Wer kontrolliert das Jugendamt?

Wiener Behörde verwehrte 13-Jährigem ärztlich verordnete Psychotherapie.

WIEN. Welche Möglichkeiten haben Eltern, das Verhalten des mit der Obsorge betrauten Jugendamts gegenüber ihren leiblichen Kindern zu beeinspruchen? Antwort: Bisher wenig. So widersetzte sich das Wiener Jugendamt in einem der „Presse“ bekannten Fall bis zuletzt der Kontrolle durch ein Pflegschaftsgericht. Ein aktuelles Urteil könnte laut Familienrichtern nun tiefere Einblicke in die Arbeit der Jugendwohlfahrtsträger bringen und ihnen die gleichen Pflichten auferlegen, wie sie auch für ganz „normale“ Eltern gelten.

Im Fall des 13-jährigen Martin Jenisch* etwa war das Jugendamt der Meinung, ihm die von seinen Ärzten empfohlene Psychotherapie nicht gewähren zu müssen. Der besorgte Vater des Buben, Walter Jenisch, intervenierte, wurde ignoriert, und ging vor Gericht, das dem Amt schließlich auftrug, für die notwendige Therapie zu sorgen. Anstatt sich umgehend um das „Kindswohl“ (so lautet der juristische Begriff) zu kümmern, beeinspruchte das Jugendamt aus „grundsätzlichen Bedenken“ die Entscheidung der Richterin. Es könne nicht sein, so die Rathausjuristen, dass sich ein Gericht in die Angelegenheiten einer Verwaltungsbehörde einmische. Die Behörde irrte.

Kein Geld für Therapie

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen fällte nun nämlich die Entscheidung, dass sich auch das Wiener Jugendamt den Beschlüssen ordentlicher Gerichte unterwerfen müsse. Vereinfacht wird das damit begründet, dass das, was für „ganz normale“ Eltern gelte, auch auf Behörden wie die MA11 anzuwenden sei.

„Das Problem ist, dass sich die Wiener Behörde außerhalb jeglicher Kontrolle sieht“, sagt Walter Jenisch, der seinen Sohn, Martin, ursprünglich freiwillig und unter der Voraussetzung dem Amt übergab, dass sich dieses auch um seine psychische Gesundheit kümmere. Hintergrund: Das Kind kam mit der Trennung der Eltern und dem Alkoholproblem der Mutter nicht zurecht, der Vater stimmte der Empfehlung der Ärzte zu, die schwierige Situation (Zerrissenheit zwischen den Eltern) mit einer vorübergehenden Fremdunterbringung in einer Wohngemeinschaft des Jugendamts zumindest mittelfristig zu lösen.

Warum es überhaupt so weit kam? Der „Presse“ erklärte eine Behördensprecherin, dass hauseigene Experten der Meinung waren, dass eine Therapie das Kind nur zusätzlich und unnötig belasten würde, da es gleichzeitig psychisch auf den Prozess vorbereitet wurde. Weiters geht aus den Akten hervor, dass die Behörde damit argumentierte, kein Geld für die Therapie zu haben.

Auch für die Richterin ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, die das Jugendamt nicht mehr weiter verfolgen will, „etwas Neues“. Doris Täubel-Weinreich, gleichzeitig Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht in der Richtervereinigung, glaubt, dass die Justiz dadurch nun insgesamt mehr Kontrolle über Jugendwohlfahrtsträger bekommt. „Bisher war das auch für mich nicht so klar, weshalb wir in diesem konkreten Fall in gewissem Sinne auch etwas ausprobiert haben.“

Das Wiener Jugendamt interpretiert das Urteil als problematisch. „Für uns ist es die Bestätigung dafür, dass Gerichte nun auch den Behörden die Obsorge entziehen können.“

* Zum Schutz des Kindes wurde sein Name von der Redaktion geändert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2010)

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