Swing: Das Comeback der Federboa

Swing Comeback Federboa
Swing Comeback Federboa(c) AP (William Fernando Martinez)
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Der Geist der 1920er- und 1930er-Jahre weht durch die Clubs: Der Swing ist zurück in Wien. Dabei wird die Musik bisweilen elektronisch aufgefrischt.

Step, Step, Triple-Step. Er federt rhythmisch, tief in den Knien, den Oberkörper weit vorgebeugt. Sie wirft ihre Beine zur Seite, dreht sich, der weite Rock schwingt. Ganz gelingt die Figur nicht, sein Ellenbogen trifft ihre Stirn. Egal, sie lachen. „Es macht einfach happy“, erklärt Juliane, eine der „Hep Cats“ die Dienstagnacht im Wiener Wirr den Lindy Hop tanzen, ihre Begeisterung. „Es schwingt, es reißt mit“, sagt sie und hört auch an der Bar nicht auf zu wippen.

Der Swing ist zurück. Und mit ihm der Lindy Hop. Ein Paartanz, aber weit weniger steif als Tango oder Walzer, lose, mit wechselnden Partnern, aber doch zu zweit statt einsamen Disco-Gehopses. Mehrmals pro Woche tanzt die Großstadtjugend zwischen 20 und 35 zu Musik, die gut 80 Jahre zählt. Mal elektronisch aufgefrischt, mal rau und verrucht, als klinge sie direkt aus einem Ballroom des New Yorks der späten 1920er, frühen 1930er. Aber es sind nicht schwarze Kids aus Harlem, die in Kellerlokalen tanzen, es sind Männer mit großen Brillen und Ringel-T-Shirts und Frauen, die zu ihren Abendkleidern alte Turnschuhe tragen, die heute zum Swing tanzen. „Der Lindy Hop ist in ganz Europa gerade eine ziemlich große Bewegung“, sagt Milo Tesselaar, einer der Veranstalter des „Tuesday Hop“.


„Offen, improvisierbar, humorvoll.“ „Die Leute wollen miteinander tanzen, aber trotzdem frei sein, der Lindy ist offen, improvisierbar, humorvoll“, beschreibt er den Tanz, der in jener Zeit entstanden ist, in der Charles Lindberg erstmals von New York nach Paris geflogen ist. Damals, so sagt es die Legende, soll im Ballroom des New Yorker Hotels Savoy jemand den berühmten Tänzer George Snowden gefragt haben, was er da eigentlich tanze. Da sei Snowdens Blick auf eine Zeitung mit der Schlagzeile „Lucky Lindy hops the Atlantic“ gefallen: Der Name war gefunden.

Gut 80 Jahre später leben Lindy Hop, Balboa oder Jitterbug, die Tänze der Ära, wieder auf. Ein-, zweimal pro Woche tanzt man an einigen der Topadressen des Wiener Nachtlebens, im Club Ost, im Aera, im Volksgarten, im Café Leopold, dem WUK, der Roten Bar im Volkstheater oder im Tanzcafé Jenseits zur Musik von Benny Goodman, Glen Miller oder Duke Ellington. Mal originalgetreu, mal elektronisch untermalt und neu gemischt. Als er im Herbst 2009 begann, den Lindy Hop zu tanzen, erzählt Milo Tesselaar, hatte man in Wien bloß drei-, vielleicht viermal im Jahr die Möglichkeit, auch jenseits der Tanzkurse Lindy zu tanzen. Heute gibt es mehrere Veranstaltungen pro Woche. In jenen Städten, die Wien stets eine Länge voraus sind, London oder Berlin, vergeht keine Nacht ohne einiger Partys im Stil der Swing-Ära.

Der Andrang ist auch in Wien groß. Der Verein „Some Like It Hot“, Sammelpunkt der Szene, unterrichtet seit 2000 Lindy, Balboa, Shag oder Charleston. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben 300 Wiener dort die Tänze gelernt. Auch an gewöhnlichen Tanzschulen lehrt man mittlerweile den Lindy Hop. Kommende Woche startet die „IG Hop“, ein Verein, der sich jüngst aus dem Umfeld des „Tuesday Hop“ formiert hat, den ersten eigenen Kurs. Er ist längst ausgebucht.


Man trägt wieder Hosenträger.
Der Herr trägt zur Swing-Party heute Schiebermütze, Fischgrathosen, Hemd und Hosenträger. Die Dame schmale Kleider oder schwingende Röcke, üppiges Make-up, Charleston-Stirnband oder Federboa. An der Verkleidung spaltet sich die Szene, auch an der Musik. Die Schnittmenge, so Tesselaar, der Lindy-Tänzer und jener, die sich verkleiden, sei nicht allzu groß. Während die gelernten Tänzer der alten Schule zum Swing in Alltagskleidern tanzen, werfen sich die Anhänger des Elektro-Swing aufwendig in Schale, bewegen sich aber mitunter unbeholfen zur Musik.

Die Partyversion des Swing hat die Clubs erobert und sich mit der Elektrovariante von Renato Carosones Swing-Klassiker „Tu vuò fà l'americano“ selbst an den Spitzen weltweiter Charts eingereiht. Was vor wenigen Jahren in dunklen Clubs begonnen hat – auch in Österreich, schließlich kommen einige der Vorreiter, Parov Stelar, Dunkelbunt oder Waldeck, aus Wien –, ist heute Massenprogramm.

„Mittlerweile kommen auch Leute, die zuvor nur zu Disco-Musik wackeln wollten, zu klassischen Swing-Partys“, erzählt Jürgen Jagfeld. „Es gab lange Durststrecken. Am Anfang haben in Österreich nur alte Leute Swing gehört.“ Am Anfang, das war vor 17 Jahren. Damals begann Jagfeld als Saxofonist der Swing-Combo „5 in Love“, mittlerweile veranstaltet er auch den monatlichen „Klub Shwing“ im Ost Klub. Dort bringt er Lindy-Hop-Tänzer und Elektro-Hep-Cats zusammen.


Swing als Soundtrack zur Krise. Woher kommt der rege Aufwind? Schließlich weht nicht nur an Swing-Abenden der Geist der Ära, jüngst triumphierten beispielsweise bei der Oscar-Verleihung mit „The Artist“ und „Hugo Cabaret“ zwei Filme mit Reverenzen an jene Zeit. Jagfeld spricht von Parallelen der Epochen. Schließlich waren die Jahre Ende der 1920er, Anfang der 1930er wirtschaftlich äußerst labil, unsere Zeit steht dem um wenig nach. „Swing und Krise, Musik und Börsencrash“, so heißt auch eine neue Club-Reihe im Wirr, die Mitte März startet.

„Es ist eine lustige Musik. Man kann Fantasie einbringen, sich herrichten, allein oder zu zweit tanzen, alles ist möglich“, erklärt Jagfeld seine Liebe. „Es ist fröhlich, ausgelassen“, sagt Juliane, die Tänzerin aus dem Wirr. „Ich hatte keine Lust mehr auf Clubs, in denen alle herumstehen, ein bisserl mit dem Kopf nicken und möglichst lässig schauen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)

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