Europa – ein Vorbild verschläft seine Zukunft

(c) AP (Michael Probst)
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Wer zu langsam wächst, kann auch ein überlegenes Modell nicht verkaufen. Der reichste Wirtschaftsraum der Erde ist träge geworden, sein Erfolgsmodell hat seinen Glanz verloren.

Wien. Schichtwechsel in Alpbach: die Politiker und Politologen gehen, die Wirtschaftsbosse und Ökonomen kommen. Im Mittelpunkt steht weiter, als Thema mit Variationen, die Zukunft Europas. Aber statt um hehre Ideale und vage Visionen geht es ab sofort um die harten Fakten des Hier und Heute: Wachstumsraten, Arbeitslosenzahlen, Budgetdefizite.

Amerika, die asiatischen Schwellenländer, die EU – legt man die Datenblätter der großen Wirtschaftsräume mit ihren ökonomischen Kennzahlen nebeneinander, sieht Europa so alt aus, wie es ist. Das Fragezeichen hinter „Weltmacht Europa?“, dem Leitthema der Wirtschaftsgespräche, deutet die Zweifel schon an: Der reichste Wirtschaftsraum der Erde ist träge geworden, sein Erfolgsmodell hat seinen Glanz verloren.

Gut gedacht, wenig gemacht

Eigentlich schade, denkt sich Karl Aiginger. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) diskutiert heute in Alpbach und zeigt sich im Vorfeldgespräch mit der „Presse“ überzeugt, dass die EU im Wettstreit mit den USA und Asien „auch ökonomisch das überlegene Modell“ anbieten kann – ihrer heutigen schwächeren Performance zum Trotz.

Denn wenn über die Zukunftsfragen der Welt verhandelt wird, stehen europäische Konzepte Pate. Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch engmaschige soziale Netze, ökologische Ziele als Zukunftschancen statt Wachstumsbremsen, globale Regeln für Finanzmärkte – lauter Ideen „made in Europe“, die klug sind, weil ihre Umsetzung „auf lange Sicht günstiger kommt als das nachträgliche Reparieren von Schäden“.

Nur gehandelt wird woanders: „Europa denkt gut, ist aber bei der Umsetzung zu zögerlich.“ Mit dem Ergebnis, dass nun US-Präsident Obama mit Elan und Tempo vormacht, wie man „eine ökosoziale Politik umsetzt“.

Wifo-Aiginger: „Zu undynamisch“

Vor allem aber nützen den Europäern die schönsten Konzepte nichts, wenn die Zahlen nicht passen: „Die EU kann nicht ein Modell verkaufen, das im Ergebnis das am wenigsten dynamische der Welt ist.“

Am schwächeren Wachstum und der höheren Arbeitslosigkeit aber sind für Aiginger nicht Mängel an den Fundamenten des Systems schuld. Die Ursachen sieht er eher in gehäuften Fehlern im politischen Alltag, die alle kennen und niemand korrigiert: „Schon vor der Krise hatten wir einen zu hohen Staatsanteil“, durch Bankenrettungsschirme und Krisenpakete wächst er nun ins Bedrohliche.

Dass Arbeit zu hoch besteuert wird, schlägt sich unmittelbar auf die Wirtschaftsleistung durch: „Dieser Faktor reagiert am schnellsten auf hohe Belastungen.“ Als Folgen sieht Aiginger die in weiten Teilen Europas hohe Jugendarbeitslosigkeit und zu wenige schlagkräftige Unternehmen: „Es werden zu wenige Firmen gegründet, und diese wenigen bleiben meistens zu klein“ – anders als in den USA, wo junge Unternehmen dank Steuerermäßigungen in der Startphase rasch wachsen können.

Auch die für die EU-Staaten typischen „rigiden Arbeitsmärkte“ mit ihrem Ballast an „erworbenen Rechten“ seien für die aufstrebenden Schwellenländer, die sich nach dem richtigen Modell für ihre Volkswirtschaften umsehen, kein erstrebenswertes Vorbild.

Länder wie China, Indien oder Brasilien aber werden in der multipolaren Welt von morgen das globale Wirtschaftsgeschehen weit stärker mitbestimmen als heute. Aiginger macht sich keine Illusionen: Die Langsamkeit, die Uneinigkeit und die „komplizierten Institutionen“ machen die Region Europa für die Stars von morgen wenig attraktiv.

Freilich habe sie die Finanzkrise gelehrt, dass auch die USA nicht das beste aller Modelle ihr Eigen nennen. Also „shoppen“ sie auf dem Weltmarkt der ökonomischen Strategien. Und das gibt Europa die Chance, im Spiel zu bleiben – wenn es rechtzeitig aufwacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2009)

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