Nationalbibliothek: Die Herrin über 8,5 Millionen Bücher

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), Johanna Rachinger, will im nächsten Jahr auch sonntags offen haben, einen neuen Lesesaal eröffnen und an einem Literaturmuseum arbeiten.

Wien. Johanna Rachinger ist das, was man eine umtriebige Frau nennt. Seit zehn Jahren ist sie als Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) Herrin über 8,5 Millionen Bücher. Und in diesen zehn Jahren hat sich einiges zwischen Helden- und Josefsplatz getan: von groß angelegten Digitalisierungsprojekten über die Renovierung aller 15 Lesesäle inklusive einer neuen Kommunikationslounge bis zu Ausstellungen – insgesamt 75 – und zahlreichen Forschungsprojekten.

Im Vorjahr wurde Rachinger von der „Presse“ zur Österreicherin des Jahres (Kulturmanagement) gewählt. Die Oberösterreicherin hat auch in den nächsten fünf Jahren – bis 2016 wurde ihre Amtszeit verlängert – einiges vor. Im Mai 2012 soll ein neuer Forschungslesesaal eröffnet werden. Zeitgleich werden auch die Öffnungszeiten auf Sonntag ausgeweitet. Und im Herbst 2014 will Rachinger im Hofkammerarchiv in der Johannesgasse ein Literaturmuseum eröffnen. „Die Presse“ bat Rachinger um die für sie wichtigsten zehn Stationen ihrer Amtszeit.

Ein Punkt, der ihr besonders am Herzen liegt und der eigentlich wenig mit dem typischen Bibliotheksalltag zu tun hat, ist die Restitution. „Das war mir bei meinem Antritt ein besonderes Anliegen. Das lag wie ein brauner Schatten über dem Haus“, sagt Rachinger. Eine externe Historikerin hat eine Liste von 50.000 Objekten erstellt, die nicht rechtmäßig im Besitz der ÖNB waren. Der Großteil wurde bereits zurückgegeben. Rachinger sieht darin eine „moralische Verpflichtung meiner Generation“.

Da die ÖNB-Chefin ihr Haus vor allem als Service- und Dienstleistungsstelle versteht, sind ihr die Revitalisierung des Palais Mollard in der Herrengasse, die Renovierung von Bildarchiv und Grafiksammlung sowie die großen Lesesäle am Heldenplatz ein besonderes Anliegen. Letztere nennt sie das Herzstück des Hauses, das täglich von rund 1000 Lesern frequentiert wird. „Da durchzugehen macht mich einfach froh. Zwei Drittel unserer Besucher sind ja Studenten. Wenn ich dort die Zukunft des Landes sehe, wird mir nicht bange.“

Als Serviceeinrichtung versteht sie auch die Digitalisierung und Langzeitarchivierung der Inhalte. Das Projekt mit Google – bei dem alle nicht urheberrechtlich geschützten Werke aus dem 16. bis 19. Jahrhundert digitalisiert werden – ist dabei nur ein Teil, wenn auch wohl jener, der am meisten Aufmerksamkeit erregt hat. Seit zwei Jahren werden etwa alle österreichischen Webseiten archiviert. Das Bildarchiv Austria umfasst 150.000 digitalisierte Fotografien und 180.000 historische Porträts. 2012 sollen 100.000 digitalisierte Plakate dazukommen. Der virtuelle Zeitungslesesaal Anno hat mit täglich 1400Nutzern mittlerweile mehr Besucher als die Lesesäle. Bei dem Projekt, das gemeinsam mit Google in einer Public Private Partnership realisiert wurde, wurden bis jetzt rund 50.000 Werke digitalisiert. Bis 2016/2017 sollen es insgesamt 600.000 Werke sein. „Trotzdem ist das nur ein kleiner Prozentsatz. Vor dem Google-Projekt haben wir nicht ganz ein Prozent unserer Bestände digitalisiert. Nach Abschluss des Projekts sind es mehr als 14Prozent.“ Bei einer Gesamtmenge von 8,5 Millionen Büchern kommt da einiges zusammen.

Auch die Kataloge blieben von der Digitalisierung nicht verschont. Sie sind seit 2004 über eine Online-Datenbank zugänglich, die im kommenden Jahr mit einer neuen Suchmaschine durchforstet werden kann.

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der Digitalisierung hat das Haus nicht mit sinkenden Besucherzahlen zu kämpfen. Im Gegenteil. Durch publikumswirksame Ausstellungen konnten die Besucherzahlen in den letzten zehn Jahren verdoppelt werden.

Besonders stolz ist Rachinger auch auf die Forschungen im Haus. 23 EU-finanzierte Projekte und 28 über Drittmittel finanzierte Projekte haben Geld in die Haushaltskasse gespült, das auch für andere Projekte gebraucht werden kann.

Etwa für den neuen Forschungslesesaal, der im Mai 2012 eröffnen soll. 65 Plätze stehen hier ausschließlich jenen Menschen zur Verfügung, die nachweislich an wissenschaftlichen Projekten arbeiten, also etwa Doktoranden.

Geld wird man auch für das geplante Literaturmuseum brauchen. Im Herbst 2014 will Rachinger im ehemaligen Hofkammerarchiv in der Johannesgasse ein Museum eröffnen, in dem die Vor- und Nachlässe heimischer Autoren – von Peter Handke über Ernst Jandl bis zu Margit Schreiner – zu sehen sein werden. Rachinger kann sich dort auch Kooperationen mit Schulklassen vorstellen.

Auch wenn die ÖNB-Chefin zufrieden auf ihre persönlichen Top Ten blickt. Ein Projekt liegt ihr länger im Magen. Ein neuer Tiefenspeicher für den wachsenden Bestand muss dringend her. Rachinger will ihn am Heldenplatz verwirklichen. Einerseits weil ihr die direkte Verbindung zu den Lesesälen wichtig ist, andererseits weil das der Platz ist, an dem „einer gestanden ist, der Bücher verbrennen ließ“. 60 Millionen Euro würde ein Tiefenspeicher auf vier Etagen kosten, mit dem man die nächsten 70 Jahre auskommen will. In zwei bis drei Jahren wird der bestehende Speicher voll sein. Auf Geld aus öffentlicher Hand hofft Rachinger nicht. Sie arbeitet derzeit an einem weiteren Public-Private-Partnership-Projekt.

10 Jahre Generaldirektion der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) feiert Johanna Rachinger heuer. Ihre Amtszeit wurde bis 2016 verlängert. Ab Mai 2012 will Rachinger die ÖNB auch am Sonntag von 9 bis 21 Uhr öffnen und einen neuen Forschungslesesaal betreiben. 2014 soll im ehemaligen Hofkammerarchiv in der Johannesgasse ein Literaturmuseum eröffnen. Weiters soll die Digitalisierung ausgebaut werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2011)

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