„Das ist die Vernichtung des privaten Marktes“

Michael Pisecky, Walter Rosifka
Michael Pisecky, Walter Rosifka(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Universalmiete versus Deregulierung des privaten Wohnungsmarktes: Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte der Arbeiterkammer, diskutiert mit Michael Pisecky, Obmann der Wiener Immobilientreuhänder, über ehrliche Mietverträge.

Die Presse: Ist Wohnen in Wien zu teuer?

Walter Rosifka: Ja, für den Durchschnittsverdiener ist der private Mietmarkt zu teuer. Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren bei den Neuvermietungen extreme Steigerungen. Ich habe mir die Angebote auf immobilien.at angesehen, da gibt es kaum Wohnungen unter 13 Euro brutto pro Quadratmeter. Das gehört eingedämmt.

Michael Pisecky: Ich finde nicht, dass wir von einem zu hohen Preis reden können. Wenn man den gesamten Markt, also auch Gemeinde- und Genossenschaftsbauten, betrachtet, liegt der Anteil des Einkommens, den man in Wien fürs Wohnen aufwendet, zwei Prozentpunkte unter dem EU-28-Schnitt. Der private Markt für sich allein genommen liegt im Durchschnitt. Immerhin wohnen auch 50 Prozent der Geringverdiener „privat“. In Summe ist der Mietzins dank Altmietverträgen in Ordnung. Die Unverhältnismäßigkeit entsteht nur, weil es ein Gefälle zwischen Alt- und Neumietern gibt: Denn wenn ich alte Verträge nicht anpassen kann, dann muss ich das eben mit den neuen ausgleichen.

Rosifka: Wenn der Durchschnitt nur dank Altmietverträgen in Ordnung ist, heißt das: Würde man in die alten Verträge eingreifen können, wäre er es nicht mehr.

Piesecky: Doch, denn dann gäbe es bei den Neuvermietungen mehr Spielraum.

Rosifka: Eben nicht. Die Vermieter warten einfach, bis jemand kommt, der ihren Preis zahlt. Schon jetzt stehen laut willhaben.at 400.000m2 in Wien an Wohnungen leer, die 1500 Euro plus kosten.

Piesecky: Heute werden manche Wohnungen bereits billiger vermietet als noch vor drei, vier Jahren. Die überbordende Nachfrage beschränkt sich auf kleinere, günstigere Wohnungen in zentraler Lage.

Ein gar nicht kleiner Teil des privaten Marktes ist, da Altbau,preisgeregelt. Verhindert das nicht eine breite Teuerung?

Rosifka:Die Preisregulierung existiert, aber sie wirkt nicht. Das Gesetz ist so lax formuliert, dass man verlangen kann, was man will, ohne sanktioniert zu werden. Ich habe auf immobilien.at eine 40-Quadratmeter-Wohnung um 600 Euro gefunden – befristet, im 16. Bezirk, wo es keinen Lagezuschlag gibt. Natürlich kann man zur Schlichtungsstelle gehen, wo die Miete nach einem Verfahren wohl auf 350 Euro gesenkt wird. Aber erst einmal muss man die Wohnung um 600 € mieten.

Pisecky: Sie sehen nur jene, die sich beschweren. Ich sehe jene 95 Prozent, die sich nicht beschweren.

Rosifka: Die Bauträger und Vermieter geben offen zu, dass sie gesetzeswidrige Mietzinse verlangen, eben weil sich nur fünf Prozent beschweren. Der Rest fürchtet nämlich, gekündigt zu werden oder dass die Frist nicht verlängert wird. 60 Prozent aller privaten Mietwohnungen werden befristet vermietet. Das macht die Leute erpressbar.

Pisecky: Die häufige Befristung hat eine andere Ursache: Das Mietrecht ist in Österreich stärker als das Eigentumsrecht. Wenn ich eine Wohnung unbefristet vermiete, dann habe ich darüber keine Verfügungsgewalt mehr – mitunter über Generationen.

Rosifka: Es gibt die Eigenbedarfskündigung.

Pisecky: Ja, aber wenn ich ein ganzes Zinshaus habe, kann ich die nur sehr beschränkt einsetzen.

Rosifka: Und das ist auch gut so.

Pisecky: Wir wären dafür, Anreize für eine Verlängerung der Fristen zu setzen, etwa dass es bei zehn Jahren Befristung nur zehn Prozent Abschlag gibt und bei 15 Jahren gar keinen mehr. Die Befristung ist auch das Resultat einer Verunsicherung. Seit 15 Jahren diskutieren wir über das Mietrecht, und ständig geht es um Preisregulierungen. Der aktuelle SPÖ-Vorschlag für ein Universalmietrecht ist eine Gefahr für den Mietmarkt. (Anm.: Der Vorschlag sieht eine österreichweite Basismiete von 5,5 Euro pro Quadratmetervor plus fixe Zu- oder Abschläge. Gelten soll die Universalmiete für alle Häuser, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses älter als 20 Jahre sind.)

Rosifka: Die Universalmiete ähnelt doch dem jetzigen Richtwertsystem. Sie ist nur transparenter und klarer, weil die Zu- und Abschläge im Gesetz fixiert sind und die Basismiete bundesweit einheitlich ist.

Pisecky: Das ist die Vernichtung des privaten Wohnungsmarktes, denn es bedeutet Einheitswohnen für alle. Keiner könnte ein bisschen luxuriöser oder günstiger wohnen. Es kann keine Einheitsbasismiete von Eisenstadt bis Bregenz geben. Es gibt ja so viele gute Lagen, wo ich wesentlich mehr als diese Einheitsmiete bekomme.

Rosifka: Ich höre immer: Lage, Lage, Lage. Die Frage ist: Wer leistet hier etwas? Die gute Lage wird oft von uns allen, den Steuerzahlern, finanziert. Wir zahlen die Infrastruktur, die U-Bahn, die Schulen.

Pisecky: Die Lage umfasst aber auch die Umgebung an sich. Soll man jetzt den lieben Gott in die Rechnung hineinnehmen, weil er den Kahlenberg gemacht hat?

Rosifka: Genau das ist mein Punkt. Wo ist die Mehrleistung des Vermieters, wenn er für die schöne Lage zwanzig Prozent mehr will?

Aber die schöne Lage hat der Vermieter beim Erwerb der Wohnung mitbezahlt. Warum soll er sie nicht weiterverrechnen?

Rosifka: Das Universalmietrecht berücksichtigt die Lage, aber sie darf nicht mehr zählen als Investitionen, etwa Sanierungen. Derzeit haben wir Lagezuschläge von bis zu sechs Euro bei einem Richtwert von 5,39 Euro pro Quadratmeter. Der Grund, warum wir eine Basismiete für ganz Österreich wollen, ist die Überlegung, dass auch ein Arbeiter in Wien oder Salzburg nicht so unterschiedlich viel verdient. Der Krankenschwester in Wien hilft es nicht, wenn ich ihr sage: Zieh um ins steirische Fohnsdorf, dort ist es billiger. Warum soll ein Durchschnittsverdiener nicht zentral wohnen dürfen?

Piesecky: Sie wollen, dass jeder überall wohnen kann. Das ist löblich, aber wozu führt das? Wenn ich den Markt so vergewaltige, wird erstens der Wert der Immobilien sinken und damit deren Belehnungswert, sprich, die Eigentümer bekommen Probleme mit ihren Krediten. Zweitens: Wer, glauben Sie, wird die günstigen Wohnungen bekommen? Wieder nur die Gutverdiener, denn der Vermieter will sichere Einnahmen. Drittens käme es zu einem Sanierungs- und Investitionsstopp. Denn wenn ich nicht mehr verlangen kann, mache ich nur das Allernötigste.

Rosifka: Der wahre Sanierungsmotor ist doch die Wohnbauförderung. Wien hat 2,5 Milliarden in die Sanierung gesteckt.

Pisecky: Die Gemeinde Wien will immer fördern, um sich einzumischen. Uns wäre ein angemessener Mietzins für ein topsaniertes Gründerzeithaus lieber.

Sie wollen also das Richtwertsystem für den Altbau aufheben?

Pisecky: Ja, wir wollen eine generelle Deregulierung, also einen frei vereinbarten, aber angemessenen Mietzins für alle Wohnungen, wobei angemessen heißt, dass es kein Wucherpreis sein darf. Realpolitisch ist eine komplette Deregulierung aber nicht möglich, daher würden wir im Altbau beim Richtwertsystem bleiben. Es sollte aber überarbeitet werden und zu einem transparenten Referenzsystem werden: Wer mehr als den Referenzwert verlangt, muss das nachvollziehbar im Mietvertrag begründen.

Warum werden nicht schon jetzt Zu- und Abschläge im Mietvertrag aufgelistet?

Rosifka: Ganz einfach: Weil die Vermieter es nicht müssen.

Wäre es ein Problem, das zu machen?

Pisecky: Nein, das ist in einer Novelle ein Punkt, dem wir zustimmen können.

Herr Pisecky, Sie haben zu Beginn etwas Interessantes gesagt, nämlich, dass 50 Prozent der Geringverdiener im privaten Mietmarkt wohnen. Gehören die nicht auf den Sozialbauwohnungsmarkt, Herr Rosifka?

Rosifka: Warum? Als ich damals nach Wien gekommen bin, habe ich in einer Kategorie-D-Substandardwohnung gewohnt. Warum soll man verbieten, dass Einkommensbezieher unterm Durchschnitt im privaten Markt wohnen?

Keiner redet von Verbieten. Aber ist das nicht ein Indiz, dass der soziale Wohnbau nicht so treffsicher ist?

Rosifka: Das sehe ich nicht so. Milliarden unserer Steuermittel stecken im privaten Wohnbau. Man tut immer so, als ob das alles von den Privaten selbst geschaffen worden wäre. Das haben wir bezahlt. Das muss dann auch dem Gemeinwohl dienen. Ein Drittel der privaten geförderten Wohnungen wird von der Stadt Wien zugewiesen – natürlich auch an Geringverdiener.

Pisecky: Einerseits ist der Sozialbau nicht treffsicher, andererseits fordern Sie von den Privaten, dass sie über Preisregulierungen einen Beitrag zum günstigeren Wohnen leisten. Das ist absurd. Was ist eigentlich mit den 80.000 Zuwanderern, die jährlich nach Wien kommen? Da sie erst kurz da sind, haben sie gar keinen Zugang zum sozialen Wohnbau. Wo ist da die soziale Verantwortung?

Herr Rosifka, Sie argumentieren, dass man im Gegenzug für Förderungen auch den Mietzins regulieren darf. Aber wie rechtfertigen Sie die Regulierung von frei finanzierten Wohnungen?

Rosifka: Für den ungeförderten Wohnbau gibt es ja erst dann Preisobergrenzen, wenn die Errichtungskosten zurückverdient sind. Im Übrigen sind dort Werte bzw. Wertsteigerungen der Immobilien, – etwa in U-Bahn-Nähe – von der Allgemeinheit finanziert.

Pisecky: Das ist arg. Wenn ich Geld investiert habe, dann brauche ich irgendwann nichts mehr dafür kriegen, oder wie?

Rosifka: Nichts stimmt ja nicht. Wenn in St. Pölten der freie Mietzins für neue Wohnungen im Durchschnitt bei 6,20 Euro liegt, dann verstehe ich nicht, warum 5,5 Euro Basismiete für alte, bereits refinanzierte Wohnungen ein Problem sein sollen. Außerdem gibt es auch so etwas wie die Sozialpflichtigkeit von Grund und Boden.

Pisecky: Ich bin auch der Meinung, dass Eigentum verpflichtet. Ich muss mich um eine optimale Nutzung kümmern, aber ich muss nicht alles verschenken.

Ändert der Beschluss Wiens, Gemeindebauten zu errichten, etwas an der Marktsituation?

Rosifka: Es ist relativ egal, wer günstige Wohnungen baut. Hauptsache, sie werden gebaut.

Pisecky: Das ist Wahlkampf. 200 Gemeindewohnungen helfen nicht viel.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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