Spielregeln für direkte Demokratie

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Grünen haben (ungewollt) eine Diskussion über direkte Demokratie ausgelöst. Experten fordern klare, transparente und einheitliche Spielregeln in Wien.

Wien. Früher waren die Fronten klar. Wurde Grünraum bedroht? Tauchten Pläne für eine Tiefgarage auf? Es bildete sich sofort eine Bürgerinitiative von besorgten Anrainern. Und es dauerte nicht lang, bis diese Initiativen von den Wiener Grünen unterstützt wurden. Deren Linie: Egal, worum es sich handelt – am Ende entscheiden immer die Bürger in Form einer verbindlichen Abstimmung.
Seit Eintritt der Ökopartei in die Stadtregierung wird immer wieder über die direkte Demokratie diskutiert. Wobei die Grünen die Diskussion unfreiwillig ausgelöst haben. Zwar führt die grüne Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, demonstrativ „Stadträtin für Bürgerbeteiligung“ in ihrem Titel. Aber als es um ihr grünes Prestigeprojekt ging (Neugestaltung der Mariahilfer Straße), wehrte sich Vassilakou vehement gegen eine Abstimmung. Als diese wegen des öffentlichen Drucks im März 2014 nicht mehr zu verhindern war, durften nur die zwei Anrainerbezirke, also grüne Hochburgen, über die populärste Einkaufsstraße der Republik abstimmen. Geschäftsleute, die gegen die Umgestaltung protestierten, durften nicht mitstimmen. Im Gegenzug konnten EU-Bürger, hauptsächlich grünaffine Studenten, mitmachen. Parallel dazu wurde mit einem millionenschweren Werbebudget Stimmung für ein Ja gemacht, Gegner kamen nicht zu Wort.
„Das Problem in Wien liegt auf Bezirksebene“, hält Martin Dolezal, Experte für lokale Partizipation an der Universität Wien, fest: „Es gibt hier keine Regulierung demokratischer Systeme.“ Anders formuliert: Bei diesen Bürgerbefragungen kann jeder Bezirksvorsteher eine Befragung (wenn er es möchte) so anlegen, wie es ihm passt, und sich das Wahlvolk aussuchen, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Das birgt naturgemäß Probleme. Eine Lösung, die Dolezal vorschlägt: Die Stadtregierung erarbeitet klare gesetzliche Regelungen für Befragungen auf Bezirksebene. Damit würde festgelegt, wer bei einer Befragung geografisch als Betroffener oder ob Geschäftsleute und EU-Bürger mitstimmen dürfen.

Pseudoabstimmungen vermeiden

Richard Sturn, der sich als Professor an der Universität Graz mit verschiedenen politischen Partizipationssystemen beschäftigt, geht einen Schritt weiter. Auch auf Wiener Landesebene müsse etwas im Bereich der direkten Demokratie gemacht werden, um Pseudoabstimmungen zu vermeiden und die direkte Demokratie zu stärken. Sturns Lösung: Es darf nur über konkrete Projekte abgestimmt werden, die der Wähler überblicken kann und für die Wien auch zuständig ist. Wie bei jeder Abstimmung müsste es, analog zur Schweiz, eine Broschüre zum Stimmzettel geben, die Pro- und Kontra-Argumente objektiv auflistet. Dazu dürfte über Themen wie Menschenrechte, Grundrechte und Minderheitenrechte ebenso wenig abgestimmt werden wie über Themen, die für Populismus anfällig sind. Sturn schlägt den Verfassungsgerichtshof als unabhängige Instanz vor, der entscheiden soll, ob eine Abstimmung zulässig ist.
Das Schweizer Modell, wonach de facto über fast alles abgestimmt werden kann, sei keine Lösung, meint der Wissenschaftler: Die Einführung des Frauenwahlrechts sei in der Schweiz oft niedergestimmt worden, bevor es nicht mehr aufzuhalten gewesen sei. Dazu hätten die Schweizer für ein Minarettverbot und gegen mehr Zuwanderung aus der EU gestimmt. Wobei Letzteres dazu führen würde, dass die Schweiz aus dem gemeinsamen Wirtschaftsraum mit der EU fliegen würde – mit allen Folgen.
Ein weiterer Grund, weshalb Wien klarere Regeln und einen Schiedsrichter benötigt: Die ÖVP sammelte 2012 mehr als 100.000 Unterschriften gegen die Ausweitung der Kurzparkzonen, womit eine Volksbefragung verpflichtend vorgeschrieben ist. Die „unabhängigen“ Rathaus-Juristen verboten die Volksbefragung, weil laut Stadtverfassung über Gebühren nicht abgestimmt werden darf. Als Bürgermeister Michael Häupl zwei Jahre zuvor über eine Citymaut abstimmen ließ, hatten dieselben Juristen im Rathaus allerdings keinen Grund für ein Verbot.

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