Entlastung der Krankenhäuser kommt nicht voran

Patienten in der Ambulanz
Patienten in der Ambulanz(c) Clemens Fabry
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Die vor vier Jahren begonnene Gesundheitsreform stockt. Speziell die neue Primärversorgung zur Spitalsentlastung funktioniert noch nicht. In der Diskussion darüber geben die Beteiligten einander die Schuld.

Die Gesundheitsreform werde nur schleppend umgesetzt. Das kritisiert Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse und die Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Vor allem die geplante neue Primärversorgung zur Entlastung der Spitäler funktioniere noch nicht. Mit der neuen Primärversorgung sollen Ärzte, Therapeuten und Pflegefachkräfte ganztätig für die Patienten zur Verfügung stehen und damit die Spitäler und Ambulanzen entlasten. Dafür können entweder neue Zentren errichtet oder bestehende Einrichtungen vernetzt werden. Ziel ist es, bis 2016 ein Prozent der Bevölkerung mit diesen Einrichtungen zu versorgen. Derzeit besteht allerdings nur ein Primärversorgungszentrum in Wien.

Reischl macht die Ärztekammer mitverantwortlich für die Verzögerung: „In manchen Bundesländern gibt es keine Bereitschaft der Ärztekammer zu verhandeln“, sagt sie und führt als Beispiel die Situation in Wien an: „Für die zwei Pilotprojekte (in Wien, Anm.)haben wir 38Verhandlungsrunden gebraucht, im Setting Ärztekammer, Wiener Gebietskrankenkasse und Stadt Wien. Wenn es keine Bereitschaft von allen Beteiligten gibt, ist es schwierig. Dadurch geht es sehr langsam.“

Reischl fehlt es auch an Flexibilität der Ärzte: „Ich muss nach wie vor Verträge unterschreiben mit Öffnungszeiten von neun bis elf Uhr, einem langen Abend und von 13 bis 15 Uhr. Wie sollen die Menschen da zum Arzt gehen?“ Es sei nicht möglich gewesen, wenigstens symbolisch eine Stunde längere Öffnungszeiten am Abend zu erreichen. Für die Vorsitzende der Trägerkonferenz ist es auch schwierig, Betreiber für diese Zentren zu finden. „Es müssen sich drei Ärzte finden, die sich vielleicht gar nicht gut kennen und die ein wirtschaftliches Risiko teilen müssen – ein sehr schwieriger Prozess.“

Reischl drängt jedenfalls darauf, mit dem kommenden Finanzausgleich Mittel umzuschichten. Das Angebot im niedergelassenen Bereich müsse verstärkt werden, und „logischerweise müssen auch die Mittel dorthin fließen“. Das bedeutet: Die für die Spitäler zuständigen Länder würden weniger bekommen.


Kammer weist Vorwurf zurück. Die Ärztekammer weist den Vorwurf, für die schleppende Umsetzung der Gesundheitsreform mitverantwortlich zu sein, zurück. Präsident Artur Wechselberger machte stattdessen die Finanzierung als einen Hauptgrund für die Verzögerung aus. Für die neue Primärversorgung mit einem vernetzten Angebot verschiedener Gesundheitsberufe und längeren Öffnungszeiten zur Entlastung der Spitäler brauche es mehr Geld. Wenn diese Ordinationen länger geöffnet sein sollen, dann müssten nicht nur die Ärzte mehr Zeit investieren, auch das Praxispersonal müsse länger arbeiten, und die Betriebskosten müssten steigen. Das müsse abgegolten werden. Derzeit gebe es aber im Gegenteil limitierte Honorierungssysteme, in denen es für mehr Leistung weniger Geld gebe. Als zweiten finanziellen Aspekt führt Wechselberger an, dass es einen Stillstand in den Verhandlungen zwischen Sozialversicherungen und Ländern gebe, weil man sich nicht einigen könne, wer die Mittel zur Verfügung stelle. Der Traum der Sozialversicherung, dass die hauptsächlich für die Spitäler verantwortlichen Länder von sich aus mehr Mittel für den niedergelassenen Bereich zur Verfügung stellen, werde sich nicht erfüllen. Es wäre die Aufgabe der Sozialversicherungen, den niedergelassenen Bereich zu organisieren und zu finanzieren. Davor hätten sie sich aber in den letzten Jahren „gedrückt“.

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) hat zuletzt ein geringes Tempo bei der Umsetzung der Gesundheitsreform eingestanden. Das Gesundheitssystem sei ein sich „recht langsam bewegender Koloss“. Sie verwies auf die notwendige Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung und meinte, dass deshalb raschere Schritte nicht möglich wären. Bei ihrem Amtsantritt habe sie aber schon gewusst, dass sie nicht „mit Siebenmeilenstiefeln durch das Land ziehen“ könne. kb

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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