Die Nachbarn als Lösung für vieles

(c) Clemens Fabry
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Es müssen nicht immer Stadt und NGOs sein, die Hilfe leisten. Die Wiener wollen sich selbst organisieren – und tun das auch, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt.

Wien. Wolfgang sucht einen PC, Bernhard Umzugskartons, Luise bietet ihre Dienste als Babysitterin an. Das passt gut, weil Michael gerade auf der Suche nach einer für seine kleine Tochter ist. Josef sucht eine Wohnung, Renate Anschluss im Grätzel, und Irina hat vier Säcke Altkleider, die Erika gerne für ihre Familie hätte – gemeinsam haben sie alle, dass sie ihre Anliegen virtuell kundtun: Auf der Plattform Frag Nebenan, die seit Jänner 2015 in ganz Wien verfügbar ist – und seit dieser Zeit auch rasant gewachsen ist.

„Wir haben knapp 12.500 Menschen, die die Plattform nutzen. Pro Monat kommen zwischen 1500 und 2000 neue Registrierungen dazu“, erzählt Gründer Stefan Theißbacher. Auf der Wiener Plattform wird quasi die Nachbarschaftskommunikation ins Netz verlagert. In einem Umkreis von 750 Metern – sodass die Menschen einander in zehn Minuten zu Fuß erreichen – können sich die Nachbarn virtuell zusammenschließen und ihre Anliegen kundtun. Sei es das gemeinsame Nutzen von Haushaltsgeräten, von Werkzeug, oder weil sie einander kennenlernen wollen.

Hilfe über Facebook

Das hat Potenzial. Auch für andere Bereiche. Noch bevor Caritas, Kinderfreunde und ein Heer an freiwilligen Helfern beschloss, eine minimale Versorgung für die obdachlosen Asylwerber in Traiskirchen auf die Beine zu stellen, gab es bereits Angebote für Sachspenden für Traiskirchen auf Facebook. Als sich die Hilfsorganisationen einschalteten (freilich auch über Social Media) war der Andrang bei manchen Projekten so groß, dass sich ein Rückstau bei den Ehrenamtlichen ergab, die nicht sofort zugeteilt werden konnten. Selbst tätig zu werden scheint für viele befriedigender, effizienter und wohl auch wirkungsvoller zu sein, als monatlich Geld vom Konto zu überweisen.

Auch auf Frag Nebenan hilft man einander. Rund 5500 Mitglieder sind laut ihrem Profil bereit, einem erkrankten Nachbarn auszuhelfen und ihm etwa Essen aus dem Supermarkt mitzubringen, knapp 5000 würden ältere Menschen unterstützen – die dadurch vielleicht sogar etwas länger in der Wohnung bleiben können. Andere bieten an, auf Kinder aufzupassen oder ihnen Dinge zu erklären. Was die Wiener Gebietsbetreuung auf Bezirksebene versucht zu institutionalisieren, organisieren hier die Wiener selbst und ohne bürokratischen Überbau: Da werden Grätzeltreffen vereinbart, Gemüse-Setzlinge getauscht, Senioren in der Umgebung gesucht und Ärzte, Handwerker und Geschäfte empfohlen. Bald soll es auch eine eigene Sektion geben, in der Firmen für ihre Dienste werben können, erklärt Theißbacher, inklusive Mengenrabatt, wenn sich eine Nachbarschaft zusammenschließt.

Denn die Bereitschaft ist groß. Rund 70 Prozent der Wiener haben laut Statistik Austria und Frag-Nebenan-Umfrage keinen Kontakt zu ihren Nachbarn, gleichzeitig würden rund 90 Prozent ihren Nachbarn etwas leihen.
Dass solche Netzwerke Probleme lösen können, zeigt auch die Plattform Carsharing 24/7. Während sich kommerzielle Carsharing-Anbieter wie Car2Go den Vorwurf gefallen lassen müssen, den städtischen Verkehr mehr anzukurbeln als zu reduzieren, ist man bei Carsharing 24/7 „auch froh, wenn wer sein Auto verkauft und selbst zum Carsharing-Nutzer wird“, sagt Ruth Juric von Carsharing 24/7.
Die Plattform schließt heimische Autofahrer zusammen, die sich privat ihr Auto teilen wollen. Gerade einmal 20 Euro am Tag kann ein Auto kosten, gleichzeitig reduziert der Autobesitzer durch die Einnahmen die Ausgaben für sein Gefährt.

Dass die Ressourcen ihrer Bürger noch nicht ausgeschöpft sind, weiß auch die Stadt Wien. 2016 soll endlich die „Serviceagentur für Kreative Räume“ starten, die Immobilienbesitzer mit Kreativen zusammenschließt, damit diese leer stehende Räumlichkeiten zwischennutzen können. Gewöhnlich profitieren beide Seite davon – die Kreativen bekommen billig Raum, die Immobilienbesitzer ein besseres Image und das Grätzel eine Belebung.
Was ist dann die Kritik an dem städtischen Projekt? Die lange Vorbereitungszeit. Seit dem Start der Bedarfsstudie dauert die Umsetzung bereits drei Jahre.

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