Alte Handwerkskunst in der City

Im Interieurgeschäft Tessuti in der Wiener Innenstadt wird feine Textilmaßarbeit angeboten –nach den Wünschen des Kunden, der die Entstehung hautnah miterleben kann.

Die 100 Jahre alte Dürkopp-92-1-Nähmaschine rattert vor sich hin. Das Geräusch erfüllt den gesamten Raum des Interieurladens Tessuti. Unterbrochen wird das gleichmäßige Maschinengeklapper nur von den kleinen Pausen, die Frau Sykora zur Kontrolle ihrer Handarbeit nutzt. Ein kritischer Blick auf die Ajour-Stickerei im Bettbezug und sie tritt wieder ins Pedal der hölzernen Maschine.

Das ist ihr „Baby“, umschreibt Elena Futter, die Besitzerin des Traditionsbetriebs in der Wiener Innenstadt, liebevoll das wertvolle Gerät ihrer Mitarbeiterin. Dank der alten Dürkopp-Nähmaschine entsteht das spezielle Stickmuster innerhalb weniger Sekunden. „Mit der Hand dauert so ein Kunstwerk schon seine Zeit, braucht viel Muße und Fingerfertigkeit. Aber auch die Arbeit mit der Maschine verlangt Können und Geschicklichkeit.“ Sie führt es mit der Hand vor: Drei bis vier Stofffäden werden mit einer feinen Nadel zusammengefasst und anschließend mit einem Faden zusammengezogen. In den Zwischenräumen entstehen Durchbrüche. Fertig ist das typische Ajour-Muster.

„Eine uralte Handwerkskunst, die nahezu in Vergessenheit geraten ist. Mit unserer Arbeit wollen wir diese Tradition wiederbeleben und mit neuem, zeitgeistigem Design hochhalten“, sagt Elena Futter.


Tee trinken mit der Kundschaft. Das Tessuti ist ein besonderes Interieurgeschäft. Hier praktiziert man Entschleunigung der besonderen Art. Bereits beim Betreten fühlt man sich in die Vergangenheit eines Handwerksladens der späten 1920er-Jahre zurückversetzt. Vorn das Verkaufslokal, hinten die Werkstätte, in der stets zwei Frauen an den Maschinen sitzen oder am Schnittplatz stehen. Es wird getratscht, gelacht, mit der Laufkundschaft über die Arbeit geplaudert oder Tee getrunken. Die Stoffreste auf dem Boden gehören ebenso zum Ambiente wie die bunten Stoffbahnen, die alten Nähmaschinen und die schwere Holzwerkbank, die mit Textilien, Stoffmustern und Bestellformularen belegt ist. Die Arbeit wird nicht im Hinterzimmer vollbracht, sondern offen gezeigt. Die Kunden sollen die Chance haben, die Entstehung ihrer Produkte mitzuerleben. „Wir haben nichts zu verstecken“, sagt Futter. „Im Gegenteil, wir wollen die Menschen wieder mehr für die Fertigkeiten des Nähens und Stickens begeistern, ihnen die Sinnlichkeit von Stoffen näherbringen.“

Die gebürtige Italienerin hat sich mit dem kleinen Laden einen großen Traum erfüllt. „Ich liebe Stoffe“, sagt sie und fährt sanft über einen weißen Leinenstoff, in Meterware aufgerollt. Seit sie als junges Mädchen mit ihrer Mutter in einem kleinen italienischen Dorf erstmals Bekanntschaft mit dem Zauber von hoch qualitativen Textilien gemacht hat, ließ sie die Leidenschaft nicht mehr los. „Angefangen habe ich mit kleinen Handarbeiten für einen Basar“, erzählt Futter. Vor zehn Jahren entstand schließlich Tessuti – anfangs auf der Tuchlauben, seit zwei Jahren an der Adresse Stoß im Himmel.

Heute bietet Elena Futter ein reiches Sortiment an Produkten an: von Bettzeug und Handtüchern über Tischdecken und Servietten bis zu Polsterbezügen und Vorhängen. Handgefertigt, darauf legt die Italienerin größten Wert – vom Zuschnitt bis zum fein säuberlich geschnürten Paket für den Kunden, das mit seinem feinen Papier und der gekonnten Schnürung selbst wie ein Kunstwerk anmutet.

Spezialmaße, Sonderanfertigungen, ausgefallene Kundenanliegen erfüllt die Minimannschaft um Futter gern. Das Motto des Kleinbetriebs lautet: Keine Massenanfertigung, sondern die Erfüllung persönlicher Kundenwünsche. Und: Individualität und eigene Kreationen sind nicht nur möglich, sondern erwünscht. „Immer wieder kommen Kunden, die sich ein ganz bestimmtes Stoffmuster oder eine spezielle Stickerei vorstellen. Diese Ideen haben sie auf einem Blatt Papier aufgezeichnet oder kreieren sie gemeinsam mit uns“, sagt Futter. „Manchmal wissen die Leute zuerst gar nicht genau, was sie wollen. Aber unser Laden inspiriert sie. Es berührt mich, wenn Menschen das Interesse an dieser Handarbeit wiederentdecken und von unseren Werken beflügelt werden.“


Design aus Venedig. Dann gleitet ihre Hand langsam über eine Bahn feinster Baumwolle, die ein farbkräftiges Muster ziert. Die beiden Schneiderinnen Marianne und Katarina schneiden davon gerade je ein Stück Stoff für einen Polster zurecht – eine Sondermaßanfertigung mit spezieller Naht und exakt vermessener Bordüre. „Der Wunsch einer Kundin, die den Stoffstreifen in der Breite auf die Inneneinrichtung abstimmen möchte“, fügt die Schneidermeisterin hinzu. UndFutter ergänzt: „Das Design stammt von der Künstlerin Stella Chiara Cattana aus Venedig, von der wir unsere exklusiven Stoffmuster beziehen.“ Die hochwertigen Leinen- und Baumwollstoffe kommen aus Italien und England, Knöpfe und Zwirn aus Österreich – handgefertigt.

Frau Sykora schüttelt den Bettbezug, um ihn von Stofffusseln zu befreien, und lächelt zufrieden. Das Ajour-Muster ist sauber und akkurat. Ihr Baby, die Dürkopp-Maschine, hat ganze Arbeit geleistet.

Italienerin in Wien

Lebenslauf: Die Italienerin Elena Futter hat schon als Kind Bekanntschaft mit dem Zauber von hoch qualitativen Textilien gemacht. Vor zehn Jahren eröffnete sie in der Wiener Innenstadt daskleine Interieurgeschäft Tessuti. In dem Laden wird individuelle Stoffware in Maßarbeit angefertigt – unter anderem mit einer 100 Jahre alten Nähmaschine. Die Muster auf den Stoffen werden durch eine spezielle Webart erzeugt. Die Kunden können beim Fertigungsprozess zusehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2011)

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