Wien: Spitalsambulanzen als Kostenfalle

(c) Stanislav Jenis
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Die Finanzierung der Spitalsambulanzen ist veraltet, intransparent und nicht wirtschaftlich. Sie zu reformieren, wäre im Interesse aller Beteiligten.

Wien. Wenn in Wien jemand wegen Kopf- oder Bauchschmerzen eine Spitalsambulanz aufsucht, nach einem kurzen Gespräch mit dem Arzt Schmerztabletten verschrieben bekommt und wieder nach Hause geht, bekommt das Spital für diesen Patienten eine bestimmte Summe vom Land. Dieselbe Summe bekommt das Krankenhaus für einen Patienten, der mit Schmerzen in der Brust eingeliefert wird, ein EKG benötigt, eine Blutuntersuchung und einen Ultraschall, bevor man ihn wieder entlässt.

Wie so etwas möglich ist? Ambulanzen erhalten vom Land für jeden Patienten denselben Pauschalbetrag, den das Land über Umwege von den Kassen refundiert bekommt. Ein Relikt aus den 1990er-Jahren, das weder die Inflation angemessen berücksichtigt noch die neuen medizinischen Untersuchungs- und Therapiemöglichkeiten. Was angesichts der Tatsache, dass sich medizinisches Wissen rund alle fünf Jahre verdoppelt, bemerkenswert ist.

Budget bald aufgebraucht

Dieser Betrag pro Patient ist daher so gering, dass de facto sämtliche Spitäler spätestens nach den ersten vier, fünf Monaten des Jahres ihr Budget für ihre Ambulanzen aufgebraucht haben und diese fortan im Prinzip gratis betrieben werden. Die dann anfallenden Verluste versuchen die Krankenhäuser über den stationären Bereich wieder wettzumachen. Was in den seltensten Fällen gelingt. Was aber dennoch der Grund dafür ist, dass viele Leistungen, die eigentlich (kostengünstiger) ambulant erbracht werden könnten, stationär erfolgen, um sie abrechnen zu können. Das heißt, die Patienten werden zumindest für eine Nacht aufgenommen.

Denn sobald sie aufgenommen werden, wird nicht mehr pauschal nach Patient wie in den Ambulanzen, sondern (vernünftigerweise) nach erbrachter Leistung abgerechnet. Ein EKG oder MRT kostet somit mehr als das Abhören eines Patienten mit einem Stethoskop. Zudem gibt es keine Deckelung. Jede Leistung wird bezahlt.

Ein System, das auch längst in den Ambulanzen angewendet werden sollte, um zum einen die erbrachten Leistungen und deren Kosten transparent zu machen, und zum anderen Geld zu sparen, indem beispielsweise Arthroskopien, Endoskopien und bestimmte invasive kardiologische Untersuchungen ambulant durchgeführt werden – wie das in anderen europäischen Ländern, beispielsweise in der Schweiz, gehandhabt wird.
Was sich im Übrigen auch auf die Zahl der Spitalsbetten auswirken könnte. So hat Österreich laut einer OECD-Statistik mit 7,7 Spitalsbetten pro 1000 Einwohner die vierthöchste Dichte. Jene von Wien ist sogar um 0,2 Prozentpunkte höher.

Langfristig Kosten sparen

Zwar würde das Budget des Landes bzw. der Krankenkassen für die Ambulanzen vordergründig sprunghaft ansteigen, wenn sämtliche Leistungen einzeln abgerechnet würden, aber langfristig könnten Kosten eingespart werden, indem beispielsweise Betten reduziert und Leistungen in den Bereich verschoben werden, in dem sie medizinisch und wirtschaftlich am sinnvollsten sind – etwa in den niedergelassenen Bereich, betont auch der Wiener Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres. „Bis heute ist in Wien nicht einmal bekannt, welche Leistungen im ambulanten Bereich wie viel kosten. Zunächst müsste das erfasst werden, um herauszufinden, wo die Patienten mit welchen Beschwerden am besten aufgehoben sind – in einer Ordination, einer Ambulanz oder in einer klinischen Station.“ Aber weder die Länder noch die Kassen wollten auf Einfluss verzichten. Genau daran sei eine gemeinsame, transparente Finanzierung bisher gescheitert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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