Sophienalpe: Bergnot auf Wienerisch

Sophienalpe Bergnot Wienerisch
Sophienalpe Bergnot Wienerisch(c) Zötl
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In Bergnot brachten sich zwei Frauen auf der Sophienalpe in Wien und verständigten per Handy den Notruf. Und bescherten dem ganze 477 Meter hohen Hügel eine weitere kuriose Geschichte.

Es war nur ein kleiner Ausflug. Aber der sorgte für einige Aufregung. Und für große Heiterkeit – vor allem außerhalb von Wien. Zwei junge Frauen (22 und 27 Jahre alt) verirrten sich am vergangenen Montag bei einer Wanderung auf der Sophienalpe in Wien Penzing und gerieten in Bergnot. Ein Novum in der Historie der Almwiese und wohl auch in der von Wien. In ihrer Panik verständigten sie per Handy den Notruf. Nach einer dreistündigen Suchaktion der Wiener Polizei auf dem gerade mal 477Meter hohen Hügel fand man die Frauen wohlauf, aber unterkühlt auf einem Forstweg. Sie wurden von der Dunkelheit überrascht und fanden nicht mehr zum Ausgangspunkt ihres Ausflugs zurück. Was Kenner der Alm überrascht, finden sich dort doch vorwiegend lang gezogene flache Wiesen mit ein paar Hecken hier und ein paar Bäumen dort. „Die Dunkelheit muss die beiden buchstäblich kalt erwischt haben”, schmunzelt Nicole Allmayer, Juniorchefin des Restaurants „Sophienalpe“. „Anders kann ich mir nicht erklären, wie sich die beiden auf diesem Hügel verlaufen konnten.” Als sie aus den Medien von der Bergnot gehört habe, sei sie zunächst geschockt gewesen. „Mein erster Gedanke war, hoffentlich ist ihnen nichts Schlimmes passiert.“ Aber als sich dann herausstellte, dass sie mit dem Schrecken davongekommen sind, habe sie sich über diesen skurrilen Polizeieinsatz nur noch amüsiert. „So etwas hatten wir hier wirklich noch nie.”

Den Namen bekam die Alm übrigens von Erzherzogin Sophie, der Mutter Kaiser Franz Josephs, für die die „Sophienalpe“ seinerzeit als ländlicher Sommersitz gebaut wurde. Nach einem Großbrand wurde sie 1912 wieder aufgebaut. Sie bildet nun das Herz einer Gegend, die seit jeher ein beliebtes Ausflugsziel der Wiener ist, etwa für Tourengeher wie Anna und Christoph aus Floridsdorf, die schon seit Jahren an den Wochenenden Erholung auf der Sophienalpe suchen. Auch ihnen ist das Schicksal der zwei Frauen nicht entgangen. „Eine Karriere als Bergführerinnen können die beiden nach diesem Ereignis wohl vergessen“, scherzt Anna. „Und falls sie irgendwann mal den K2 besteigen wollten, sollten sie auch diesen Traum begraben“, fügt ihr Freund Christoph augenzwinkernd hinzu.

„Diese Bergnot erinnert mich an einen Vorfall im letzten Frühjahr”, erzählt Friedrich Koppel. Er ist Leiter des Forstreviers Weidlingbach, dem östlichsten Revier des Forstbetriebs Wienerwald, und kennt die Gegend wie seine Westentasche. „Drei junge tschechische Frauen kamen während einer Wanderung auf dem Kasgraben Nahe der Sophienalpe auf die wahnsinnige Idee, Unmengen an Wein aus dem Tetrapack zu trinken.” Sie hätten sich derart betrunken, dass sie sich verirrten und ziellos auf der Alm umherirrten. „In ihrem Rausch pflückten sie sogar Pilze und wollten sie essen”, beschreibt Koppel kopfschüttelnd die Situation. „Als ob sie in ihrem Zustand giftige Pilze von ungiftigen unterscheiden könnten.” Zusammen mit einem Kollegen habe er die Frauen aufspüren und „den Hügel hinaufzerren“ können.


Ignoranz und Leichtsinn.
In Wien kämen die Leute ständig auf dumme Ideen. „Wien ist wirklich anders, die meisten betrachten die Natur als unerschöpfliche Sportstätte und nehmen keine Rücksicht auf Vorschriften. Machen uns das Leben mit illegalen Grillfeuern und Sperrmüllablagerungen schwer”, hadert Koppel mit der Ignoranz der Wiener und wird nachdenklich, als er an die Geschichte eines Selbstmörders denken muss. „Da gab es diesen Mann, der vor drei Jahren seinen Wagen auf einem Parkplatz beim Adalbert-Stifter-Denkmal bei der Sophienalpe abstellte und nicht mehr auftauchte.” Er sei als vermisst gemeldet worden, konnte aber nicht gefunden werden. „Erst ein Jahr später ist ein Wanderer im Wald zufällig über seine Leiche gestolpert – mit der rostigen Schusswaffe neben ihm.”

Im Übrigen nicht die erste Waffe, die auf der Sophienalpe für Unheil gesorgt hat. Koppel: „Wussten Sie, warum die Artilleriestraße auf dem Hügel Hameau so heißt? Als den Streitkräften im Sommer 1918 klar wurde, dass der Erste Weltkrieg nicht zu gewinnen ist, bereiteten sie die Verteidigung von Wien vor und schlugen genau dort für die Kanonenstellungen riesige Schneisen in den Wald.“ Aus der ersten Schneise sei später die Straße entstanden.

Während es damals schließlich doch nicht zu Kampfhandlungen kam, waren diese Straßen und Hügel 27 Jahre später, im April 1945, sehr wohl Schauplatz blutiger Stellungskämpfe. Wien war in weitem Bogen von der Roten Armee umschlossen. Hunderte Angehörige der deutschen Wehrmacht, vor allem Wiener, setzten sich von ihren Einheiten ab, wurden von der Bevölkerung versteckt. Nur auf der Sophienalpe gab es noch heftigen Widerstand gegen die sowjetischen Truppen. Hier kämpften Hitler-Jungen im Alter von 14 bis 17 Jahren mit Flakgeschützen, Panzerfäusten und Maschinengewehren noch mehrere Tage lang. Nur wenigen gelang schließlich die Flucht.

„Hat sich also einiges abgespielt, hier in dieser Gegend“, meint Koppel. Vielleicht könnten sich die verirrten Frauen ja damit trösten, an einem geschichtsträchtigen Ort in Not geraten zu sein. Zumindest aber sollten sie sich darüber freuen, bei Dunkelheit und Kälte nicht auch noch Bekanntschaft mit Wildschweinen gemacht zu haben. Auf der Sophienalpe sei es nämlich gar nicht unwahrscheinlich, dass einem diese Tiere – manchmal sogar in größeren Rotten – über den Weg laufen.

Obwohl in Wien bisher kein Fall eines Wildschwein-Angriffes auf Menschen bekannt sei. Aber das galt bis vor wenigen Tagen auch für in Bergnot geratene Wanderer in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2011)

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