Schweden/Norwegen: Lauschangriff auf Regierungen

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In Stockholm und Oslo wurden Abhöranlagen in der Nähe von Regierungsgebäuden gefunden. Wer sie betreibt, ist noch unklar. Nun werden die Geheimdienste beider Länder aktiv.

Stockholm. Es riecht nach Kaltem Krieg. Führende Politiker und Staatsbeamte in Norwegen und Schweden werden anscheinend systematisch abgehört. Am Donnerstag berichtete die schwedische Tageszeitung „Dagens Nyheter“ von umfassenden Spionageeinrichtungen in Stockholm. Eine technische Untersuchung im Auftrag der Zeitung ergab, dass nahe der Regierungskanzlei Rosenbad und zahlreichen Ministerien „avancierte Spionageausrüstung“ im Einsatz sein soll. Die Abhöranlagen sind demnach als Basisstationen für Mobiltelefone getarnt.

Die Geräte ermöglichen das Mithören sämtlicher über Mobiltelefone geführten Gespräche, von Regierungsmitgliedern bis hin zu Staatsbeamten, schreibt die Zeitung. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sogar das Handy von Ministerpräsident Stefan Löfven abgehört werden könne.

„Dagens Nyheter“ nutzte für ihre Abhörtests unter anderem das in Deutschland produzierte und mit Abhörwarnsystem ausgestattete Cryptophone 500. Allein am Dienstag und Mittwoch hat die Zeitung bei Spaziergängen durch das Regierungsviertel „42 verdächtige Aktivitäten“ im Mobilnetz registriert. In diesen Fällen hat sich das Mobiltelefon an Telefonmasten angeschlossen, die vermutlich Abhöranlagen sind. Das Telefon reagierte mit der höchsten Alarmstufe für Abhörgefahr.

Wer dahintersteckt, ist bisher unklar. Es könnten Geheimdienste fremder Staaten sein. Auch Wirtschaftsspionage scheint möglich. Der schwedische Geheimdienst Säpo hat Ermittlungen eingeleitet. Die Angaben der Zeitung seien „interessant“, hieß es schlicht von Säpo. Schweden ist neutral, arbeitet aber eng mit der Nato zusammen.

Erst kürzlich wurde das Nato-Nachbarland Norwegen von einem ähnlichen Spionageskandal erschüttert. Die norwegische Zeitung „Aftenposten“ enthüllte zusammen mit privaten Sicherheitsunternehmen, dass als Basisstationen getarnte Spionageanlagen überall im Osloer Regierungsviertel installiert seien. Der Nationale Sicherheitsdienst NSM bestätigte bei einer eigenen technischen Ermittlung die Existenz der Lauscheinrichtungen.

Auch Unternehmen im Fokus

In einem Radius von rund einem Kilometer liegen in Oslo die Kanzlei der Ministerpräsidentin Erna Solberg, das Verteidigungsministerium, das Parlament, die Zentralbank sowie zahlreiche Vertretungen von Privatunternehmen. Über Ortungsfunktionen sollen neben Gesprächen auch Bewegungen von Ministern, Politikern, aber auch Firmenmitarbeitern und gewöhnlichen Bürgern überwacht werden, schreibt „Aftenposten“. Die Spione könnten genaue Informationen sammeln, wer sich etwa wann in der Regierungskanzlei befindet.

Auch in Norwegen konnte bisher nicht nachgewiesen werden, wer die Spionage betreibt. Allerdings vermutet Norwegens Geheimdienst PST, dass eine fremde Nation dahintersteckt. Es wird ermittelt. „Nur ressourcenstarke Organisationen können auf diese Weise operieren“, sagte Jahn-Helge Flesvik, Experte vom Sicherheitsdienst Aeger Group. Auch andernorts in Oslo, wo keine Regierungsbüros, aber wichtige Privatunternehmen und Anwaltskanzleien ihre Vertretung haben, wird mitgelauscht, ergab eine Folgeuntersuchung der Zeitung. Norwegen ist einer der größten Erdöl- und Gasexporteure der Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2014)

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