Energie: Deutschland im Atom-Dilemma

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Energie Deutschland AtomDilemma(c) Dapd (Hermann J. Knippertz)
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Um alle Atomkraftwerke der Bundesrepublik zu ersetzen und den Energiebedarf zu decken, sind Investitionen von mehr als 200 Milliarden Euro nötig. Merkel kämpft lieber für einheitliche Sicherheitsstandards in der EU.

Wien/Ag./Red. „Atomkraftwerke sind sicher und die Erde ist eine Scheibe.“ Mit beschrifteten Transparenten wie diesen waren am vergangenen Samstag tausende Menschen in verschiedenen deutschen Städten auf die Straße gegangen, um für den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie zu demonstrieren. Die jüngste Abschaltung von sieben deutschen Meilern scheint ihnen dabei zu wenig zu sein. Die Bürger plädieren für eine Kehrtwende in der Energiepolitik.

Infolge der atomaren Katastrophe in Japan hat sich die deutsche Bundesregierung dazu durchgerungen, die erst im Herbst des Vorjahres beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke (AKW) vorerst auszusetzen. In einem Zeitraum von drei Monaten sollen die Meiler nun auf ihre Sicherheit überprüft werden.

Der SPD ist das jedoch zu wenig. Sie will dem Bundestag noch diese Woche ein Gesetz vorlegen, das die sofortige und endgültige Abschaltung der älteren Atomkraftwerke in Deutschland beinhaltet. CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem Vorstoß der Opposition indes eine Absage erteilt. Merkel will in der EU lieber für einheitliche Sicherheitsstandards von Atomkraftwerken kämpfen. Schließlich habe man auch die Größe von Äpfeln oder die Form der Bananen vereinheitlicht.

Der Chef des deutschen Energieriesen E.ON, Johannes Teyssen, schließt, zumindest für Deutschlands Reaktoren, schärfere Sicherheitsanforderungen nicht aus. Steigen die Sicherheitsauflagen, dürfte dies auch mit enormen Kosten verbunden sein. Zudem warnt der E.ON-Vorstand davor, dass die Abschaltung der sieben AKW zur Instabilität des Stromnetzes führen könnte. Nach Einschätzung von Klimaexperten der Allianz-Versicherung wird sich die Abschaltung der AKW, zumindest kurzfristig, nicht auswirken. Deutschland hätte ausreichend Strom zur Verfügung – schließlich sei die Bundesrepublik kein Importeur von Strom, sondern exportiere diesen. Energiewirtschaftlich sei es jedenfalls nicht geboten, die abgeschalteten AKW wieder in Betrieb zu nehmen, hieß es weiter.

Höhere Preise werden akzeptiert

Am Montag treffen jedenfalls die EU-Umweltminister aufeinander, um generelle Linien für die Prüfung der Atomkraftwerke festzulegen. Noch in der zweiten Jahreshälfte könnte mit den Stresstests in den rund 140 europäischen Kernkraftwerken begonnen werden. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) könnte am Montag zudem Pläne vorstellen, die den rascheren Ausbau der Stromtrassen in Deutschland vorsehen – und den Umbau der Energieversorgung beschleunigen. Derzeit wird Deutschlands Strom zum größten Teil aus Kohle gespeist. Die Kernenergie rangiert auf dem zweiten Platz. Auf erneuerbare Energie und Erdgas entfallen geringere Anteile.

Der Chef des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, hält den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie jedenfalls bis 2017 für möglich. Kanzlerin Angela Merkel hat indes kürzlich gesagt, dass „nicht von jetzt auf gleich auf die Kernenergie als Brückentechnologie verzichtet werden kann“.

Um alle Atomkraftwerke in der Bundesrepublik zu ersetzen und den Energiebedarf anderweitig zu decken, sind Studien zufolge Investitionen von mehr als 200 Mrd. Euro nötig. Doch noch bevor Summen dieser Art aufgebracht werden, müssen Verbraucher schon bald mit höheren Strompreisen rechnen. Den Kunden macht das offenbar nichts aus. In einer Umfrage des Magazins „Focus“ gaben 69 Prozent der Befragten an, höhere Stromrechnungen in Kauf zu nehmen, wenn die Energie dann nicht aus Atomkraft stamme.

Auf einen Blick

Deutschland will in den kommenden drei Monaten die Sicherheit seiner sieben ältesten Atomkraftwerke überprüfen. Die oppositionelle SPD fordert CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel indes dazu auf, die alten Meiler endgültig abzuschalten. Merkel lehnt diesen Vorstoß ab. Sie plädiert vielmehr für einheitliche Sicherheitsstandards aller Kernkraftwerke in der Europäischen Union.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2011)

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