Kulturpolitik: In Wien dominiert die Hochkultur

(c) Clemens Fabry
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250 Millionen Kulturbudget, davon können viele Weltstädte nur träumen. Das Angebot ist gewaltig, manches fehlt aber auch. Eine Spurensuche.

Wien. Gibt man auf der Internetplattform YouTube „Wien Kultur“ ein, erscheinen der Clip einer Show aus dem Berliner Friedrichsstadtpalast sowie mehrere Folgen der ORF III-Serie „Denk mit Kultur“, in der Austro-Popperin Birgit Denk Gäste aus Hoch- und Populärkultur präsentiert. Auf Facebook wirkt die Präsenz geradezu skurril: Beim Stichwort Wiener Kultur kommt als erstes „Rettet die Wiener Wirtshauskultur“ und dann „Kulturverein der Wiener Jungrauchfangkehrer“.

250 Millionen Euro beträgt Wiens Kulturbudget, und auch wenn es in den letzten Jahren nicht mehr so stark gewachsen ist, im Vergleich zu 2001 macht die Steigerung dennoch 47 Prozent aus. Eine Ursache, dass man von diesem erheblichen Plus so wenig bemerkt, ist vermutlich, dass Fixkostenerhöhungen abgedeckt werden müssen.

Täglich 100.000 Sitzplätze

Und fix ist in Wien vieles: Bühnen, Museen, Kunsthallen. 100.000 Sitzplätze stehen in der Stadt jeden Abend für Kultur zur Verfügung. 20 Millionen Menschen besuchen pro Saison eine Kulturinstitution. Zwei Drittel aller Touristen kommen wegen des Kunst- und Kulturangebotes nach Wien. Das Image als düsterer Schauplatz von Filmen wie dem „Dritten Mann“ hat die Stadt längst abgelegt. Heute werden hier Blockbuster wie „Mission: Impossible“ gedreht. Aber wie steht es um die Gewichtung von Altem und Neuem?

In Wien kursiert nicht nur das Wiener Kulturbudget, der Bund finanziert auch noch mit hohen Summen Bundestheater und Bundesmuseen. Die Konzentration der Mittel auf die Hauptstadt, ihr historisches Erbe und die Innenstadt, ist enorm. In einem Kommentar war jüngst im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise zu lesen, dass Österreich immer ein Vielvölkerstaat war. Freilich: So arm wie die Armen im Habsburgerreich sind heute nur mehr wenige. In sozialer Hinsicht hat sich also viel gewandelt, aber nicht in kultureller. In Wien dominiert noch immer die Hochkultur. In den letzten Jahren wurden zwölf Theater neu besiedelt bzw. neu geschaffen. Ob da nicht am Bedarf vorbei produziert wurde? Die Jugend vergnügt sich teilweise lieber in einer rasch wachsenden Zahl von Clubs, bei Popkonzerten, Tanz-Events, Festivals. Auch Kabarett boomt. Man müsste einmal schauen, nicht, was in Wien subventioniert wird, sondern wie viel Geld Private hier mit Kultur verdienen. Ferner wäre es eine gute Idee, in rasch wachsenden Bezirken wie der Donaustadt, Floridsdorf, Favoriten, Liesing mehr Kulturangebote zu schaffen.
Wiener Kulturstadträte der letzten Jahrzehnte wollten sich hier wenig engagieren oder konnten sich nicht durchsetzen. Seit 2001 amtiert der „bürgerliche“ Sozialdemokrat Andreas Mailath-Pokorny an der Spitze des Wiener Kulturressorts. Er war von 1988 bis 1996 im Kabinett von Kanzler und Exbanker Franz Vranitzky tätig. Erkundigt man sich bei Mailath nach dessen Visionen, kommen Stehsätze: mehr Vermittlung, mehr Gratisangebote, vor allem für junge Leute, mehr Digitalisierung.

Weltoffenheit und Isolation

Vermittlung ist ursprünglich eine Forderung der Grünen gewesen, die aber trotz der rot-grünen Koalition in der Stadtregierung damit noch nicht sehr weit gekommen sind. Insgesamt ist die kulturelle Öffnung der Stadt und des Landes, die Politiker wie Bruno Kreisky, Erhard Busek, Rudolf Scholten oder Helmut Zilk förderten, in letzter Zeit vor allem durch die Menschen selbst vorangekommen, weniger durch die Politik. Die gesellschaftliche Polarisierung zwischen Weltoffenheit und Isolationismus wird schärfer. Shitstorms in sozialen Netzwerken sind ein Zeichen dafür. Die Wien-Werbung für den Tourismus setzt indes noch immer gern auf etablierte Klischees, Schloss Schönbrunn, Lipizzaner, Stephansdom. Zu wenig allgemein bemerkt wird hingegen die vitale Zeitgenössische-Kunst-, Galerien-, Messen-Szene in Wien. 200 interkulturelle Vereine hat die Stadt, einer der erfolgreichsten ist die Brunnenpassage in Ottakring, die sich an Laien wendet, aber auch in Theater von Profis (z. B. das Schauspielhaus) eingeladen wird. Selber machen, mitmachen, spielen, musizieren, singen, malen ist Trumpf. Man will nicht mehr nur zusehen, ein Beispiel dafür ist die Junge Burg, die Youngsters in Scharen lockt.

Trotz seines gewaltigen Budgets sind Stadtrat Mailath teilweise die Hände gebunden, weil er Institutionen wie die Vereinigten Bühnen und das Wien-Museum erhalten muss – die aber natürlich ihrerseits viel Neues produzieren, denkt man an die Opernaufführungen im Theater an der Wien oder die erfinderische Wien-Museum-Programmierung von Direktor Wolfgang Kos. Ziele wie Digitalisierung, fantasievollere und moderne Internetpräsenz, mehr Vernetzung zwischen den Sparten, mehr Gratisangebote für junge Leute (Die „Lange Nacht der Museen“ ist sehr gut besucht) ließen sich auch mit weniger Geld realisieren. Kultur soll zweckfrei sein, aber sie hat auch eine politische Bedeutung, schafft Atmosphäre, trägt zum Klima bei.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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