere interessante Aspekte: Die Wiener SPÖ war äußerst erfolgreich in der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen. Hier erreichte die Bürgermeisterpartei mit 36 Prozent Platz eins. Und das deutlich vor FPÖ (23 Prozent) und ÖVP (17 Prozent). Österreichweit erreichte die SPÖ in dieser zukunftsträchtigen Zielgruppe, die naturgemäß die Erstwähler inkludiert, mit 17 Prozent allerdings nur die Hälfte. Das zeigt: Hier hat die SPÖ österreichweit ein Problem – außer in Wien. Wobei die Wiener SPÖ in allen Altersgruppen auf Platz eins liegt. Am stärksten mit 38 Prozent bei den Über-60-Jährigen, am schwächsten bei 33- bis 44-Jährigen mit 29 Prozent.
Fast erwartbar: Bei jenen, die keine Vorteile in der EU sehen, dominierten die Freiheitlichen. Sie konnten 47 Prozent dieser Wiener Wähler abholen, während die ÖVP auf 20 Prozent und die SPÖ auf 19 Prozent kam. Bei Wienern, die Vorteile durch die EU sehen, lag die SPÖ dagegen deutlich vor der ÖVP auf Platz eins.
Faktum ist: Die rot-grüne Stadtregierung hat bei der Nationalratswahl keine Mehrheit erreicht. Während einige in der SPÖ nervös werden, in Hinblick auf die Wien-Wahl 2020, übte sich Parteimanagerin Straubinger in Zweckoptimismus: Für diese Spekulationen sei es zu früh. Man werde daran arbeiten, FPÖ-Wähler zu holen. Und: 25 Prozent der SPÖ-Wähler haben als Wahlmotiv angegeben: Sie hätten ihr Kreuz bei der SPÖ gemacht, weil diese den fairsten Wahlkampf geführt hat.
Blümel bleibt Wiener ÖVP-Chef
Zwei Stunden vor der SPÖ war Wiens ÖVP-Chef Gernot Blümel mit der türkisen Analyse vor die Medien getreten. Der Vertraute von Sebastian Kurz zeigte sich mit dem deutlichen Plus auf Wiener Ebene (+7,10 Prozentpunkte) sichtbar zufrieden: Mit 21,6 Prozent habe man am Sonntag außerdem Platz zwei in Wien erreicht, drei zusätzliche Mandate erobert, darunter unerwartet ein Mandat im Wahlkreis Nord (Floridsdorf, Donaustadt): „Die ÖVP Wien hat einiges an Ansehen in der ÖVP-Familie gewonnen“, erklärte Blümel. Dass dieses neue Ansehen in einem Ministerposten für Blümel münden wird, wollte der Wiener ÖVP-Chef nicht kommentieren. Er werde jedenfalls Wiener ÖVP-Chef bleiben und die Partei im Jahr 2020 in die nächste Wien-Wahl führen, erklärte Blümel, der daneben keine Koalitionspräferenz auf Bundesebene erkennen ließ.
In ÖVP-Kreisen ist zu hören, dass Blümel aufsteigt. Ein Grund, neben dem Wahlerfolg: Der Parteichef der kleinen Wiener ÖVP, die bei der Wien-Wahl 2015 einstellig wurde, hat gegenüber dem Wiener Bürgermeister null Gewicht. Ein Minister oder Staatssekretär dagegen schon. Deshalb wurden diese Funktionen in der Vergangenheit immer wieder kombiniert – z. B. bei dem damaligen Wiener ÖVP-Chef und heutigen EU-Kommissar Johannes Hahn, der damals auch Wissenschaftsminister war. stu
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)