Kreativität: Begeisterung formt unser Hirn

(c) Reuters (Rupak De Chowdhuri)
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Ob man Kreativität lernen, definieren oder sogar messen kann, darüber diskutierten bei den heurigen Alpbacher Technologiegesprächen Wissenschaftler und Experten aus ganz Europa.

Wir brauchen eine völlig neue Kultur!“, sagt Gerald Hüther, Neurobiologe aus Göttingen. „Bisher war unsere Gesellschaft darauf aus, Ressourcen auszunutzen. Doch irgendwann ist Schluss.“ Es sei an der Zeit, die alte „Ressourcen-Nutzungskultur“ durch einen neue „Potenzial-Entfaltungskultur“ zu ersetzen. Doch was in der alten Kultur richtig war, wird in der neuen Kultur falsch sein. Wo sich kreatives Potenzial der Menschen entfalten soll, darf man nicht durch Druck und Angst effiziente Arbeit erzwingen. Auch festgefahrene Vorstellungen müssen über den Haufen geworfen werden. Denn: „Sonst ist nicht viel los im Hirn“, sagt Hüther und zeigt Bilder vom funktionellen Magnetresonanz-Imaging: Im Hirn feuern kaum Neuronen, wenn Testpersonen fixe Vorstellungen verfolgen. In seinem Beispiel wurden Männern Videobrillen aufgesetzt, sie mussten virtuell eine Rennstrecke abfahren. Die gemessene Hirnaktivität war gering, weil sich alle angestrengt haben, Erster zu sein. Erst als die Männer als „Beifahrer“ den Versuch wiederholten, feuerten ihre Neuronen. „Da ließen sie ihre Gedanken schweifen und sahen, was außerhalb der Strecke passiert.“

Auch Edward de Bono, britischer Buchautor („Serious Creativity“, 1992), sagt: „Kreativität heißt, von vorgegebenen Bahnen abzuzweigen. Leider ist unsere Kultur nicht darauf ausgerichtet. Uns wird beigebracht zu denken, um die Wahrheit zu finden. Aber niemand lehrt das Denken um des Denkens willen.“ Für de Bono ist Kreativität nichts Mysteriöses, das als verstecktes Talent manchen gegeben ist. „Kreativität kann man lernen. Es geht um Asymmetrien in den Gedankengängen, um unerwartete Wendungen. So gesehen funktioniert Kreativität wie Humor.“

Der Hirnforscher Hüther definiert Kreativität nicht einfach darüber, dass „einem etwas Neues einfällt“. Kreativ ist vielmehr, aus dem vorhandenen Wissenspool plötzlich Lösungen zu finden, wie sich Dinge auf zuvor für unmöglich gehaltene Weise verbinden. Sobald ein Mensch anfängt, etwas Neues zu machen, verändert sich sein Hirn. Aber nur unter der Voraussetzung, dass der Mensch dafür Begeisterung aufbringt. „Es muss unter die Haut gehen, dann passiert im Hirn etwas“, so Hüther. Er sieht auch den Grund, warum bei Kindern das Gehirn viel formbarer ist, darin, dass sie große Begeisterung aufbringen können. Im Gegensatz zu „den Alten“, die sich für nichts mehr begeistern und daher keine Veränderungen der neuronalen Netze des Gehirns anspornen. „Man kriegt das Hirn, das man sich macht“, sagt Hüther. Beispiel: Jugendliche von heute haben ein viel größer ausgebildetes Hirnareal, in dem die Bewegung des Daumens angelegt ist, als Jugendliche vor zehn Jahren. Wer ständig am Handy herumklickt, verändert sein Gehirn auf diese Weise. „Die Kultur, in der wir uns bewegen, gehört mit zum Gehirn.“

De Bono betont auch, dass unerwartete Herausforderungen und Provokationen dazugehören, um Kreativität zu fördern. „Denn sonst versucht man nicht, vom eingefahrenen Weg abzukommen. Das Gehirn braucht Provokation, um neue Bahnen zu etablieren“, sagt er. Denn das Tolle am Hirn sei ja, dass es in Bahnen denken kann und nicht wie ein Computer Millionen Antwortmöglichkeiten auf eine Frage gleichwertig durchrechnet.

Dass die Menschen das Umdenken auf eine kreativere Kultur nicht von heute auf morgen lernen, ist den Vortragenden in Alpbach klar. Christiane Spiel, Leiterin der Bildungspsychologie an der Uni Wien, bemängelt, dass in unserem Schulsystem Schüler nicht lernen, neue Lösungen für Probleme zu finden. Stattdessen unterrichtet man alte Lösungen. Platz für Kreativität bleibt keine. De Bono geht weiter und sagt, dass auch die Universitäten „out of date“ sind: „Information kann jeder schnell übers Internet bekommen. Jetzt müssten Unis den Studenten Fähigkeiten beibringen, die ihr kreatives Potenzial fördern: persönliche Entwicklung, Management- und Lehrfähigkeiten, soziale Fähigkeiten usw.“. Auch Transdisziplinarität ist notwendig – über den Tellerrand blicken. Und: „Man muss mit neuen Ideen wirklich rechnen. Sonst kann sich Innovation nicht entwickeln.“


Vertrauen geben. Dass Kreativität als Schlagwort in jüngster Zeit an Bedeutung gewonnen hat, zeigt Christiane Spiel an der Zahl der Psychologiepublikationen, die im Vorjahr zum Thema „creativity“ veröffentlicht wurden: nämlich 585 Stück. Anno 1950 waren es nur 15 Publikationen. Dabei ist bis heute nicht klar, wie „Kreativität“ definiert sein soll. Es gibt verschiedene Ansätze: Eine Person kann kreativ sein, das erkennt man an bestimmten Charakteristika. Oder ein Produkt kann kreativ sein, das ergibt sich aus der Wechselwirkung mit der Umgebung.

Im Falle der persönlichen Charakteristika sollten Ausbildungsstätten jedenfalls ihre Schüler und Studenten so fördern, dass deren Kreativität echte Entfaltungsmöglichkeiten hat. „Dazu muss man qualifizierte Lernumgebungen schaffen, Aufgaben mit offenen Lösungen stellen und ein Schulklima herstellen, in dem beidseitiges Vertrauen gegeben ist“, führt Spiel aus. Das ist genau der Grundsatz, dem das Alpbacher Forum heuer gewidmet ist: Vertrauen. Oder wie der Hirnforscher Hüther seine Hauptaussage formulierte: „Vertrauen ist die Voraussetzung für die Entfaltung kreativer Potenziale.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2009)

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