Zwischen PC und Ofen: Wiens Maronibraterin 2.0

Zwischen Ofen Wiens Maronibraterin
Zwischen Ofen Wiens Maronibraterin(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sybille Geiszler ist eine der erfolgreichen Unternehmerinnen im Wiener Maronigeschäft, das zunehmend weiblich wird. Vier Stände betreibt sie im ersten Bezirk und jeweils einen in der Landstraße und auf dem Naschmarkt.

Der „Marroni-Mann“ sorgt für zweierlei Verwirrung. Zum einen verbirgt sich hinter dem Mann eine Frau: Sybille Geiszler, 40-jährige Inhaberin des Wiener Maroni-Unternehmens. Mann war bloß der Familienname ihrer Mutter, von der sie vor 15 Jahren den Marroni-Mann übernommen hat.

Und zum anderen verwirrt die Schreibweise der südländischen Früchte. Marroni ist italienisch, die deutsche Schreibweise Maroni bezeichnet im Italienischen die Hoden.

Und mit denen hat Sybille Geiszler beruflich nichts am Hut. Sechs Maronistände betreibt die Unternehmerin in Wien. Vier Stände davon im ersten Bezirk und jeweils einen in der Landstraße und auf dem Naschmarkt. Am Maroniofen steht sie selbst aber nur mehr aushilfsweise, zehn Angestellte kümmern sich um das Tagesgeschäft. „Wir Maronibrater sind ganz normale Kleinunternehmer“, sagt sie, und zerstreut damit romantische Vorstellungen vom Maronibrater, der in der Nacht noch selbst seine Ware schneidet.

„Computer, Steuerberater und Bankverbindung“ sind für die Unternehmerin genauso selbstverständlich wie entsprechendes Marketing. So ist sie immer auf der Suche nach Werbeträgern für ihre Maronitüten.

Die besten Standorte. 190 Maronistände hat das Wiener Marktamt heuer bewilligt. Elf weitere Maronihütten stehen zusätzlich auf Privatgründen, wie zum Beispiel dem Schloss Schönbrunn. „Besonders die von Fußgängern gut frequentierten Straßen Wiens sind für die Maronibrater interessant“, sagt Alexander Hengel von der MA59 (Marktamt). Die meisten Maronistände gibt es daher auch im dritten und im siebten Bezirk, wo sich auf den Einkaufsstraßen Landstraße und Mariahilfer Straße ein Maronistand an den nächsten reiht. Zehn Hütten sind es in der Mariahilfer Straße, drei davon betreibt Martina Koch, die – ähnlich wie Geiszler – Chefin von acht Maroniständen ist und das Geschäft von ihren Eltern übernommen hat. „Die guten Standorte sind unbefristet vergeben“, erzählt Geiszler über die Vergabepraxis. Ihren Maronistand Am Graben betrieb schon ihre Mutter, vor 30 Jahren. „Es war die Geburtsstätte unseres Maronigeschäfts“, erzählt die geschäftstüchtige Unternehmerin.

Wer neu in das Geschäft mit den Maroni einsteigt, erhält meist nur eine befristete Bewilligung für ein Jahr. Davor prüfen die Polizei, die Magistratsabteilungen für Verkehrsorganisation (MA 46) und für Architektur und Stadtgestaltung (MA 19) den gewünschten Standort. Entscheidend ist dabei nicht etwa die Anzahl von Maroniständen in der Umgebung, sondern allein die Fußgänger- und Verkehrssicherheit. Fällt der Lokalaugenschein durch die Behörden positiv aus, dann erhält der Maronibrater eine „Gebrauchserlaubnis für einen transportablen Maroniverkaufsstand“, an dem er neben Maroni auch noch gebratene Kartoffeln verkaufen darf. Ihre Ware beziehen die meisten Wiener Maronibrater über den Großgrünmarkt. Dort können sie zwischen Maroni und Edelkastanien wählen. Der Unterschied liegt in der Konsistenz: Maroni sind speckig, Edelkastanien mehliger.

Die in Wien erhältlichen Früchte kommen überwiegend aus der Türkei und Italien. Sybille Geiszler reist selbst jedes Jahr nach Italien und „wählt die besten Lieferanten und die beste Sorte aus“. Dort gelten Maroni eigentlich als Arme-Leute-Essen. Bis die Maroni aber schließlich im Tütchen in Wien landen, durchlaufen sie aufwendige Konservierungsverfahren und gehen laut Geiszler „17-mal durch menschliche Hände“. Ein Kilogramm Maroni kostet im Einkauf daher auch zwischen drei und sechs Euro, je nach Größe und Qualität. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Tomaten gibt es um durchschnittlich einen Euro. Laut Wirtschaftskammer Wien werden während einer Saison insgesamt rund eine Million Kilogramm Maroni an den Wiener Maroniöfen gebraten und verkauft.

Am besten laufen die Maronigeschäfte von Mitte November bis Ende Dezember, sagt Geiszler. Die Maronisaison startet in Wien am 1. Oktober und endet pünktlich am 30. April. Während dieser sieben Monate dürfen die Brater ihre Ware jeden Tag – auch sonntags – von 9 bis 22 Uhr anbieten. Neben der Qualität der Maroni ist auch das Wetter entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. „Optimal wären zehn Grad, Sonne und Silvester. Regen ist ganz schlecht“, meint Geiszler zur idealen Verkaufssituation.

Harter Job. Da aber auch Temperaturen unter null keine Seltenheit sind, stellt Sibylle Geiszler nur Männer als Maronibrater an, „sie halten die Temperaturen einfach verlässlicher aus“. Laut Akan Keskin, Obmann der Sektion Markt- und Wanderhandel der Wirtschaftskammer Wien, sind 70 Prozent der Brater männlich. Die Frauen sind aber vielfach im Hintergrund tätig. Und dort in leitender Funktion – so wie Sibylle Geiszler und Martina Koch.

Auch in Graz beherrscht eine Frau das Maronigeschäft, zumindest in den Medien. Cvetka Stockinger betreibt schon in zweiter Generation den wahrscheinlich berühmtesten Maronistand in Graz in der Herrengasse, Ecke Hans-Sachs-Gasse. Wie Geiszler besitzt sie nebenbei ein Catering-Unternehmen, mit dem sie ganzjährig ihre Kastanien und Maroni abseits vom klassischen Maroniwintergeschäft anbieten kann. Geiszler kann vom Maronigeschäft nach eigenen Angaben „ganz gut leben“.

Ihre angestellten Maronibrater müssen nach der Maronisaison Ende April auf andere Erwerbsquellen zurückgreifen. So sind Geiszlers Maronibrater im Sommer auf dem Bau, als Bademeister oder auch als Fiakerfahrer tätig. Andere Maroniunternehmer wandeln ihre Maronihütten im Sommer in Marktstände um. Dort gibt es dann statt Maroni alkoholfreie Getränke, Schokolade und Blumen. Jede Jahreszeit hat eben ihre ganz spezielle Marktnische.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2011)

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