Wenn Wiener Wutbürger um Ziesel kämpfen

Wenn Wiener Wutbuerger Ziesel
Wenn Wiener Wutbuerger Ziesel(c) EPA (ADAM HAWALEJ)
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Sie werfen sich vor Traktoren und organisieren Widerstandscamps. Bürgerinitiativen legen sich immer öfter mit der Stadtverwaltung an. Dabei geht es um Grünraum, Architektur – und Ziesel.

Michaela Mitterholzer-Sluka steht am Fenster und bewacht das Feld. Jeden Moment könnte der Traktor kommen – das macht ihr Angst. Wenn der Traktor kommt, wird er das Feld pflügen, und alles, wofür Mitterholzer-Sluka in den vergangenen Wochen gekämpft hat, wird mit einem Schlag vielleicht vernichtet sein.

Michaela Mitterholzer-Sluka (43) ist mit ca. 30 weiteren Bewohnern ihres „Grätzels“ Mitglied der „IGL-Marchfeldkanal“ und damit so wie viele andere Wiener Teil einer Bürgerinitiative. Immer mehr Wiener wehren sich, oft aus persönlicher Betroffenheit, gegen politische Entscheidungen, Bauprojekte, die Zerstörung von historischen Kulturgütern, und legen sich daher mit der rot-grünen Stadtregierung und deren Verwaltung an.

Im Fall von Mitterholzer-Sluka und der IGL-Marchfeldkanal ist der Grund für den Ärger ein rund 70.000 Quadratmeter großes Feld im Norden des Heeresspitals in Wien-Floridsdorf. Denn auf dem Feld, auf dem in absehbarer Zeit rund 1000 Wohnungen entstehen sollen, sind im Frühjahr Ziesel entdeckt worden: kleine Nager, die zu den meistbedrohten Tierarten in Österreich zählen. Seither schwelt der Konflikt zwischen der Stadt Wien, einem Bauern und der Bürgerinitiative „IGL-Marchfeldkanal“. Denn der Bauer, der das Feld gepachtet hat, hat begonnen, das davor brachliegende Feld zu beackern. Anrainer und Tierschützer fürchten nun, dass die Tiere durch die Pflüge getötet werden oder abwandern: „Wenn der Bauer das Feld bebaut, ist der Lebensraum der Ziesel zerstört“, empört sich Mitterholzer-Sluka. Dass die Mutter zweier Kinder einmal zu den Mitgliedern einer Bürgerinitiative gehört, hätte sie selbst nie gedacht. Aber die „persönliche Betroffenheit“ hätte sie dazu getrieben. „Mich persönlich enttäuscht es, dass Natur und Umweltschutz so wenig Gehör finden“, sagt Mitterholzer-Sluka. Dabei waren die Ziesel auch ein gefundenes Druckmittel in einem ohnehin schon länger schwelenden Disput zwischen der Stadt Wien und den Anrainern. Denn die IGL-Marchfeldkanal wurde schon vor dem Entdecken der Ziesel gegründet, um gegen den Bau der vielen, mehr als vierstöckigen Wohnbauten mobil zu machen. Mit den Zieseln hätten sich aber die Prioritäten der Bürgerinitiative geändert: „Uns geht es jetzt um den Tierschutz“, sagt Mitterholzer-Sluka. Schützenhilfe kommt von Ziesel-Expertin Ilse Hoffmann (Universität Wien): „Eine Bebauung dieses Gebietes kann ich mir nur vorstellen, wenn dazwischen entsprechende Grünflächen möglich sind.“

Derzeit wird ein neues Gutachten erstellt, das klären soll, wie viele Ziesel in dem betroffenen Gebiet leben. „Es besteht keine Gefahr für die Tiere“, heißt es aus dem Büro von Umweltstadträtin Ulli Sima. Die MA22 hat ein Beackerungsverbot verhängt, bis das Gutachten fertig ist. Von SPÖ und Grünen wurde im Gemeinderat außerdem eine „Schutzzone“ eingeführt, ein 35bis 70 Meter breiter Streifen parallel zum Marchfeldkanal, der nicht bepflügt werden darf. Für die Bürgerinitiative ist das nicht genug. Weshalb Mitterholzer-Sluka immer in Bereitschaft ist, sofort auf das Feld zu laufen, sollte der Traktor wieder kommen.

Das Vertrauen der Ziesel-Kämpferin in die Politik ist stark erschüttert: „Ich dachte, man kommt mit Argumenten weiter.“ Vor allem, dass sie bei den zuständigen Stellen wie der MA22 anfangs so wenig Gehör gefunden hat, ärgert sie. Immerhin haben mittlerweile die Floridsdorfer Grünen und Madeleine Petrovic als Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins Unterstützung zugesagt: „Im Notfall leg ich mich auch vor den Traktor“, beteuert Petrovic, die Altchefin der Grünen. Sie lässt rechtliche Schritte prüfen.


Kampfplatz Augarten. Persönliche Betroffenheit war ebenfalls der Grund, weshalb sich Raja Schwahn-Reichmann mit der Stadtpolitik angelegt hat. Seit Jahren kämpft die extrovertierte Künstlerin, die beim Augartenspitz wohnt, mit ungewöhnlichen Mitteln gegen die dort geplante Konzerthalle der Sängerknaben: „Wir werden bis zur Eröffnung der Konzerthalle weitermachen – mit konstruktivem Protest“, erklärt Schwahn-Reichmann, die sich als Barockmalerin einen Ruf aufgebaut hat, gelegentlich in ungarischer Tracht auftritt und bereits mehrfach Kulissen für den Life Ball gestaltet hat.

Vor der Baustelle gibt es ein Widerstandscamp (eine Art Zeltstadt), dazu laufend Veranstaltungen und auch Angebote für Kinder. Aufgeben will die streitbare Anrainerin nicht, obwohl die Konzerthalle nun langsam empor wächst. Immerhin haben ihr Protest, die Feste, Protestmärsche und das Lobbying, bisher jede Menge Aufsehen erregt. Prominente wie die Schriftsteller Robert Menasse und Doron Rabinovici oder die Schauspielerin Anne Bennent setzen sich für die Bürgerinitiative ein. „Denn hier am Augarten wird ein substanzloses Objekt direkt in ein historisches Ensemble hineingepresst“, so Schwahn-Reichmann über die Konzerthalle der Sängerknaben, die 400 Plätze bietet. Es sei besser, im nahen Nordbahnhofgelände den Konzertsaal zu bauen. Dort wären auch die Verkehrsprobleme, welche die Konzerthalle im Betrieb verursachen würde, besser lösbar.

Einen Umzug auf das Nordbahnhofgelände hat der Investor der Sängerknaben allerdings ebenso abgelehnt wie einen Baustopp. Der Aufstand gegen „die da oben“ hat der Bürgerinitiative bereits einen kleinen Erfolg gebracht. Ursprünglich hätte die barocke Mauer am Eingang abgerissen werden sollen. Das wurde durch das Denkmalamt verhindert. Und so arbeitet Schwahn-Reichmann weiter, derzeit mit Unterstützung des „Kino wie noch nie“, dem Freiluftkino im Augartenspitz. Schwahn-Reichmann: „Wir werden dieses wertvolle Stück Natur, das in der Stadt liegt, nicht kampflos einem privaten Investor übergeben.“
Kampfplatz Steinhofgründe. Den Willen zum Kampf teilt auch Karl Melber. Er will mit einer Bürgerplattform ein Bauprojekt auf dem Areal des Otto Wagner-Spitals bei den Steinhofgründen zu Fall bringen. Konkret sollen auf einem nicht mehr genutzten Teil des Spitalsareals ein Rehabilitationszentrum und 600 Wohnungen entstehen – im Juni haben dafür die Vorarbeiten begonnen. Seit dem Frühjahr kämpft die Bürgerinitiative (steinhof@gmx.at) gegen das Projekt – sie spricht von einer Privatisierung öffentlichen Raums und von einer drohenden Verkehrslawine durch die geplanten 600 Wohnungen. „Das Steinhofareal ist ein wunderbares Architekturjuwel, das nicht zerstört werden darf, so Melber. Deshalb ist der Pensionist mit anderen Wutbürgern auf die Barrikaden gestiegen.

Immerhin sei das Spitalsareal für die öffentliche Wohlfahrt bestimmt, das müsse so bleiben, erklärt der 63-Jährige. In regelmäßigen Treffen wird der Widerstand organisiert, derzeit ist die Initiative die medial aktivste in Wien. Dass er sich aktiv engagiert, war für Melber nie eine Frage: „Ich habe schon vor langen Jahren gegen die Verbauung der Steinhofgründe gekämpft.“ Damals habe eine Volksbefragung das Projekt gestoppt. Eine Option, auf die Melber auch jetzt wieder hofft.

Die Wutbürger

Was ist ein „Wutbürger“? Der Ausdruck wurde vom deutschen Feuilleton geprägt und bezeichnet Menschen aus dem bürgerlichen Milieu, die immer weniger mit den politischen Entscheidungen in ihrem Umfeld zufrieden sind. Um ihrer „Wut“ Ausdruck zu verleihen, beginnen einige, sich lautstark zur Wehr zu setzen oder eigene Initiativen zu bilden.

Wo sind sie zu finden? In Deutschland tauchte der Begriff rund um die Proteste gegen das Bahnhofsprojekt „Stuttgart21“ auf, wurde sogar Wort des Jahres 2010. Aber auch in Österreich gibt es sie – und sie sind aktiv. „Presse“-Kolumnistin Anneliese Rohrer hat zuletzt einen Wutbürger-Stammtisch gegründet. Der nächste findet am 12.September um 17Uhr im Café Landtmann statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2011)

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