Missbrauch: Stadtrat schaltet sich ein

Missbrauch Stadtrat schaltet sich
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Wiens Jugendstadtrat Christian Oxonitsch will die Vorwürfe ehemaliger Bewohnerinnen des Heims am Wilhelminenberg prüfen - unabhängig von der Arbeit der Historikerkommission.

Wien. Serienvergewaltigungen durch mehrere Männer, bei denen auch Geld geflossen sein könnte: Schwere Vorwürfe haben am Wochenende zwei ehemalige Zöglinge des 1977 geschlossenen Kinderheims im Wiener Schloss Wilhelminenberg erhoben. So schwere Vorwürfe, dass die Stadt Wien nun plant, den Berichten selbst nachzugehen – obwohl sie die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und Gewalt in städtischen Kinderheimen eigentlich im Sinne der Unabhängigkeit an die Opferschutzorganisation Weißer Ring sowie an eine Historikerkommission ausgelagert hat.

„Wir werden uns das ehemalige Heim am Wilhelminenberg und den speziellen Fall ganz genau anschauen“, hieß es dazu am Sonntag im Büro des Wiener Jugendstadtrats Christian Oxonitsch (SPÖ). Wie, das werde gerade geplant, jedenfalls aber „außerhalb der Aufarbeitung durch die Historikerkommission“, die im Herbst 2010 eben für die Aufarbeitung eingerichtet wurde. Auch die Staatsanwaltschaft sei mit den beiden Fällen befasst. „In diesem Ausmaß“, so Oxonitsch-Sprecherin Edith Rudy, habe man von Missbrauch noch nicht gehört.

Die beiden mutmaßlichen Opfer – Schwestern, die heute 47 bzw. 49Jahre alt sind – hatten in einem Interview mit dem „Kurier“ von Vergewaltigungen durch mehrere Männer berichtet. Sie seien vor gut 40Jahren im Alter von sechs bzw. acht Jahren in das Heim gekommen. Vergewaltigungen habe es „manchmal täglich“ gegeben; an den Übergriffen sollen sich mehrfach auch Erzieher beteiligt haben.

Die beiden Frauen vermuten, dass im Zusammenhang mit den Vergewaltigungen auch Geld an die Erzieher geflossen sein könnte. „Im Nachhinein kommt es mir so vor, dass jemand für uns bezahlt wurde. Weil sie uns immer zurechtgemacht haben“, wird eine der Frauen zitiert. Für Unruhe sorgt im Büro des Stadtrats auch die Tatsache, dass die Frauen von „verschwundenen“ Kindern berichten. Auch wenn es dafür plausible Erklärungen geben könne.

Udo Jesionek, Präsident des Weißen Rings, kann im Gespräch mit der „Presse“ indes nicht bestätigen, dass die Vorwürfe „in dieser Form“ auch der Organisation geschildert worden seien. Sehr wohl hätten die Frauen auch dem Weißen Ring „entsetzliche Dinge“ berichtet, weshalb auch 35.000Euro an Entschädigung ausgezahlt worden seien – obwohl die Obergrenze, angelehnt an die Entschädigungen der Klasnic-Kommission der katholischen Kirche – eigentlich bei 25.000 Euro liegt. Dabei, betont Jesionek, „ist es natürlich nie möglich, das Erlittene durch Geld wieder gut zu machen.“

Bisher 343 Betroffene

Bis dato haben sich beim Weißen Ring, der die Hilfeleistungen für Opfer aus Wiener Kinderheimen koordiniert, 343 Betroffene gemeldet. 231 Fälle wurden bereits im zuständigen Gremium behandelt, 173 Menschen wurden seit Februar finanzielle Leistungen zugesprochen, 148 bekommen Therapien. 47 weitere Fälle stehen für die nächste Sitzung am 19.Oktober auf der Tagesordnung. 35 Prozent der Opfer sind heute zwischen 40 und 50 Jahre alt, jene Fälle stammen also aus den 1960er- und 1970er-Jahren. 33Prozent der Opfer sind zwischen 50 und 60, zwölf Prozent jünger als 40.

Und: Am häufigsten betroffen ist nicht das einstige Heim Wilhelminenberg, sondern (mit 35 Meldungen) jenes auf der Hohen Warte, gefolgt von Eggenburg (31 Fälle), Hütteldorf (29), Wilhelminenberg (26) sowie Biedermannsdorf und dem Julius-Tandler-Heim mit je 22 Betroffenen. Wobei sich viele erst in jüngster Zeit mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit wagten.

Die Meldefrist, die Ende Juni hätte enden sollen, wurde bis 31. Oktober verlängert, das Budget für Entschädigungen von zwei Millionen Euro auf 5,8 Millionen Euro erhöht. „Damit müsste es sich ausgehen“, sagt Jesionek. „Wenn nicht noch mehr kommt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2011)

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