Was Großstadtmieter brauchen

Adele (l.) und Clara suchen in Wien eine Wohnung – mit (fast) allen Mitteln
Adele (l.) und Clara suchen in Wien eine Wohnung – mit (fast) allen MittelnDie Presse
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Wien wächst, seine Mieten steigen. Was würde den Markt entspannen? Billigere Preise, Berliner Ideen oder doch eher ein treffsicheres Angebot?

Wohnungsnot macht erfinderisch. Adele Knall spaziert derzeit oft durch Wiener Bezirke, die ihr gefallen, und spricht fremde Menschen an. „Wissen Sie, ob in diesem Haus vielleicht zufällig bald eine Wohnung frei wird?“, fragt die 24-Jährige, wenn jemand aus einem Gebäude kommt, das ihr zusagt. „Kennen Sie im Grätzel jemanden, der seine Wohnung hergibt?“, fragt sie beim Bäcker. Und wenn ihr ein Zinshaus besonders gut gefällt, dann sucht sie sich die Nummer der Hausverwaltung und fragt dort nach. „Ich setze auf Mundpropaganda“, sagt die junge Musikerin.

Clara Gallistl vertraut wiederum auf eiserne Disziplin und Schnelligkeit. Akribisch studiert sie Zeitungsinserate sofort nach Erscheinen. Die 28-Jährige weiß von jeder Immobilienplattform, zu welchem Zeitpunkt neue Angebote online gehen – und sitzt dann natürlich vor dem Computer. „Schnell muss man sein – und konsequent, dann findet man irgendwann das Passende“, ist sich die Germanistin sicher. Clara und Adele sind nur zwei von zigtausenden Menschen, die jedes Jahr in Wien eine Wohnung suchen und große Probleme haben, überhaupt eine – und dann noch eine leistbare – zu finden.

Seit dem Jahrtausendwechsel wächst Wien jährlich um rund 15.000 Menschen – vor allem die letzten zwei Jahre hat die Stadt einen regelrechten Boom erlebt. Mit 1. Jänner 2015 lebten 1.797.337 Menschen in Wien – 30.591 mehr als im vergangenen Jahr an diesem Stichtag. Wien wuchs in den letzten beiden Jahren um mehr als die Größe von St. Pölten – der Immobilienmarkt hechelt hinterher, kann diesem Ansturm nicht gerecht werden. Wenn man von einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von zwei Personen ausgeht, hätten vergangenes Jahr mindestens 15.000 neue Wohnungen fertiggestellt werden müssen.

Da es in der Stadt auch zu Binnenwanderung kommt, Wohnungsbestand durch Abbruch, Leerstand oder längere Renovierungsarbeiten verloren geht und die Erdgeschoßzonen häufig nicht mehr bewohnt werden, müssen auch neue Wohnungen für die schon hier lebende Bevölkerung errichtet werden. Expertenschätzungen zufolge wären vergangenes Jahr demnach rund 18.000 neue Wohnungen pro Jahr nötig gewesen. Fertiggestellt wurden rund 10.000, 7000 davon wurden mit Wohnbaufördermitteln errichtet. Derzeit stehen rund 14.000 Personen auf der Warteliste von Wiener Wohnen, um eine Wohnung der Stadt zu bekommen. Die Wartezeit für eine Gemeindewohnung beträgt durchschnittlich 1,5 Jahre. Da Wien nicht aufhören wird zu wachsen, sondern im Gegenteil schon 2030 die Zweimillionenmarke überschritten haben soll, wird an allen Fronten nach Ideen gesucht, wie einerseits mehr Platz geschaffen werden kann, andererseits Mietpreisanstieg und Immobilienspekulation unterbunden werden können.

Für wen muss gebaut werden?

„Der Wohnbau muss effizienter werden. Man sollte sich am Anfang einmal die Frage stellen: ,Für wen bauen wir eigentlich?‘“, sagt Professor Heinz Fassmann, geschäftsführender Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Beantwortung dieser bisher zu wenig berücksichtigten Frage sei für ihn zentral, wenn es darum geht, wie man mit einer wachsenden Stadt umgeht. Das Bevölkerungswachstum in Wien basiere vor allem auf Zuwanderung – und nicht etwa auf einer hohen Geburtenrate. Diese Migration sei noch nie so vielfältig gewesen: „Es ist anders als bei den großen Gastarbeiterwellen der 1980er- und 1990er-Jahre. Es kommen Studenten, Flüchtlinge, Facharbeiter und auch Hochqualifizierte.“ Alle diese Gruppen hätten ganz unterschiedliche Bedürfnisse, was Wohnungsgröße, -preis und Wohnqualität betreffe.

So brauche ein Student etwa viel weniger Platz als ein Wissenschaftler mit Familie – auch die finanziellen Ressourcen dieser Gruppen würden sich massiv unterscheiden und darum einen differenzierten Immobilienmarkt und ein vielfältiges Angebot erfordern. „Der Wohnbau muss meiner Meinung nach differenzierter werden und noch mehr unterschiedliche Wohnkonzepte anbieten – er kann dadurch noch effizienter werden.“ Vor allem der für ihn eigentlich gut funktionierende öffentliche Wohnbau habe hier noch Potenzial, glaubt Fassmann. „Der private Markt reagiert auf diese Entwicklungen bereits, der gemeinnützige Wohnbau berücksichtigt diese Fragestellungen noch zu wenig.“

Wo kann gebaut werden?

Nach der Frage, für welche Gruppen Wohnungen gebraucht werden, müsse man sich überlegen, wo man diese hinbauen könne. „Es braucht einen Masterplan, mit dem einmal erhoben wird, wo es überhaupt noch Flächen gibt und wem sie gehören“, sagt Professor Fassmann. Diese Flächen gehören seiner Meinung nach ausgewiesen. „Denn Wien hat noch viele Reserven.“ So geben die sogenannten Flächenbezirke – also Bezirke wie Simmering, Favoriten, Floridsdorf oder Donaustadt – noch einiges her. Aber auch innerstädtisch gebe es Potenzial. Als Beispiele nennt er den Nord-, Nordwest-, Süd- und auf längere Sicht auch den Westbahnhof. „Wenn wir alle diese Flächen erfassen, können wir gut damit planen.“ Als positives Beispiel für gelungene Wohnbaupolitik nennt er die Seestadt Aspern, wo die U-Bahn-Infrastruktur geschaffen wurde, noch bevor mit dem Bau begonnen wurde - das macht den doch etwas abgelegenen Stadtteil attraktiv. Ebenso sei es dort gelungen, unterschiedliche Wohnprojekte umzusetzen. „Eine soziale Durchmischung ist wichtig. Das in neuen Stadtteilen zu schaffen ist immer schwierig, weil dort nichts historisch gewachsen ist. Darauf muss man bewusst achten und es etwa durch abwechslungsreiches Bauen forcieren.“ Zu der Frage, wo noch Platz für neuen Wohnraum ist, appelliert Fassmann an eine engere Kooperation zwischen Niederösterreich und Wien: „Wir müssen die Gemeinden aus dem Planungsidyll herausholen und über den Stadtrand hinausdenken.“ Immerhin wachse Wien bald auf zwei Millionen an – wenn man das Wiener Umland mitrechnet, seien es sogar eher drei Millionen und mehr. Man müsse das berücksichtigen, um qualitätsvolles und leistbares Wohnen zu sichern.

Wie viel darf Wohnen kosten?

Die Ansätze, die steigenden Mietpreise in den Griff zu bekommen, sind vielfältig und reichen von einer Leerstandsabgabe über eine Mietobergrenze bis hin zu einer Reform des Mietrechtsgesetzes. Umgesetzt wurde davon bisher wenig. Im Nachbarland Deutschland ist man ebenfalls mit wachsenden Städten und somit steigenden Mietpreisen konfrontiert – was die Reglementierung betrifft, ist man allerdings einen Schritt weiter. Im Frühjahr wurde im Bundestag die sogenannte Mietpreisbremse beschlossen, ein Modell, das seitdem auch immer wieder als Reglementierungsinstrument in Österreich angedacht wird.

Zuerst muss ein Stadtgebiet oder ein Ballungsgebiet von der jeweiligen Landesregierung als „angespannter Wohnungsmarkt“ definiert werden – diese Zuschreibung ist dann für fünf Jahre gültig. Die Mietpreisbremse gilt für Neuvermietungen, die Preise dürfen dann nicht mehr als zehn Prozent über einer „vergleichbaren Wohnung“ liegen. Was eine vergleichbare Wohnung ist, bestimmt der örtliche Mietpreisspiegel, aus dem die Durchschnittsmieten ermittelt werden. Dazu gibt es Ausnahmen: Das sind einerseits Wohnungen, die nach dem 1. Oktober 2014 gebaut wurden. Da Neubauleistung in wachsenden Städten dringend nötig ist, will man Investoren nicht mit gedeckelten Mieten abschrecken. Andererseits betrifft dies Altbauwohnungen, die umfassend saniert wurden und danach neu vermietet werden. Für Mieter, die schon länger in einer Wohnung leben, gibt es eine andere Regelung: Seit dem 1. Mai 2013 können deutsche Bundesländer für Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt festschreiben, dass Mieten in bestehenden Wohnungsverträgen binnen drei Jahren nur noch um maximal 15 Prozent erhöht werden dürfen. In Berlin stiegen die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um 45 Prozent, das Bundesland ist eines der ersten, die das Steigen der Mieten eindämmen wollen – ob die Maßnahme greift, ist aber noch nicht absehbar.

Auch in Österreich gibt es eine Beschränkung der Mieten – zumindest theoretisch. Der gesetzlich festgeschriebene Richtmietzins für Altbauten liegt derzeit bei 5,39 Euro netto pro Quadratmeter. Dazu kommen undurchsichtige Aufschläge, Steuern und Betriebskosten. Wie sich ein Mietzins in Wien zusammensetzt, ist für einen Mieter demnach eigentlich nicht nachvollziehbar.

„Ehrlich egal“

Was Clara und Adele von Mietobergrenzen, Leerstandsabgaben und Mietpreisbremse halten? „Diese Sachen sind so kompliziert, da kennt sich eh keiner mehr aus, und ehrlich gesagt ist mir das auch egal“, sagt Clara. „Ich brauche eine Wohnung – und zwar schnell. Eine zu finden ist nervraubend genug.“ Die Politik brüste sich ständig damit, wie viele billige Wohnungen geschaffen würden, andere schrien hysterisch, wie teuer alles sei. „Im Endeffekt bestimmt nur eine Sache den Mietpreis meiner künftigen Wohnung: ob ich sie mir leisten kann oder nicht. Alles andere hilft mir gerade überhaupt nicht.“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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