Flüchtlinge: Wer kommt, wer bleibt, wer geht

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Seit Wochen wird die Asyldebatte von Traiskirchen dominiert. Doch was passiert abseits des überfüllten Aufnahmezentrums?

Wien. Seit Wochen dominieren Berichte über das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen die heimischen Medien. Mittwochvormittag verschaffte sich etwa die Regierungsspitze einen Eindruck über die prekäre Situation im Lager. Der Fokus auf Traiskirchen lässt einen jedoch den Blick auf das große Ganze verlieren. Wie viele Menschen haben Österreich bisher überhaupt erreicht, wer wird abgeschoben, und wer darf wo bleiben? Ein Lagebericht basierend auf Zahlen.

1. Flaschenhals Traiskirchen. Wer lebt im Zentrum und wann gibt es eine Entlastung?

Es ist der Flaschenhals der Nation. Am überfüllten Erstaufnahmezentrum Traiskirchen wird derzeit die gesamte Flüchtlingspolitik in Österreich festgemacht. Dabei hat sich die Situation statistisch gesehen sogar entspannt: Anfang August waren noch 4500 Asylwerber untergebracht. Mittlerweile sind es fast 900 Menschen weniger, nämlich 3659. In der Praxis ändert das trotzdem wenig. Noch immer sind 600 Menschen ohne Schlafplatz. Sie müssen im Freien schlafen, haben auch keinen Platz in einem Zelt. Bei Regen werden Garagen und Lagerräume geöffnet.

Betroffen von der Situation sind überraschend viele Jugendliche. Knapp die Hälfte der Traiskirchen-Asylwerber, nämlich 1568, sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahre (55 der 1568 sind sogar unter 14 Jahre alt), die ohne Eltern geflüchtet sind. Sie zählen damit zur größten Personengruppe. Weiters sind 1308 Männer und Frauen im Familienverband vor Ort sowie 717 alleinreisende Männer und 66 alleinreisende Frauen. Derzeit kommen wöchentlich zirka 1600 neue Asylwerber in Österreich an, während in den Ländern in der gleichen Zeit im Schnitt 600 neue Plätze geschaffen werden, heißt es aus dem Innenministerium. Wöchentlich fehlen damit 1000 neue Plätze. Entspannung könnte der Herbst bringen. Statistiken zeigen, dass in den kalten Monaten weniger Menschen die Flucht antreten.

2. Woher kommen die Asylwerber und wie erreichen sie Österreich?

Österreich erwartet heuer laut Innenministeriums-Prognosen 80.000 neue Asylanträge, mit Ende Juni wurden allerdings erst 28.311 neue Anträge gestellt. Knapp 80 Prozent der Asylwerber sind Männer, etwas mehr als 20 Prozent Frauen. Mit 7700 Anträgen zählen die Syrer zu der größten Personengruppe, die in Österreich bleiben möchte, gefolgt von Afghanen und Irakern. Die Anträge aus dem Kosovo liegen mit 2300 nur mehr auf Platz vier. Der Kosovo gilt als sicheres Herkunftsland, Asyl wird daher in der Regel meist nicht genehmigt (Stichwort: Wirtschaftsflüchtling). Erst Anfang des Jahres war die Zahl der Anträge aus dem Kosovo sprunghaft angestiegen, mit 1065 Anträge allein im Jänner. Dieser Trend hat sich nicht fortgesetzt, im Juni gab es nur mehr 35 Anträge, auch in den Monaten davor ist die Zahl ständig gesunken. Geändert haben sich auch die Schlepperrouten. Während im Vorjahr noch viele Flüchtlinge Österreich über das Mittelmeer erreichten, haben sich jetzt die Schlepper-Routen vermehrt auf den Balkan verlagert, heißt es aus dem Bundeskriminalamt. Die neue Hauptroute führe über die Türkei nach Griechenland und weiter nach Mazedonien oder Bulgarien.

3. Entscheidungen. Wie viele dürfen bleiben, wie viele müssen gehen?

17.472 Statusentscheidungen hat das Bundesamt für Asyl bis Ende Juni laut Innenministerium getroffen. In 34 Prozent (knapp 6000 Fällen) wurde auch tatsächlich Asyl gewährt. Das ist etwas mehr als in den Vorjahren, wo im Schnitt 25 Prozent der Asylverfahren positiv beschieden wurden. Der Rest der 17.472 Fälle wurde zu 20 Prozent negativ beschieden, eingestellt (20 Prozent) oder betraf Familienzusammenführung (26 Prozent).
Ein negativer Bescheid in erster Instanz heißt übrigens nicht gleich Abschiebung, der Asylwerber kann das Urteil anfechten. Tatsächlich außer Landes gebracht wurden bis Ende Juni laut Innenministerium 4164 Menschen. 1017 wurden abgeschoben, das heißt, sie verließen nicht freiwillig das Land. 728 wurden als Dublin-Fälle in ein anderes Land gebracht – meistens nach Ungarn. 2419 Menschen reisten freiwillig aus. Laut Ministerium wurden damit Ende Juni fast so viele Menschen außer Landes gebracht wie im ganzen Jahr 2014.

4. Einmal als Flüchtling anerkannt, müssen diese Arbeit suchen. Wie viele sind es?

Mit Ende Juli waren rund 13.545 Flüchtlinge und 3664 subsidiär Schutzberechtigte beim AMS gemeldet oder vorgemerkt. Sie sind entweder bereits arbeitssuchend oder in Schulung und absolvieren etwa einen Deutschkurs. Der größte Anteil entfällt auf Wien, wo knapp 11.700 Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte beim AMS gemeldet sind, weit abgeschlagen von Oberösterreich (1500) und Niederösterreich (1250). Groß ist die Diskrepanz auch bei der Ausbildung. In Wien haben etwa 7070 Flüchtlinge einen Pflichtschulabschluss als höchste Ausbildung, 1257 eine höhere oder akademische Ausbildung. Aufgrund der oft fehlenden Dokumente werden die Menschen aber generell eher zu niedrig eingestuft, heißt es aus dem AMS Wien. Auch die Kinder müssen sich vorbereiten. In Wien werden im Schuljahr 2015/2016 rund 300 Flüchtlingskinder eingeschult werden, davon 30 bis 40 Erstklässler.

5. Wovon leben Flüchtlinge, wenn sie noch keinen Job haben?

Da die meisten Flüchtlinge aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse noch nicht gleich zu arbeiten beginnen können, suchen die meisten um Mindestsicherung an. Die ihnen in der gleichen Höhe wie gebürtigen Österreichern zusteht. In Wien, wo die meisten Flüchtlinge leben, beziehen 17.120 Flüchtlinge und 4715 subsidiär Schutzberechtigte derzeit die Mindestsicherung. Das macht einen Anteil von 14 Prozent von allen Mindestsicherungsbeziehern der Stadt aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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