Kindergarten – und sonst noch?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Stadt Wien investiert massiv in den Ausbau der Kinderbetreuung. Flexible Alternativen zum Kindergarten sind aber rar.

So etwas wie Stillstand kann man der Stadt Wien nicht vorwerfen. Im Vergleich mit den anderen Bundesländern steht Wien in Sachen Kinderbetreuung sehr gut da: In keinem anderen Bundesland ist der Kindergarten für alle Unter-Sechs-Jährigen kostenlos, in keinem anderen Bundesland ist der Ausbau der Plätze für Unter-Dreijährige so weit fortgeschritten wie in Wien, wo 43% einen Krippenplatz haben. Seit 2009 wurden 100 Mio. Euro in den Ausbau der Betreuungsplätze investiert. Geht es allerdings um Betreuungsformen abseits der Kindergärten mit Öffnungszeiten bis 17, maximal 18 Uhr, werden Eltern nicht leicht fündig. Ein Nachtkindergarten wie in Schweden sei mangels Bedarf kein Thema, heißt es.

In anderen Städten gibt es eine Reihe von privaten (Eltern-)Initiativen, die sich die Kinderbetreuung nach ihren Bedürfnissen zugeschnitten haben. Auch Wien würde derartige Projekte mit 250 Euro pro Monat pro Kind fördern. Bis jetzt wird davon kaum Gebrauch gemacht. Ideen zum Abschauen gebe es aber genug.

Coworking Space mit Kinder

Wenn es das, was man braucht, nicht gibt, muss man es eben selbst auf die Beine stellen: Als selbstständige Juristin wollte und musste Sandra Runge bald nach der Geburt ihrer Kinder wieder in den Job einsteigen: Allein, das bestehende Angebot an Kinderbetreuung in Berlin entsprach nicht ihren Bedürfnissen. Mit ihrem Mann und anderen Selbstständigen entwickelte Runge daher eine bestehende Elterninitiative namens Coworking Toddler weiter.

Die Idee, die es etwa in San Francisco oder Tokio schon seit Längerem gibt: Die Eltern (oder ein Elternteil) arbeiten im Coworking Space, im Gemeinschaftsbüro also, nebenan werden die Kleinkinder (bis drei Jahre) von ausgebildeten Pädagogen betreut. Es gibt Gemeinschaftsräume, in denen sich Eltern, Kinder und Erzieher zwischendurch treffen und etwa gemeinsam zu Mittag essen. Man spart sich dabei nicht nur den täglichen Umweg in eine Kita (wie die Kindergärten in Berlin heißen), sondern ist auch während der Arbeit nahe beim Kind. „Gerade Kleinkinder brauchen die Nähe ihrer Eltern noch sehr,“ so Runge.

Das Unternehmen Coworking Toddler beschreiben die Teammitglieder als „Dorf, das Familien brauchen, um Kinder großzuziehen“. Als modernes Großstadtdorf, möchte man ergänzen, denn der erste Standort soll in Berlin eröffnen, weitere sind in anderen deutschen Städten geplant. Die 16.000Euro, die kürzlich dank Crowdfunding zusammenkamen, helfen nun dabei, die Idee demnächst in die Tat umzusetzen. Noch in diesem Jahr soll der erste Standort eröffnen, ein Datum kann Runge aber noch nicht nennen, zu oft musste ihr Zeitplan schon nach hinten verschoben werden. „Die größten Stolpersteine“, sagt sie, „sind die Behörden und die Immobilie.“ Erstere sind zwar von Anfang an eingebunden, und man pflege einen „hervorragenden Kontakt, allerdings ist das Konzept so innovativ, dass wir gemeinsam Wege zur Umsetzung ausloten müssen“.

Auch die Suche nach einer geeigneten Immobilie gestalte sich schwierig: Diese muss nicht nur leistbar, sondern mindestens 200 m groß sein, um Büro- und Gemeinschaftsräume sowie Platz für die Kinderbetreuung unterzubringen. Umbaumaßnahmen, um den gesetzlichen Auflagen zu entsprechen, stehen dann ebenfalls noch an.

Viele Anfragen. Das Interesse sei jedenfalls groß: „Wir bekommen fast täglich Mails von Eltern und haben schon eine lange Liste an Interessenten“, sagt Runge. Auch von Erzieherinnen seien schon Bewerbungen eingetroffen, obwohl es noch keinen konkreten Starttermin gibt. Ziel ist es, dass Coworking Toddler eine Förderung durch das Land Berlin bekommt (einen sogenannten Kita-Gutschein vom Jugendamt), wodurch ein Teil der Betreuungskosten öffentlich finanziert wird und die Eltern nur einen Beitrag je nach Höhe ihres Einkommens zahlen müssen (plus die Miete für den Coworking Space). Zehn bis 15 Kinder – vorerst im Kleinkindalter bis etwa drei Jahre – sollen am ersten Standort Platz finden.

Für Runge selbst kommt Coworking Toddler übrigens zu spät: Ihre Kinder sind mittlerweile zu alt dafür.

Villa für arbeitende Eltern und spielende Kinder

„Die Idee ist aus der eigenen Not heraus entstanden“, sagt Cornelia Ternek zur Entstehungsgeschichte von Kraxlmaxl & Co. In einer Villa im Westen von Graz treffen sich Eltern zum Arbeiten oder um diverse Kurse zu besuchen (vom Gesundheitsvortrag über Yoga bis zum Lauftreff), während Kinder in der Villa oder im Garten spielen, betreut werden oder das verpflichtende Kindergartenjahr absolvieren.


Unternehmer-Familie. „Wir sind eine Unternehmer-Familie im EDV-Bereich und haben zwei Buben: dreieinhalb und sechs Jahre alt“, sagt Ternek. Sie war als junge Mutter oft auf der Suche nach einer flexiblen Kinderbetreuung oder einfach nur einem Ort, an dem man sich mit anderen treffen kann und die Kinder gleichzeitig beschäftigt sind. „Da geht es allen Eltern gleich, also hatte ich die Idee, etwas zu machen. Ich habe das meinem Lebensgefährten erzählt, und drei Wochen später ist die Villa auf uns zugekommen“, sagt Ternek, die auch zugeben muss: Ohne gut funktionierendes EDV-Unternehmen wäre der Start von Kraxmaxl & Co. nicht möglich gewesen. Heute trägt sich das Projekt von selbst, durch die Beiträge der Kinderbetreuung und durch die Vermietung der Räumlichkeiten, etwa für Yoga, Logopädie oder Kinesiologie.

Im Februar des Vorjahres haben sie die Villa gekauft, sechs Monate lang wurde renoviert. Am 1. September wurde eröffnet. Finanzielle Unterstützung von öffentlichen Stellen gibt es keine. „Es gab viele Zusprüche, aber finanziell unterstützen wollte uns keiner. Vielleicht ist das auch gut, sonst hätten wir das nicht allein und so schnell durchgezogen.“ Seit November des Vorjahres gibt es von der Stadt Graz eine Förderung für flexible Kinderbetreuung, die auch für Kraxlmaxl gilt.

Die Kinderbetreuung übernehmen bei Kraxlmaxl Kindergartenpädagoginnen und geschulte Betreuerinnen. „Aktuell haben wir 20 Kinder im Haus, Platz hätten wir für 30“, sagt Ternek. Insgesamt sind 150 Familien bei Kraxlmaxl angemeldet. „Die meisten davon kommen wirklich flexibel, vor allem aber auch vormittags.“


Bürogemeinschaft. Seit Juli werden in der Villa auch Coworking-Plätze angeboten. Zehn Plätze gibt es bereits, weitere zehn sollen folgen. Räumlich ist der Kinder- vom Arbeitsbereich getrennt. „Viele Kinder wissen gar nicht, dass ihre Eltern im oberen Stock arbeiten.“ Neben den Arbeitsplätzen gibt es auch für Eltern Freizeitangebote – mit oder ohne Kinder. „Es geht auch ums Netzwerken, über Kinder geht das leichter.“

Das Grazer Projekt ist österreichweit eines der Vorreiter. In Salzburg wird gerade an einem ähnlichen Konzept gearbeitet – wenn auch ohne Villa und Rahmenprogramm. Coworking Salzburg bietet ab November auch Kinderbetreuung an. In Wien gibt es seit Mai das Eltern-Kind-Büro, am 14. September geht es nach der Sommerpause wieder los. Gründerin Iris Kandlbauer, eine Kindergärtnerin: „Zweimal die Woche haben wir vormittags offen. In einem Raum arbeiten die Eltern, im anderen werden die Kleinen betreut. Uns ist wichtig, dass die Eltern bei Bedarf zu ihren Kindern gehen können.“

Wenn die Eltern nachts arbeiten müssen

Schräge Blicke von den Pädagogen beim zu späten Abholen der Kinder bleiben in den schwedischen Kindergärten Kids2home aus. Das private Franchisekonzept, das sich in Schweden langsam ausbreitet, bietet den Eltern die Kinderbetreuung weit über die gesetzlich geregelten Öffnungszeiten von 6.30 bis 18.30 Uhr an.

Auch nachts und an den Wochenenden haben sie mit abgespecktem Personalbestand offen, wenn es Bedarf gibt. Inzwischen hat die Firma schon neun Kindergärten. Auch andere Kommunen haben 24-Stunden-Kindergärten eingeführt oder wollen es tun, um den immer flexibler werdenden Arbeitszeiten gerecht zu werden. Allein im Jahr 2012 wurden 30neue 24-Stunden-Kindergärten in Schweden gegründet. Heute gibt es im ganzen Land mehr als 160 solcher Einrichtungen.

Oft schläft aber nur ein geringer Teil der Kinder dort. Eltern, die das Angebot nutzen, sagen, dass es nichts Verwerfliches daran gebe, die Kinder über Nacht dort zu lassen. Eltern, die nachts arbeiten, verbringen schließlich nicht weniger Zeit mit ihren Kindern. Oft haben sie nach der Nachtschicht länger frei. Unumstritten ist der Nachtkindergarten dennoch nicht. Befürworter schätzen ihn auch als günstige Alternative zu (teureren) Kindermädchen. Die Nachtkindergärten kosten nicht mehr als die herkömmlichen.

Wenn sich Mütter die Betreuung teilen

Ein bisschen erinnert es an Nachbarschaftshilfe oder Großfamilien. Mehrere Mütter – Väter sind die Ausnahme – tun sich zusammen, passen gegenseitig auf ihre Kinder auf, damit die ein oder andere etwas erledigen kann.

So oder so ähnlich lässt sich das Konzept des Vereins Rockzipfel in München beschreiben. Rockzipfel versteht sich als Spielgruppe, bei der die Eltern abwechselnd arbeiten können. Die Mütter treffen sich vorerst einmal die Woche und betreuen abwechselnd die Kinder. Während eine sich um die Kinder kümmert, können die anderen im Nebenzimmer arbeiten, entspannen oder ein Buch lesen. Nur eines geht nicht: auswärts Erledigungen zu machen, denn sonst wäre die Aufsichtspflicht, die bei den Eltern liegt, nicht gegeben.

„Wir sind ein eingetragener Verein, wir haben mit den Behörden nichts zu tun“, sagt Gründerin Regina Kapsner. Beim Rockzipfel stehen die Bedürfnisse der Kinder im Vordergrund. Finanzielle Unterstützung von der Stadt bekommt der Rockzipfel (noch) nicht. Wobei man sich vor allem Hilfe bei der Finanzierung neuer Räumlichkeiten wünscht. Derzeit mietet sich der Verein in einem Nachbarschaftstreff ein. Eine fixe Bleibe würde die Arbeit unterstützen, so Kapsner.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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